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Hintergrund

Wie Abschied nehmen in Zeiten von Corona?

Wer einen geliebten Menschen an das Corona-Virus verliert, erlebt Ähnliches wie Angehörige von Opfern eines Flugzeugabsturzes, die den Körper der Verstorbenen nicht beerdigen können. Wie Abschied nehmen und wo Trost finden? Wir sprechen mit jenen, die sich täglich dazu Gedanken machen.

04/02/20, 08:37 AM

Aktualisiert 04/02/20, 02:56 PM

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Angehörige müssen im kleinen Kreis trauern: Kirchen und Kapellen sind derzeit für Beerdigungen geschlossen. Foto: S. Hermann und F. Richter

Angehörige müssen im kleinen Kreis trauern: Kirchen und Kapellen sind derzeit für Beerdigungen geschlossen. Foto: S. Hermann und F. Richter

Goldenes Licht, lange Schatten und ein weit aufgespannter Himmel: Es war, als wolle der Sommer ihn nicht gehen lassen. Und sie warteten, auf die Beerdigung, die erst in drei Wochen stattfinden sollte. Und darauf, dass dunkle Wolken aufziehen würden, damit das Äussere wenigstens ein bisschen zu ihrem Inneren passen würde. Damit sie begreifen konnten, was geschehen war. 

Fast jeder, der schon einmal einen geliebten Menschen verloren hat, kennt sie: Diese Tage, wie in einer Zwischenwelt, nach dem Tod bis zur Beerdigung. Trauerbegleiter*innen nennen sie auch Schleusenzeit. Ähnlich wie bei einem Schiff, das in der Schleuse von einem Niveau auf das andere gebracht wird, geht es darum, die Zeit vor dem Tod und dem, was danach kommen wird, zu überbrücken. Ein erster gewaltiger Übergang, bei dem das Abschied nehmen im Vordergrund steht. Früher wurden die Toten in dieser Zeit im Schlafzimmer aufgebahrt und während Tagen gingen Verwandte und Freunde ein und aus, auf dem Herd kochte immer eine Suppe für die Gäste. 

Später wurde das Sterben, wie auch das Gebären, in die Krankenhäuser ausgelagert. Die alten Bräuche gingen verloren. «Behalten Die ihn doch in Erinnerung, wie er war...», hiess es nicht selten, wenn eine Frau ihren verstorbenen Mann nach einem Unglück nochmals sehen wollte. Und nicht nur eine von ihnen soll danach nachts mit der Taschenlampe zur Unfallstelle losgezogen sein, um irgendetwas zu finden, was die Verstorbenen hinterlassen hatten. Irgendetwas, das ihr beweisen würde, dass das alles wirklich passiert war. Denn Trauer ist etwas zutiefst Sinnliches. Um verstehen zu können, müssen wir die Verstorbenen nochmals sehen. Vielleicht sogar anfassen. Nur so können wir uns wahrhaftig davon überzeugen, dass sie wirklich tot sind.

Abgesagte Beerdigungen und verschlossene Särge

Stirbt ein*e Angehörige*r an oder mit dem Corona-Virus, dann wird den Trauernden der Abschied durch die Sicherheitsvorkehrungen erschwert bis verunmöglicht. Längst haben sich die Bilder von italienischen Militärlastwagen, die nachts in Konvois die Toten wegbringen, in unser kollektives Gedächtnis eingebrannt. Wir lesen von Intensiv-Pflegenden und Seelsorgern, die mit iPads an den Betten der Sterbenden stehen, ein letzter Kontakt zur Familie. «Das ist eine doppelte Trauer», sagt der Philosoph und Ritualbegleiter Lukas Niederberger. Er ist nicht nur Leiter der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft, sondern begleitet seit vielen Jahren Hochzeiten, Taufen und macht Sterbebegleitungen, verfasst Bücher zum Thema Rituale.

