Das vergessene Künstler*innen-Paar aus dem Kleinbasel

Werner Ritter und Brigitte Kretz leben und malen seit Jahrzehnten im Kleinbasel. Am 4. September 2023 wird Werner Ritter 90 – eine Gelegenheit, Leben und Werk dieses aussergewöhnlichen Paares neu zu entdecken.

Werner Ritter „Situation nocturne“ 1978
Werner Ritter «Situation nocturne» 1978 (Quelle: Boris Ritter)

Ein betuliches Leben war nie ihre Sache: Proteste und Abenteuer begleiteten das Basler Künstler*innen-Paar Werner Ritter und Brigitte Kretz seit jeher. 

Ritter war schon dabei, als 1967 die Farnsburg-Gruppe gegen die Bilderauswahl für die Basler Weihnachtsausstellung protestierte, weil sie mit der Auswahl der Bilder nicht einverstanden war. Die Gruppe organisierte im Restaurant Farnsburg am Barfi kurzerhand eine eigene Ausstellung.

Ritters Lebensgefährtin Brigitte ging im berühmten Bauhaus in Dessau zur Schule. Später entdeckte sie die Schweizer Plakatkunst, welche zu der Zeit in der DDR verboten war. Aus politischen Gründen entschied sie sich mit 22 Jahren zur abenteuerlichen Flucht in den Westen.

So erstaunt es kaum, dass in den Werken der beiden immer wieder ein politisches und gesellschaftliches Interesse zum Ausdruck kommt. Am 4. September ist Werner Ritter 90 Jahre alt geworden. Noch immer ist er in der Basler Kunstszene anzutreffen – weisshaarig und hager, unübersehbar mit Hut und Mantel. Brigitte, heute 93 Jahre alt, ist ihm nicht von der Seite gewichen.

Pop Art und Kindererziehung

Die Pop-Art-Bilder von Werner Ritter hängen in den Kunstmuseen von Aarau und Thun, in privaten Sammlungen in Paris und den USA. Bekannt sind seine fotorealistisch komponierten Unfallautos mit glänzenden und zerknitterten Karrosserien. Vorlage waren Polizeifotos, wie sie auch der in der Kunstwelt gefeierte, kürzlich verstorbene Arnold Odermatt aufgenommen hatte. Später kommen Faltenwürfe von Plastik oder Kleidung sowie hyperrealistische Bilder hinzu.

Brigitte Kretz: «Zum Helgen ‹unnamed› 1982 ist zu sagen, dass er ‹Brauner Himmel› heisst und ein Teamwork ist. Ich habe aus dem Fernseher ‹rausfotografiert›, das Layout gemacht und dann haben wir beide abwechselnd das Bild gemalt. Junge harmlose Leute beim nächtlichen (Nackt)-Picknick, während im Fernsehen gerade die Diktatoren der Cuba-Krise gezeigt werden (Fulgencio Batista).»
Brigitte Kretz: «Zum Helgen ‹unnamed› 1982 ist zu sagen, dass er ‹Brauner Himmel› heisst und ein Teamwork ist. Ich habe aus dem Fernseher ‹rausfotografiert›, das Layout gemacht und dann haben wir beide abwechselnd das Bild gemalt. Junge harmlose Leute beim nächtlichen (Nackt)-Picknick, während im Fernsehen gerade die Diktatoren der Cuba-Krise gezeigt werden (Fulgencio Batista).» (Quelle: Boris Ritter)

Die Bilder und Radierungen von Brigitte Kretz sind weniger bekannt. «Die grossen Bilder habe ich alle verkauft», sagt sie dazu heute. Die Künstlerin war in der Zeit aber auch weniger aktiv gewesen, in der sie die drei gemeinsamen Kinder gross gezogen hat.

Umso spannender ist es, die Arbeiten der beiden in diesem Kontext zu betrachten. Denn gleichzeitig funktionierten sie immer auch als Künstler*innen-Paar. Wurde ein Bild von Werner für eine Ausstellung nicht rechtzeitig fertig, konnte es sein, dass Brigitte die fehlenden Stellen beisteuerte. Selbst Bilder von ihr gingen unter seinem Namen in die Ausstellung. Im Unterschied zu andern Künstlerinnen stieg sie später wieder voll in die Arbeit ein.

