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Der Penis ist tot. Es lebt die Vulva.

Was steckt hinter den Tags und Klebern, die die Stadt überziehen? Zur Vulva-isierung des öffentlichen Raums.

09/24/19, 11:32 AM

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Jetzt übernehmen die Vulvas!

Jetzt übernehmen die Vulvas!

Wer sich in den vergangenen Wochen und Monaten auf der Strasse, auf den Plätzen und Parks, in den Clubs und Bars dieser Stadt Basel aufhielt, kam um eine Beobachtung nicht umhin.

Der Penis ist tot. Es lebt die Vulva.

Es ist offensichtlich: Dort, wo vor Kurzem noch karikierte Phalli ins Stadtbild hinausragten, dort sind jetzt geklebte, gemalte, gesprayte Vulvas zu sehen. An der Serra-Plastik vor dem Theater, an Fassaden in der Innenstadt, am Gewerkschaftshaus in der Rebgasse, an Telefonzellen, an Ampeln, Billettautomaten, Parkbänken. Sie sind überall.

Das ist bemerkenswert. Kulturhistorisch galten gekritzelte Penisse seit gefühlt immer als zuverlässiger Hinweis dafür, dass sich die Gesellschaft ihren Spieltrieb erhielt. Dass diese Gesellschaft sich Jugendliche und Erwachsene leistete, die mittels schlichter Abbildung männlicher Geschlechtsteile davon ausgingen, provozieren zu können, kurz: Eine Gesellschaft, deren öffentlicher Raum durch Penisse verunstaltet war, war sich auch für den plumpsten Witz nicht zu schade und damit irgendwie gesund.

Jetzt übernehmen die Vulvas. Das ist nichts weniger als ein Angriff auf hunderttausend Jahre Gleichsetzung provokativen Pipikakahumors mit Männlichkeit.

Wobei, das stimmt nicht ganz. Penisse sind in der Regel extraschlecht gezeichnet, eine durchgezogene Linie, zwei Eier, ein Kegel dran, fertig. In der Geste des Hingeschmierten liegt gewissermassen bereits die ironische Distanz zu dem, was man da tut. Einen Penis kritzeln, höhö, aber dazu Krawatte tragen: kein Problem.

Die Frage ist: Wie sprechen wir über Körper, wie schreiben wir über Sex, wie schauen wir auf Geschlechter?

Ganz anders die Vulvas, die sind eben nicht einfach hingekritzelt. Ästhetisch betrachtet übertreffen die Vulvas die meisten Peniskritzeien um Längen. Zwinkerzwinker. Und das ist eine Message. Denn offenbar geht es hier nicht nur um die Wachablösung an der Humor-Basis und damit eben um die Zerstörung der Gleichsetzung von Männlichkeit und provokativem Humor. Sondern um ernst gemeinte Sichtbarmachung, Aufklärung und sexuelle Selbstermächtigung im öffentlichen Raum.

Wie das? Und warum ist das wichtig? Weil hier etwas Subversives* passiert. Und weil man daher davon ausgehen kann, dass «das», auf «das» hier aufmerksam gemacht werden soll, im Mainstream nicht stattfindet. Dass darum eine sogenannte Gegenöffentlichkeit aktiviert werden muss, um darauf aufmerksam zu machen. Auf Vulvas nämlich.

Und wir hören, es ist 2019, come on, mittlerweile muss man höchstens in die Gegenöffentlichkeit flüchten, wenn man mal NICHTS mit Sexualität und Geschlecht zu tun haben will.

Das mag sein. Die Frage ist: Wie sprechen wir über Körper, wie schreiben wir über Sex, wie schauen wir auf Geschlechter?

Sexuelle Selbstermächtigung und Lust

Vulvas im öffentlichen Raum sind darum so politisch, weil sie in den Aufklärungsorganen der Populärkultur, den Bravos, Popcorns, In-Touches dieser Tage, immer noch weggeschwiegen oder problematisiert werden. Stattdessen: Fokus auf männliche Lustbefriedigung. Die deutsche Autorin Margarete Stokowski hat sich durch viele dieser Hefte geblättert, sie schreibt in «Untenrum frei»:

«Würde die Menschheit dieselben Anstrengungen in die Raumfahrt stecken wie die Redaktionen von Frauenzeitschriften in Blowjob-Ratgeber, könnten wir längst zum Kaffeetrinken auf den Mars.»

Die Hefte sind voller Anleitungen, die Frauen erklären, wie man Männer oral befriedigt, aber dass umgekehrt in Männerheften steht, wie man eine Vulva leckt, ist selten der Fall. In einer Studie zum Thema Oralsex sagten dann männliche Jugendliche auch, das Lecken einer Vulva sei ekliger und komplizierter als Oralsex mit einem Mann. Viele fanden die weiblichen Genitalien generell ekelhaft oder hässlich.

Was das für ein lustvolles Sexleben von Frauen* (in heterosexuellen Beziehungen) heisst, kann man sich denken. Oder man recherchiert: In einer Umfrage unter 900 heterosexuellen Studierenden gaben 63 Prozent der Männer an, bei ihrem letzten Sex oral befriedigt worden zu sein. Bei den Frauen waren es 44 Prozent. Auf Englisch heisst dieser Unterschied «Oral Sex Gap».

Ausserdem problematisch: Wie wir «darüber» reden. Eine Petition der Journalistin Gunda Windmüller und der Autorin Mithu Sanyal forderte im Januar 2019, der Begriff Schamlippen solle im Duden durch Vulvalippen ersetzt werden. Die Begründung: «Der Begriff (Scham) passt nicht in unsere Zeit. Er gibt eine falsche, eine verschämte, eine lustfeindliche Vorstellung von Körpern und Sexualität wieder.»

Als gäbe es etwas zu korrigieren

Währenddessen hält der Trend zur chirurgischen Verkleinerung der äusseren Vulvalippen an. Einer der zentralen Beweggründe sei immer noch der Wunsch, «normal» auszusehen, wie es im «Positionspapier kosmetische Operationen im Genitalbereich» von Terres de Femmes heisst. Eine Basler Praxis für plastische Chirurgie bewirbt derweil die Dienstleistung als «Schamlippenkorrektur». Als wäre da vorher etwas nicht ganz korrekt. Auch interessant: Die Patientin sei sieben Tage nach der OP wieder «gesellschaftsfähig», heisst es auf der Homepage.

Damit ist natürlich auch die Arbeitsfähigkeit gemeint, aber trotzdem ist die Wortwahl irgendwie sinnbildlich: Mit Schmerzen, Wunden, korrigierter oder zu korrigierender Vulva ist die Gesellschaftstauglichkeit der Frau* eben angeschlagen. Das würde so niemand sagen, weil, come one, 2019, jaja. Aber auch 2019 ist die Vulva vor allem: genormt. Oder unsichtbar.

Im Internet haben sich längst Gegenströmungen entwickelt, die das weibliche Geschlecht in seiner Diversität sichtbar machen. Das bekannteste Beispiel ist wohl die die Vulva Gallery der Künstlerin Hilder Atlanta. Auch beliebt: Insta-Accounts wie Fruits de Femme, das Project Pussy, das Vagina MuseumClitorosity und viele andere mehr.

Und jetzt also Basel. Seit ein paar Monaten schwappt diese Gegenbewegung zur Normalisierung weiblicher* Scham in den öffentlichen Raum. Das ist zunächst politisch zu lesen. Und nebenbei ist hier wahrscheinlich auch noch die Übernahme der männlich dominierten Humor-Basis im Gang.

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*Taggen, Sprayen und Klebern ist illegal.

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