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«Wenn etwas gut ist, dann kann es so gross sein, wie es will»

Die Basler Schauspielerin Lorena Handschin erhielt im Januar den Schweizer Fernsehfilmpreis als beste Hauptdarstellerin. Wer ist die Frau, die mit 23 Jahren bereits eine feste Stelle im Ensemble des Deutschen Theaters Berlin besetzt? Ein Treffen in Basel vor einer speziellen Premiere.

02/19/20, 04:15 PM

Aktualisiert 02/19/20, 08:09 PM

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Lorena Handschin wohnt heute in Berlin, aber sagt, sie könne sich vorstellen, dereinst wieder in Basel zu leben.

Lorena Handschin wohnt heute in Berlin, aber sagt, sie könne sich vorstellen, dereinst wieder in Basel zu leben.

Der Prix Swissperform für Lorena Handschin als beste Hauptdarstellerin kam ungewöhnlich früh, andere warten eine Karriere lang auf so einen Erfolg. Aber weil so vieles in dieser Schauspielkarriere früh eintritt, ist das Aussergewöhnliche beinahe zum Selbstverständlichen geworden. 

Ein Treffen in Basel, drei Wochen nach der Preisverleihung. Im Basler Kaffeehaus Mitte fällt Handschin nicht auf, da ist sie in Style und Auftreten eine von vielen. Die braunen Haare zum Dutt verknotet, die schwarzen Schuhe nachlässig gebunden. Herbstgelbe Jacke, senfgelber Pullover. So sehen sie hier alle aus. Sie trinkt Ingwertee gegen das Krankwerden, der Winter macht ihr zu schaffen.

Vom Theater zum Film

Handschin wuchs als jüngste dreier Schwestern in Basel auf, heute lebt sie in Berlin. In die Schweiz kommt sie nur noch ab und zu, um Preise abzuholen zum Beispiel, oder um Freund*innen zu treffen. Oder: Um Premieren zu feiern, zumindest war das bislang die logische Konsequenz ihrer Arbeitswelt: dem Theater. «Bei der nächsten Premiere bin ich aber gar nicht dabei», sagt sie, denn wenn am Freitag die vierte Staffel der Webserie Nr. 47 anläuft, ist ihre persönliche Präsenz nicht vonnöten. Handschin ist jetzt auch Filmschauspielerin. In der vierten Staffel von Nr. 47 spielt sie die Hauptrolle. 

Manuela Rüegg, die Regisseurin der vierten Staffel, sagt: «Es ist eine grosse Leistung wie Lorena die leidgeplagte Figur der Sophie derart authentisch verkörpert, ohne dass sie sich jemals in einer annähernd vergleichbaren Situation befunden hat.»

Handschin sitzt auf einem roten Ecksofa am Kamin im Kaffeehaus Mitte. Sie sagt: «Es gibt diesen Gemeinplatz unter Schauspieler*innen, wonach im Film alles viel kleiner, feiner, präziser gespielt werden muss, als im Theater. Ich mag das nicht. Wenn etwas wirklich gut ist, dann kann es so gross sein wie es will.»

In Nr. 47, der Serie, geht es um eine Gruppe von jungen Erwachsenen, die zusammen in einem Block in Bern wohnen. Die Hausnummer ist Namensgeber der Serie. In den ersten drei Staffeln geht es um alles, was junge Menschen eben umtreibt. Freundschaft und Einsamkeit, Eifersucht, Stress mit der Familie, Jobsuche, Liebe, natürlich. Die Serie ist als Sprungbrett für junge Filmschaffende vor und hinter der Kamera konzipiert. 

Manchmal holpern die Dialoge und die Kamera schaukelt roh, aber auf Youtube ist das egal. Dort findet die Serie vor allem statt, denn dort vermuten die Macher*innen das Zielpublikum.

In der vierten Staffel legt sich nochmal ein ganz neues, düsteres Thema über die Handlung, die massgeblich auf Sophie, die neue Hauptfigur zugeschnitten ist. Sophie hat Krebs. In der Szene fällt ihr Blick leer auf den Tisch, sie schluckt und nichts weiter passiert und gerade durch dieses scheinbare Nicht-Spiel treibt Handschin dem Betrachtenden Schauer wie Eis über den Rücken. 

Deutschlandkult und die kulturelle Verarmung

Präzision ist ihr Merkmal, das sagen Regisseur*innen, Schauspieler*innen, die mit Handschin zusammengearbeitet haben. Man könne mehrere Takes aufnehmen und diese dann übereinanderlegen – da wäre kaum eine Abweichung auszumachen. Ob das nur positiv sei, darüber dürfe man streiten, meint Samuel Morris, Regisseur der ersten beiden Staffeln von Nr. 47. «Ich glaube da schlummert noch etwas», sagt der Jungregisseur. «Von dieser Schauspielerin haben wir noch nicht alles gesehen.»

Der Jury des Prix Swissperform war das Spiel gut genug. «Handschin verliert sich nicht in falschen und kitschigen Ausdrucksmittel, um auf die Tränendrüsen zu drücken, denn die Gefahr bestand bei dieser Rolle durchaus», sagt die Basler Schauspielerin und Jury-Mitglied, Charlotte Heinimann. «Ich habe ihr das wirklich geglaubt, das war nicht gespielt. Das war einfach sehr authentisch.»

Den jüngsten Erfolg feiert Handschin im Film – aber ihr Herz gehört der Bühne, das spürt man. Man spürt das zum Beispiel an der aufflammenden Wut, wenn die Rede auf die politische Grosswetterlage in Deutschland und Berlin insbesondere zu sprechen kommt. «Wenn die AfD mehr Deutsche Kultur auf der Bühne fordert, dann macht mich das verdammt wütend» sagt Handschin, «wie soll das denn aussehen? Nur Deutsche auf der Bühne? Deutsche Autor*innen? Das klingt für mich nach einer Verarmung der Theaterkultur.»

Weitere Angebote liegen auf dem Tisch

Im Gespräch ist jetzt natürlich der Moment für die ganz grossen, pathetischen Fragen gekommen: Was ist die Aufgabe des Theaters im Jahr 2020? «Theater soll alles dürfen, es muss gar nichts. Das ist das schöne daran. In diesem Freiraum kann alles umgedreht, hinterfragt und neu bespielt werden. Und wenn sich etwas regt in den Menschen, dann ist vielleicht das Wichtigste schon erreicht.»

In welche Richtung die Karriere Handschins verlaufen wird, steht noch nicht fest. Angebote für weitere Filmprojekte liegen auf dem Tisch. Welche das sind? «Dazu will ich lieber noch nichts sagen, da ist noch nichts spruchreif», sagt Handschin.

«Ich will mich in beiden Welten bewegen. Auf der Bühne und vor der Kamera», fügt sie hinzu. Als Ensemblemitglied des Deutschen Theaters in Berlin hat sie den Sprung auf eine der grössten Bühnen im deutschsprachigen Theaterraum bereits geschafft – aber das muss noch nichts heissen. Wenn etwas wirklich gut ist, dann kann es so gross sein, wie es will. 
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Die 4. Staffel von Nr. 47 startet am Freitag, den 21. Februar. Sie läuft auf Youtube, sowie auf SRF Play

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