«Es ist essentiell, dass wir mit Trauernden in Kontakt bleiben»

Lukas Niederberger, Philosoph und Ritualbegleiter
Trauern in Zeiten von Corona: Rituale und Nähe geben Halt, auch aus der Distanz. (Foto: zvg.)

Trauern in Zeiten von Corona: Rituale und Nähe geben Halt, auch aus der Distanz. (Foto: zvg.)

«Das Eine ist der Tod, das Andere die Tatsache, dass man sich nicht richtig verabschieden kann», sagt Niederberger. Da passierten im Moment schon Dramen, hält er fest. Beerdigungen würden verschoben, oder könnten gar nicht erst stattfinden. Angehörige machen in der Corona-Zeit eine ähnliche Erfahrung, wie wenn sie jemanden bei einem Schiffsuntergang oder einem Flugzeugabsturz verlieren.

Bestimmungen gelten für alle

In der Tat sind derzeit nicht nur die Besuche am Krankenbett stark eingeschränkt (siehe Zusatz) oder verboten. Auch für Beerdigungen gelten spezielle Bestimmungen, wie es bei der Stadtgärtnerei Basel auf Anfrage heisst. So dürfen etwa keine Angehörigen mehr bei der Kremierung anwesend sein, die Kirchen und Kapellen sind nicht zugänglich und die Beerdigungen müssen im engsten Familienkreis stattfinden.

Vielerorts wird empfohlen, die Todesanzeige erst nach der Beisetzung zu publizieren. Und das vielleicht Prägendste: Aufbahrungen und Abschiedsbesuche beim Leichnam sind nicht mehr möglich. Die Bestimmungen gelten sowohl für Menschen, die mit dem Corona-Virus verstorben sind – aber auch für alle anderen. Hinzu kommt, dass Angehörige aus dem Ausland zur Verabschiedung und Bestattung nicht anreisen können. Dies wird bei zahllosen Angehörigen Traumata hinterlassen.

Niederberger stellt das Gespräch nun noch stärker ins Zentrum. «Es ist essentiell, dass wir mit Trauernden in Kontakt bleiben», sagt er. In der Corona-Zeit sollten wir unsere gewohnte Scheu der Kontaktaufnahme überwinden. Denn hierzulande sei es normalerweise so, dass man denkt, Trauernde zu stören.

«Ich war um jeden Telefonanruf froh, nachdem mein Vater verstorben war», erinnert sich Niederberger. Dadurch, dass er die Geschichte des Sterbeprozesses seines Vaters damals am Telefon seinen Bekannten immer und immer wieder erzählt hat, bekam sie eine Gestalt: «Mit jedem Mal löste sich die Schockstarre etwas auf und neben der Trauer nahm die Dankbarkeit zunehmend Raum ein. Auf diese Weise werde die Trauerarbeit angestossen, meint der Ritualbegleiter. . 

Er empfiehlt auch nach Monaten noch eine Gedenkfeier zu organisieren, mit Bildern der Verstorbenen. Mit Musik und kleinen Darbietungen von Freunden und Verwandten. Hilfe dazu leisten auch die Kirchen, selbst wenn manche Gotteshäuser derzeit geschlossen sind.

Sterben, beerdigen und trauern. Wer weiß, wie das geht? Eric Wrede war Musikmanager und wurde Bestatter. Er will etwas ändern an der gängigen Trauerkultur und begleitet Menschen auf ihrem letzten Weg frei von Konventionen. Über seine Arbeit hat er ein Buch geschrieben. Ein Auszug.

Suchst du den anderen Blickwinkel?

«Es ist ein Missverständnis, wenn man meint, die Kirchen wären nur für Angehörige da, wenn sie einen Trauergottesdienst organisieren», sagt Caroline Schröder Field, seit 2011 reformierte Pfarrerin am Basler Münster: «Rufen Sie jetzt schon an. Erzählen Sie von dem Menschen, der von Ihnen gegangen ist oder erkrankt ist.» Denn in diesen Wochen hätten viele Kirchenangehörige tatsächlich Zeit für Beratung und Seelsorge, wenn sie auch «nur» am Telefon stattfinden könne.

