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#BaselNazifrei: Der graue Block kommt

Am Freitag werden 50 ältere Leute zum Claraposten marschieren und deklarieren, an der Demonstration gegen Rechtsextreme vor einem Jahr teilgenommen zu haben. Sie solidarisieren sich damit mit den 60 jungen Demonstrant*innen, gegen die die Staatsanwaltschaft Verfahren ermittelt.

11/20/19, 03:00 PM

Aktualisiert 11/20/19, 03:26 PM

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Vor einem Jahr waren sie an der #BaselNazifrei-Demo, diesen Freitag erzählen sie das der Polizei.

Vor einem Jahr waren sie an der #BaselNazifrei-Demo, diesen Freitag erzählen sie das der Polizei. (Foto: Andrea Fopp)

Elisabeth und Urs haben beide graue Haare und heissen eigentlich anders. Wie das häufig ist mit ausserparlamentarische Linken, verstehen sie sich als Teil eines Kollektivs und wollen sich nicht als Einzelmasken hervortun und mit Namen und Foto in den Medien erscheinen. Das Kollektiv heisst «grauer Block» und besteht aus 50 Personen zwischen 50 und 70 Jahren. Diesen Freitag werden sie sich um 17 Uhr am Messeplatz versammeln, um gemeinsam zum Claraposten zu gehen. Dort wollen sie der Polizei mitteilen, sie hätten vor einem Jahr an der unbewilligten #BaselNazifrei-Demonstration gegen die rechtsextreme Partei national orientierter Schweizer (Pnos) teilgenommen. So, wie es rund 2000 Basler*innen getan haben.

Zum Verständnis: Wer an einer unbewilligten Demonstration teilnimmt und trotz Aufforderung der Polizei, sich zu entfernen, weiterdemonstriert, kann zum Beispiel wegen Landfriedensbruch oder Störung des öffentliches Verkehrs belangt werden.

Hat die Staatsanwaltschaft nur Junge im Visier?

Aber warum eine Anzeige riskieren? Das Ganze soll eine Solidaritätsaktion werden. Der graue Block will damit die rund 60 jungen Demonstrant*innen unterstützen, gegen welche die Staatsanwaltschaft im Zusammenhang mit der Demonstration ermittelt. «Die Behörden versuchen, junge, engagierte Leute einzuschüchtern«, sagt Elisabeth. «Es ist kein Zufall, dass es sich bei allen Betroffenen um Jugendliche und junge Erwachsene handelt», sagt Urs. Wer noch die Lehre mache oder sonst in Ausbildung sei, habe viel zu verlieren.

Ausserdem fehlten jungen Leuten die tausenden Franken, die eine Busse im Fall einer Verurteilung kosten könne. «Demonstrant*innen in unserem Alter kann man so nicht einschüchtern.»

Peter Gill, Sprecher der Staatsanwaltschaft Basel, schreibt zu den Vorwürfen: «Die Staatsanwaltschaft ist verpflichtet, Straftaten unabhängig der Person zu verfolgen. Sie stützt ihr Handeln auf die Strafprozessordnung und das Strafgesetzbuch ab.»

Vom Messeplatz «wegbewilligt»

Die Demonstration #BaselNazifrei jährt sich diesen Freitag. Eltern mit Kindern, Senior*innen, Teenager und junge Erwachsene gingen im November 2018 auf die Strasse. Sie protestierten gegen eine Demonstration der rechtsextremen Pnos gegen den Uno-Migrationspakt. Die Pnos-Demonstration mit etwa 30 Teilnehmer*innen war bewilligt, die Gegendemonstration war von den Behörden auf die Dreirosenanlage «wegbewilligt» worden, wie es Elisabeth nennt.

Trotzdem versammelten sich rund 2000 Demonstrant*innen auf dem Messeplatz mit dem Ziel, die Pnos-Demo zu verhindern. Unter anderem Elisabeth und Urs. Die Polizei stellte sich zwischen die beiden Lager. Dabei kam es zu Konflikten zwischen linken Demonstrant*innen und Polizist*innen. Die Polizei setzte Gummischrot ein, Demonstrierende warfen Steine, Baumaterial und Bierflaschen. Einzelne gingen auf Rechtsextreme los. Demonstrant*innen sowie Polizist*innen wurden verletzt.

