Krankenkassen und Psycholog*innen streiten übers Geld

Ab Juli können theoretisch mehr Patient*innen ihre Therapie über die Krankenkasse abrechnen. Doch die Verhandlungen über den Tarif sind schwierig.

Depression
Eine Psychotherapie wäre für Eliane essenziell.

Eliane ist 33 und versinkt in einer Depression. Sie hat weder Zusatzversicherungen noch das Geld, um sich privat eine Therapie leisten zu können. Eliane braucht Hilfe. In einer idealen Welt würde sie diese sofort und niederschwellig erhalten.

Die Realität aber ist kompliziert. Eliane ist zwar fiktiv, aber ihre Situation kennen viele. Die freien Plätze sind rar und nicht alle Therapien sind von der Grundversicherung abgedeckt. Das Krankenkassenmodell für die Psychotherapie soll deshalb angepasst werden. Am 1. Juli tritt der Wechsel vom Delegationsmodell auf das Anordnungsmodell in Kraft. Dieser sollte eigentlich eine Entspannung an der Psychotherapie-Front bringen, da mehr Plätze über die Grundversorgung abgerechnet werden könnten. Für Eliane ist also theoretisch gesorgt. 

Theoretisch. Denn: Krankenkassen und Dachverbände können sich noch auf keinen neuen Tarif einigen.

Was soll der Wechsel bringen?

Im Delegierten-Verhältnis müssen psychologische Psychotherapeut*innen, um über die Grundversorgung abrechnen zu können, bei einem*r Psychiater*in angestellt sein. Psychotherapeut*innen haben ein Psychologiestudium absolviert und anschliessend einen eidgenössisch anerkannten Fachtitel als Psychotherapeut*in erworben.

Psychiater*innen haben ein Medizinstudium und eine anschliessende Fachausbildung absolviert. Um über die Grundversorgung abzurechnen, bedarf es einer Anordnung durch den*die Hausärzt*in.

Patient*innen, deren Therapeut*in nicht delegiert arbeiten, zahlen in diesem Modell die Therapiestunden selbst oder haben eine Zusatzversicherung.

Im neuen Anordnungsmodell können psychologische Psychotherapeut*innen selbstständig arbeiten und trotzdem über die Grundversorgung abrechnen, sofern ihre Patient*innen eine Überweisung des*der Hausärzt*in haben. Das Anordnungsmodell tritt am 1. Juli in Kraft. Es gilt eine Übergangsfrist bis Ende 2022.

Seit über einem Jahr stehen die Kassenverbände zusammen mit den Berufsverbänden der Psycholog*innen in Verhandlung um einen provisorischen Tarif. Doch die Verhandlungen stocken. CSS und Tarifsuisse, Tochter der Santésuisse, empfinden den von den Dachverbänden der Psycholog*innen angestrebten Betrag als zu hoch. Die Föderation der Schweizer Psychologinnen und Psychologen (FSP) will sich zur genauen Höhe nicht äussern. Die CSS verblieb am Verhandlungstisch, Tarifsuisse nicht.

CSS und Tarifsuisse wollen die Entscheidung nun den Kantonen überlassen. Dazu reichten sie beim Kanton einen Antrag mit ihren Tarifvorstellungen ein: 136 Franken pro Therapiestunde im Kanton Basel-Stadt. Der gleiche Tarif, der bisher im Delegationsmodell galt. 

«Heilloses Durcheinander» droht

Dieser Tarif von 136 Franken ist laut FSP für die Psycholog*innen wirtschaftlich nicht tragbar. