Aktive Gastfreundschaft ist nötig

Die Zustände in den Bundesasylzentren sind unwürdig, kritisiert die Menschenrechtsaktivistin Anni Lanz. Die Zivilbevölkerung könnte den Geflüchteten, insbesondere den unbegleiteten Minderjährigen, weit mehr Gastlichkeit entgegenbringen, findet sie.

Ein Mann liegt in einem Schlafsaal auf einem Bett, aufgenommen waehrend eines Medienrundgans im Bundesasylzentrum Zuerich, am Donnerstag, 27. Oktober 2022 in Zuerich. (KEYSTONE/Michael Buholzer)
Ein Mann liegt in einem Schlafsaal auf einem Bett im Bundesasylzentrum Zürich. (Quelle: © KEYSTONE / MICHAEL BUHOLZER)

Was bekommen wir über Afghanistan zu hören? Dass die Taliban seit der Machtübernahme im August 2021 die Rechte der Frauen mit Füssen treten. Dass Frauen in Afghanistan nicht mehr arbeiten dürfen, nicht einmal für die UNO. Dass dort eine immense Hungersnot besteht und Hunderttausende von Leben gefährdet sind. Alles weit entfernte Dramen. In unmittelbarer Nähe jedoch werden die Bundesasylzentren von jungen Asylsuchenden aus Afghanistan überrannt. Vielleicht bekommt man auch mit, dass sich einige dieser Jugendlichen und jungen Männer aggressiv verhalten.

Was geht uns das an? In den letzten mindestens 30 Jahren, in denen der Westen sich nachhaltig in die Politik von Afghanistan einmischte, konnten dort die Taliban ihre absoluten Machtansprüche langsam etablieren. Mit den riesigen Geldflüssen aus dem Westen und mit der im August 2021 zurückgelassenen Kriegsausrüstung vermochten sie den jahrhundertealten landesinternen Widerstand gegen patriarchale und fanatische Tendenzen zu schwächen und teilweise zu eliminieren.

Anni Lanz
Zur Person

Anni Lanz ist selbst ernannte Menschenrechtsaktivistin im Solinetz Basel. Seit fast 40 Jahren setzt sie sich für Geflüchtete und ihre Rechte ein. In ihrer Kolumne versucht sie ihnen eine öffentliche Stimme zu geben.

Statt Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte brachte die abrupt abgebrochene Intervention des Westens schliesslich ein brutales System hervor, das andersdenkende und andersgläubige Menschen ohne Wenn und Aber töten will. Nicht auszuschliessen ist, dass es auch hierzulande zu Morden kommen wird. Ich habe die Todesdrohungen gegen systemkritische Geflüchtete auf deren Handys gesehen. Und ich habe den Tweet des Taliban Saeed Khosti gelesen: «Tötet die Flüchtlinge», schrieb er, und versprach, diejenigen, die gegen die Taliban predigen, «einen nach dem anderen mit einem Messer» zu töten. Oder töten zu lassen, denn er ist der Überzeugung, es gebe in Europa Hunderte von Freiwilligen, die seinem Mordaufruf folgen werden.


Die tief sitzende Verachtung von Frauen ist bloss ein Zeichen der faschistoiden Gesinnung der Taliban: Alles, was sich nicht ihren Vorstellungen unterwirft, hat aus ihrer Sicht keine Daseinsberechtigung. Diesen tiefgründigen Hass hegen die Taliban auch gegenüber dem Westen. Es ist eine Illusion, dass sich mit diesen Fanatikern verhandeln liesse und man ihnen Zugeständnisse an die Rechte von Frauen abringen könnte. Wie also gehen wir mit dieser Situation um, die der Westen mitverursacht hat? Denn ohne die vom Westen hinterlassenen Waffen und Ressourcen wäre ihnen ihr Siegeszug kaum gelungen.

Was wir tun können

Die Geflüchteten der unterdrückten Bevölkerungsmehrheit brauchen unseren Schutz. Es ist verantwortungslos, sie schutzlos in die Schengener Randstaaten abzuschieben. Die Aggression fanatischer Paschtunen setzt sich zuweilen auch in den grossen Sammellagern fort, wie mir Geflüchtete berichten. Auch hier in Basel. Die sich über Monate hinstreckenden Aufenthalte in zum Teil unterirdischen Bundesasylzentren zeigen deutlich, dass die Beschleunigung der Asylverfahren, die mit der letzten grossen Asylrevision versprochen wurde, ausgeblieben ist. Die monatelangen Wartezeiten in diesen Kellern für nicht-ukrainische Geflüchtete bilden einen Nährboden für psychische Fehlentwicklungen künftiger Mitbürger.

Diese Missstände nur unseren jetzigen kantonalen Behörden anzulasten, greift zu kurz. Da denke ich anders als viele Linke, die die Verantwortung ausschliesslich beim Staat suchen. Wir, die Zivilbevölkerung, könnten diesen unwürdig untergebrachten Geflüchteten, insbesondere den unbegleiteten Minderjährigen, weit mehr aktive Gastfreundschaft entgegenbringen. Diesen Anspruch, auch an mich selbst, wiederhole ich unablässig.

«Es bräuchte unsere Bereitschaft, die Hintergründe und Zusammenhänge der brenzligen Situation genauer zu verstehen und den politisch Verfolgten zuzuhören.»

Anni Lanz

Nach wie vor erleben wir, wie mit den Dublin-Verfahren politisch Verfolgte aus Afghanistan, Einzelne und ganze Familien, ohne Anhörung zu den Fluchtgründen, in Europa herumgeschoben werden. Die Schweiz zeigt sich hier unerbittlich. Wie es schliesslich den in die Randstaaten Abgeschobenen ergeht, ist für uns kaum eruierbar. Ihnen werden dort meistens die Handys abgenommen. Es bräuchte ein unabhängiges Monitoring, um ihr weiteres Schicksal aufzudecken. Und es bräuchte verbindliche Leitlinien, die eine Abschiebung um jeden Preis verbieten. Auch in den Basler Halbkantonen. Es bräuchte unsere Bereitschaft, die Hintergründe und Zusammenhänge der brenzligen Situation genauer zu verstehen und den politisch Verfolgten zuzuhören.

Die hier aufgegriffene Frage ist ebenso eine internationale wie eine lokale. Die Antwort den Fremdenfeinden zu überlassen wäre verheerend.

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