Kopiert!

Wer sucht, der findet

Massenkündigung auch an der Sevogelstrasse

Die Zurich-Anlagestiftung saniert eine Überbauung im Gellert – 18 Mietparteien müssen raus. Der Mieterverband sagt: Neun von zehn Massenkündigungen gelangen nie an die Öffentlichkeit. Diese schon – dank der «Wem gehört Basel?»-Daten.

03/22/21, 03:51 AM

Aktualisiert 03/23/21, 09:51 AM

Kopiert!
Im September 2021 müssen alle raus: Wohnhaus an der Sevogelstrasse 140/142.

Im September 2021 müssen alle raus: Wohnhaus an der Sevogelstrasse 140/142.

Die Zurich-Anlagestiftung ist einsame Spitzenreiterin im Bajour-Massenkündigungsticker. Im letzten Jahr hat der Konzern langjährige Mieter*innen aus vier verschiedenen Liegenschaften geworfen. Da liegt es nahe, in den «Wem gehört Basel»-Daten nachzuschauen, welche Häuser die Zurich noch besitzt.

Es ist eine ganze Menge, aber wo soll man anfangen?

Wir setzen auf Rasterfahndung. Das heisst, wir schauen uns nur jene Liegenschaften an, die mehreren Kriterien entsprechen:

  • Sie gehören der Zurich.
  • Sie haben eine gewisse Grösse (über 10 Wohnungen).
  • Sie sind mindestens 30 Jahre alt (aber trotzdem keine Altbauten).

Kriterien für die Rasterfahndung

Die Kriterien stammen aus dem Massenkündigungsticker: Dort zeigt sich, dass typischerweise grössere Mehrfamilienhäuser totalsaniert werden, die älter als 30 Jahre sind und Besitzer*innen gehören, deren Businessmodell stetige Mieteinnahmen vorsieht.

Einerseits, weil ältere Liegenschaften eher sanierungsbedürftig sind als jüngere, aber mutmasslich auch, weil in älteren Häusern typischerweise langjährige Mieter*innen wohnen, deren Mietzinse entsprechend tief sind – das Potenzial für Mehreinnahmen ist demnach grösser.

Die Rasterfahndung schlägt bei zwei Liegenschaften aus den 50er-Jahren an der Sevogelstrasse an. Eine kurze Recherche im Internet bestätigt die Annahme: «Im Hinblick auf ein bevorstehendes Bauvorhaben wird die Wohnung befristet bis zum 30.9. 2021 vermietet», steht in einem Wohnungsinserat.

Die Zürich-Anlagestiftung, der das Haus gehört, bestätigt die Kündigung auf September 2019. Grund: Totalsanierung der 70-jährigen Gebäude, bei denen die letzte Teilsanierung vor 25 Jahren erfolgt sei.

«Im Hinblick auf ein bevorstehendes Bauvorhaben wird die Wohnung befristet bis zum 30.9. 2021 vermietet», steht im Inserat.

«Im Hinblick auf ein bevorstehendes Bauvorhaben wird die Wohnung befristet bis zum 30.9. 2021 vermietet», steht im Inserat.

Die Bewohner*innen haben sich damit abgefunden. Sie wissen bereits seit September 2019, dass sie spätestens auf Ende September dieses Jahres raus müssen. Im Telefonbuch sehen nur noch zwei (Firmen-) Einträge, keine Privatadressen mehr – die meisten Mieter*innen haben bereits etwas Neues gefunden. Ein Augenschein vor Ort bestätigt: Da wird sich niemand mehr wehren für seinen günstigen Wohnraum an bester Wohnlage.

Die Handwerker*innen werden kommen, das Elektrische ersetzen, die Böden schleifen, vielleicht einige Wände rausreissen und damit moderne Grundrisse schaffen.

Neue Mieter*innen werden einziehen und sich über helle Wohnküchen und einen Waschturm im sanierten Badezimmer freuen – und bereits sein, der Besitzerin monatlich einen wahrscheinlich höheren Mietzins zu bezahlen. Wie hoch dieser sein wird, sagt die Zurich nicht, nur, dass «das Wohnangebot der lokalen Nachfrage entsprechen wird und zu ortsüblichen Preisen vermietet werden soll».

