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Kommentar

Die Quartierversteher*innen sollen weg. Und das ist schlecht.

Die Bürgerlichen wollen erneut versuchen, die Stadtteilsekretariate abzuschaffen. Das wäre ein Fehler. Ein Kommentar.

12/17/19, 08:21 AM

Aktualisiert 12/17/19, 08:22 AM

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In der Demokratie gilt häufig: Was du heute nicht kannst besorgen, das versuche übermorgen. Schon vor einem Jahr versuchte der CVP-Grossrat Balz Herter mittels eines vorgezogenen Budgetpostulates, die Stadtteilsekretariate abzuschaffen. Der Grosse Rat lehnte das Postulat ab.

Am Mittwoch ist nun wieder Budgetdebatte im Basler Parlament, und dieses Jahr könnte es knapp werden. Gestern teilte die SVP mit, sie wolle, zusammen mit der FDP und LDP, die Subventionen der drei Stadtteilsekretariate Basel-West, Basel-Ost und Kleinbasel streichen. Es ist die Aufgabe der staatlichen Quartierstellen, zwischen Bevölkerung und Verwaltung zu vermitteln und so den Mitwirkungsartikel in der Basler Verfassung umzusetzen.

Zu links

Seit langem werfen bürgerliche Politiker*innen und angestammte Quartiervereine den Stadtteilsekretariaten vor, sie seien zu verwaltungsnah oder zu links, was aus ihren Augen auf dasselbe hinauszulaufen scheint. Und es hilft der Debatte auch nicht, dass es sowohl im Gundeli als auch im Kleinbasel Kommunikations- und Führungsprobleme in den Sekretariaten gibt. So erinnern die Bürgerlichen etwa gerne daran, dass das Kleinbasler Stadtteilsekretariat einer Veranstaltung zum geplanten Parking unter dem Landhof den tendenziösen Titel: «Der Landhof ist kein Parking» gab.

Was aus Sicht des Sekretariats ein kommunikativer Patzer war, ist aus Sicht der Parkingbefürworter*innen ein weiterer Beweis für den politischen Schlag, den eine politisch unabhängige Vermittlerstelle eigentlich nicht haben dürfte. Hüben und drüben des Rheins traten, unter anderem darum, im Verlauf des Jahres der neutrale Quartierverein oberes Kleinbasel beziehungsweise Gundeldingen sowie andere Vereine aus den jeweiligen Trägervereinen der Sekretariate aus, nachdem im Kleinbasel bereits FDP und LDP ihren Austritt bekannt gegeben hatten.

Das Kleinbasler Sekretariat weiss sogar, was ausländische Mütter umtreibt

Und jetzt also ein neuer Abschaffungsversuch. Doch aller Kritik und Konflikte zum Trotz: Die Sekretariate zu schliessen, wäre ein Fehler. Sie machen wichtige Arbeit, das erfahre ich als Journalistin in Recherchen immer wieder. Höre ich ein Gerücht aus dem Kleinbasel, rufe ich Theres Wernli, Co-Leiterin des Kleinbasler Sekretariats an. Sie weiss meistens, ob etwas an dem Gerücht dran ist. Oder sie weiss, wer etwas weiss.

Klar, das Stadtteilsekretariat ist nicht für die Journalist*innen geschaffen worden, aber der Punkt ist: Die Mitarbeiter*innen des Sekretariats kennen das Quartier. Sie kennen die Sorgen der Altersheimbewohner*innen, der Autofahrer*innen, der Gewerbler*innen, der gut ausgebildeten hippen Quartierbewohner*innen und der alteingesessenen Kleinbasler*innen. Sie kennen die Ängste, welche die Moscheen im Klybeck auslösen ebenso wie die Sorgen der Prostituierten* und Zuhälter*innen, und der Anwohner*innen, die unter dem Sexgewerbe leiden. Und sie wissen auch, was die Ausländer*innen bewegt – und wie es deren Kindern geht. Wer sich schon einmal bemüht hat, mit Einwander*innen in Kontakt zu kommen, weiss, was das für eine Leistung ist.

Es ist unmöglich, es allen Recht zu machen

Auf der Hand liegt auch: Wer mit so vielen Bevölkerungsgruppen zu tun hat, kann es niemals allen Recht machen. Im Jahr 2018 etwa veranstaltete das Stadtteilsekretariat Kleinbasel ein Gespräch zum Thema «Racial Profiling», also zu Polizeikontrollen, die dunkelhäutige Menschen häufig über sich ergehen lassen müssen. Titel: «Polizei im Visier».

Daniel Seiler, Quartierbewohner und FDP-Politiker, fand das Gespräch, und vor allem den Titel, «Polizei im Visier», zu einseitig . «Das ist doch kein Thema, das der Mehrheit der Bevölkerung unter den Nägeln brennt», sagt er. Zumindest hätte man das Thema weiter fassen und auch über die Gründe der Kontrolle sprechen müssen. «Es ist halt leider auch so, dass viele Bewohner sich nachts in entsprechenden Perimeter an der Klybeckstrasse unsicher fühlen und explizit Polizeikontrollen fordern.»

Bei der Quartierbewohnerin Susanne, hingegen, kam das Gespräch gut an. «Die häufigen Polizeikontrollen auf der Klybeckstrasse haben bei mir Unbehagen ausgelöst.» Es sei für sie gut gewesen, darüber zu reden.

Die Deutsche, Susanne, weiss jetzt, dass sie eine Petition unterschreiben darf

Susanne kommt ursprünglich aus Deutschland, vor neun Jahren ist sie ins Quartier gezogen. Und lernte dank des Stadtteilsekretariats schnell, was im Quartier passiert und wie sie sich einbringen kann. «Häufig stehen Leute vor dem Coop und fragen mich, ob ich eine Petition unterschreiben will. Am Anfang wusste ich nie: Darf ich das als Deutsche? Also fragte ich im Stadtteilsekretariat nach. Jetzt weiss ich ansatzweise, wie die Schweizer Demokratie funktioniert und wie ich mich im Quartier einbringen kann.»

Das ist doch der Job der Stadtteilsekretariate: Den Leuten im Quartier zu zeigen, wie sie ihre Anliegen an die Öffentlichkeit tragen können. Und zwar auch denen, die keine Lobby haben, wie beispielsweise die Flüchtlingsmütter. Das ist nicht nur gut für die Quartierbewohner*innen selbst, es ist gut für die ganze Bevölkerung: Wer sich einbringt, identifiziert sich mehr mit seinem Quartier, seiner Stadt. Daran dürften auch bürgerliche Politiker*innen ein Interesse haben.

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