Im Juni wurde bekannt, dass die Basler Staatsanwaltschaft fast 60 Strafverfahren eingeleitet hat, die sich mehrheitlich gegen Teilnehmer*innen der Gegendemonstration richten. Ihnen wird Landfriedensbruch, Körperverletzung, Gewalt und Drohung gegen Beamte, Nötigung und Störung des öffentlichen Verkehrs vorgeworfen.

Gewalt gegen Polizist*innen – oder einfach Littering?

«Das ist doch ein Witz», sagt Elisabeth. Einem jungen Mann wird beispielsweise vorgeworfen, er habe eine halbvolle Bierbüchse in Richtung eines Polizisten geworfen. «Das soll Gewalt gegen Polizist*innen sein? Ich nenne das Littering.»

Auch Juristen werfen die Frage auf, wie verhältnismässig die Methoden der Staatsanwaltschaft im Zusammenhang mit der #Nazifrei-Demonstration von vergangenem Jahr sind. Vor einer Woche haben die Behörden Bilder von Leuten ins Netz gestellt, die an der Demonstration mutmasslich Delikte von Landfriedensbruch bis zu Gewalt gegen Beamte begangen haben sollen. Der Zürcher Rechtsanwalt Martin Steiger beobachtet in Bezug auf die Öffentlichkeitsfahndung eine schleichende Verschärfung der Repressionsmassnahmen, wie er gegenüber Bajour sagte.

Peter Gill von der Staatsanwaltschaft hingegen sagt: «Die Staatsanwaltschaft wendet die Öffentlichkeitsfahndung zurückhaltend und nur in selten Fällen an.» Bei den gesuchten Personen bestehe der dringende Verdacht einer Straftat. Die Behörden stützten sich bei der Veröffentlichung von Fahndungsbilder auf Art. 211 bzw. 74 der Strafprozessordnung. «Die Öffentlichkeitsfahndung wird eingesetzt, wenn alle anderen polizeilichen Ermittlungs- und Fahndungsmassnahmen ausgeschöpft sind», so Gill.

Für Kritik sorgt aber auch die Methode, mit der die Staatsanwaltschaft im Sommer Angeschuldigte kontaktierte. Sie hatte mehrere Demonstrant*innen zu Hause aufgesucht, bei einigen hatte sie die Jugendlichen und ihre Familien um 5.30 Uhr aus dem Bett geklingelt. Der Basler Strafrechtler und SP-Grossrat Christian von Wartburg sagte gegenüber dem SRF-Regionaljounal: «Es stellt sich die Frage der Verhältnismässigkeit. Man könnte jemand auch ganz normal vorladen für eine Befragung, anstatt am Morgen früh an der Türe zu klingeln.»

Feindbild Linke

Der graue Block vermutet hinter den Verhaftungen eine Taktik der Staatsanwaltschaft. «Wir leben in einer rotgrünen Stadt, doch die Staatsanwaltschaft baut mit ihrer Repression gezielt das Feindbild einer linksextremen Gewalt auf», sagt Elisabeth. «Dabei ist es ein Recht, ja eigentlich eine Bürger*innenpflicht, gegen Nazis auf die Strasse zu gehen», sagen Urs und Elisabeth unisono.

Die TagesWoche hatte schon im März 2018 recherchiert, dass die Polizei gegen das linksalternative Milieu vermehrt repressiv vorgeht.

Für Elisabeth und Urs spielt es keine grosse Rolle, ob die Staatsanwaltschaft nach der Selbstdeklaration am Freitag gegen sie ermittelt oder nicht. Sie haben Strategien für beide Szenarien: «Wenn sie uns anzeigt, machen wir einen Schauprozess», sagt Elisabeth. «Und wenn sie es nicht tut, zeigt das nur, wie absurd die Verfahren gegen die jungen Demonstrant*innen sind», sagt Urs. Sicher ist, die 60 jungen Leute müssen ihre Geldstrafen im Falle einer Verurteilung nicht selber zahlen. Der graue Block startet eine Sammelaktion.

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