Transparenz? Fehlanzeige

Anruf bei Beat Leuthardt vom Mieterverband Basel. «Ja, wir kennen den Fall, einigen Parteien haben wir begleitet.» Es sei eine dieser Massenkündigungen, von denen die Öffentlichkeit nie etwas erfahre. «Neun von zehn Massenkündigungen gelangen nicht an die Öffentlichkeit», sagt er.

Und das seien auch nur jene Fälle, die überhaupt beim Mieterverband landen würden. «Es gibt in Basel leider keine Meldepflicht für Massenkündigungen – auch die Behörden wissen nicht über alle Fälle Bescheid.» Diese betreffen häufig Menschen, die nicht wissen, wie man sich gegen Massenkündigungen wehrt.

Licht an!

Wir können helfen. Bajour wendet die Rasterfahndung derzeit auf den ganzen «Wem gehört Basel?»-Datensatz an. Das dauert ein wenig, aber wir kommen voran. Gleichzeitig haben wir auf Telegram und Facebook Gruppen erstellt mit Menschen, die Interesse gezeigt haben, bei kommenden Recherchen mitzuhelfen.

Das Ziel: Mehr Transparenz in Sachen Massenkündigungen in Basel. Denn nur, wenn die Stimmbürger*innen wissen, welche Player mit welchen Entscheiden den Basler Wohnungsmarkt verändern, können sie die aktuelle Wohnpolitik beurteilen und informiert abstimmen.

Möchtest du auch mithelfen, mehr Transparenz zu schaffen? Hier ist eine (noch völlig unbearbeitete Liste) mit Wohnhäusern aus den 70er- und 80er-Jahren mit mindestens zehn Wohnungen und im Besitz von Anlagestiftungen. Schnapp dir eine Adresse, recherchiere im Internet, ob du Hinweise auf eine anstehende Sanierung findest, und teile dein Recherche-Ergebnis in der Facebook- oder Telegram-Gruppe.

Anmerkung: diese Liste ist ein Rechercheinstrument. Erscheint ein Haus auf dieser Liste, dann weil es gewissen Kriterien entsprochen hat. Das bedeutet noch nicht, dass eine Sanierung / Massenkündigung ansteht. Journalist*innen arbeiten mit solchen Listen – zunächst werden Hinweise gesucht, dann die Verantwortlichen mit den Rechercheergebnissen konfrontiert.

«Wem gehört Basel?» ist eine Crowd-Recherche, an der über 1000 Personen mitgemacht haben – schau dir mal das Impressum an! Ohne die Crowd könnte Bajour niemals Licht ins Dunkle der Immobilien-Blackbox bringen. Das wollen wir fortsetzen, dazu haben wir die beiden Social-Media-Gruppen erstellt.

Inspiration / Projektteam

«Wem gehört Basel?» ist inspiriert vom Schwarm-Rechercheprojekt "Wem gehört die Stadt?" des Recherchezentrums Correctiv aus Deutschland. Zudem durften wir Teile des Python-Codes zur Datenauswertung von unserem Partnermedium tsri.ch übernehmen – 🤍️ dafür. Und das Webtool, mit dem die Bajour-Crowd Besitzer*innendaten sammelt, basiert auf Open Source Code, unter anderem von vue.js / nuxt.jsexpress.js in Verbindung mit node.js sowie der Hosting-Magie von Netlify.

Für Bajour an der Umsetzung beteiligt waren: Romina Loliva, Manuela Paganini, Silvan Hahn, Samuel Hufschmid, das ganze Bajour-Team und über 150 freiwillige Crowdsourcer*innen - hier findets du das ganze «wem gehört Basel»-Team.

Einen Einblick ins Projekt geben dir unsere Werkstatt-Gespräche auf Youtube.

Wem gehört Basel?

Wird geladen