Wenn man etwa einen Angehörigen sterbend wisse, ohne bei ihm sein zu dürfen, sei eine grosse Belastung. «Es ist zu hoffen, dass in den Spitälern und in den Altersheimen individuelle Lösungen gesucht werden, damit Menschen nicht einsam, von Fremden umgeben und an Apparate angeschlossen sterben».

Wem diese Nähe dennoch verwehrt bleibe, dem empfiehlt sie: «Zu Hause eine Kerze anzünden, für die Person beten, an sie denken, eine Musik hören, die verbindet. Es gibt mehr zwischen Himmel und Erde, als wir glauben. Vielleicht entsteht daraus eine grössere Nähe, als es ein iPad herstellen kann.»

«Es gibt mehr zwischen Himmel und Erde, als wir glauben.»

Caroline Schröder Field, reformierte Pfarrerin am Basler Münster
Leere Kirchen, fürsorgliche Pfarrerinnen: «Nehmen Sie telefonisch Kontakt auf», sagt Münster-Pfarrerin Caroline Schröder Field. (Foto: Bilddatenbank BS/zvg.)

Leere Kirchen, fürsorgliche Pfarrerinnen: «Nehmen Sie telefonisch Kontakt auf», sagt Münster-Pfarrerin Caroline Schröder Field. (Foto: Bilddatenbank BS/zvg.)

Sie gibt ausserdem zu bedenken, dass das Begräbnis und die Trauerfeier unterschiedliche Funktionen hätten: «Beim Begräbnis wird das, was von einer verstorbenen Person noch da ist, einem bestimmten Ort übergeben. Bei einer Trauerfeier steht die Erinnerung an das Leben des Verstorbenen im Vordergrund.» Und damit beschreibt sie auch, wie der Virus den Trauerprozess spaltet.

Dennoch lassen sich gewisse Dinge nachholen. Etwa in einer Psychotherapie. Oder in Form späterer Rituale. Friedhöfe gewinnen dabei wieder eine wichtige Funktion. Denn Trauer wird nicht zuletzt auch von den Räumen getragen, in denen sie stattfindet. Freund*innen und Angehörige können, wenn auch mit Beschränkungen, den Ort der Bestattung besuchen. Und dort ihrer Trauer Ausdruck verleihen.

Besuche am Krankenbett – was gilt?

Valeria Hengartner, Spitalseelsorgerin des Universitätsspitals Basel, klärt auf.

- Meine Grossmutter ist auf der Palliativ-Station, darf ich sie ein letztes Mal besuchen?

Unter strengen Vorgaben ist das für maximal zwei Personen möglich. Angehörige müssen sich mit ihrem Anliegen telefonisch auf der Station melden und müssen gesund sein. Auch können sie, wenn (noch) möglich, telefonisch Kontakt aufnehmen.

- Ich bin im Ausland und kann nicht kommen. Muss sie nun alleine sterben?

Nein. Wir Seelsorgende bieten an, einen Besuch zu machen. Wir wachen stellvertretend am Bett, sprechen ein Gebet, singen oder feiern ein Abschiedsritual, um das Leben wertzuschätzen.

- Wie sieht es aus, wenn sie auf der Intensivstation liegt?

Angehörige dürfen dort im Moment keine Besuche machen. Das ist sehr schwierig und schwer auszuhalten. Dennoch muss niemand alleine sterben. Das Betreuungsteam ist sehr besorgt. Und auch wir Seelsorgenden sind im Einsatz, gemeinsam suchen wir eine geeignete Möglichkeit, um dem Abschied und der Trauer Ausdruck zu verleihen.

- Wohin wende ich mich, wenn ich Fragen habe?

Das Corona-Care-Team des Universitätsspitals vermittelt gerne den Kontakt für Angehörige, die den Wunsch verspüren, mit einer Fachperson der Psychosomatik oder der Seelsorge die schwierige Situation zu besprechen.

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