Werner Ritter: «Es ist fantastisch, wie Brigitte die Linie beherrscht und mit Farbe, Papier und Schere Kompositionen kreiert als wäre es Musik. Es sind keine Collagen. Sie swingen.»
Werner Ritter: «Es ist fantastisch, wie Brigitte die Linie beherrscht und mit Farbe, Papier und Schere Kompositionen kreiert als wäre es Musik. Es sind keine Collagen. Sie swingen.» (Quelle: Boris Ritter)

Was ohne altmodische Rollenaufteilung möglich gewesen wäre, zeigt die aktuelle Ausstellung vergessener Künstler*innen aus den Beständen des Kunstmuseums in Bern: «Ich will den Kanon nicht ganz kippen, aber etwas aus der Balance bringen», sagt Kuratorin Marta Dziewańska im Interview mit Journal B und ergänzt zur Lebenswelt vor allem der Künstler*innen: «Viele davon, besonders Frauen, waren in einen Alltag als Gattin und Mutter eingespannt. Die Zeit und die finanziellen Mittel, um grossformatige Kunst zu machen, fehlte ihnen. Deshalb schufen sie oft flüchtigere Arbeiten.»

Ladärne zu Beuys’ Feuerstätte 

Seit Mitte der 80er-Jahre arbeiten Werner Ritter und Brigitte Kretz abwechslungsweise in einem Atelier in einer besetzten Fabrik in Paris und in der Kaserne. Ein grosser Verlust bedeutete deshalb die Aufhebung der dortigen Ateliers. Heute wehren sie sich gegen den Abriss eben dieser Fabrik in Paris, die Wohnblöcken weichen soll.

  • Brigitte Kretz im Atelier in Paris

  • Werner Ritter im Atelier in Paris

  • Pariser Atelier von Werner Ritter und Brigitte Kretz

Doch sind sie Basel immer verbunden geblieben. Brigitte gehörte während Jahrzehnten in Basel zu den bekanntesten Malerinnen von Fasnachtsladärnen und malte etwa für die Pfluderi und die Junteressli. Von Werner stammte die Ladärne der Alte Richtig 1978, die den umstrittenen Ankauf der Installation «Feuerstätte» von Joseph Beuys zum Sujet erkor.

Am Fasnachtsmittwoch 1978 stellte Beuys in einer Performance aus Kostümen und Requisiten der Clique das Werk Feuerstätte II» zusammen, das ebenfalls in die Sammlung des Museums gelangte. Werner und Brigitte sind auch aktive Fasnächtler. In früheren Jahren waren sie mit den Edelzwigger unterwegs, eine Art Pendant zu den Kuttlebutzer. 

Wenn die Vergessenen im Publikum sitzen

In Basel oder Riehen ist für Werner Ritter und/oder Brigitte Kretz nie eine öffentliche Ausstellung zustande gekommen. Eine gemeinsame Ausstellung im Projektraum M54 an der Mörsbergerstrasse haben sie 2015 selbst organisiert. So fehlt auch die «kunsthistorische Einordnung» durch Kunsthistoriker*innen, ohne die es in Basel keine Unterstützung für eine Biografie oder Werkdokumentation gibt.

Mag sein, dass ihr unkonventioneller Lebensweg oder der häufige Aufenthalt in Frankreich eine Rolle gespielt hat. Oder dass Pop Art allgemein wenig Anerkennung findet. Auch Ladärnen tragen nicht zum Stellenwert als Künstler*in bei. «Ja die Fasnacht nicht erwähnen», lautete ihr mehrfach geäusserterTipp. Und deshalb gibt es bis heute keine Möglichkeit, die Werke dieses aussergewöhnlichen Künstler*innen-Paares in Basel neu zu entdecken.

Anlässlich der Vernissage zu Georg Freuler im Kunstraum Riehen im September 2022 sprach die Kuratorin von den drei vergessenen Basler Künstler*innen Irène Zurkinden, Werner Ritter und Max Kämpf. Die Ironie dabei: Werner Ritter und Brigitte Kretz sassen im Publikum.

__________

Anmerkung der Redaktion: Thomas Göttin ist mit dem Künstler*innen-Paar befreundet. Er lebte zweitweise sogar als Mieter in ihrem Haus an der Oetlingerstrasse im Kleinbasel.

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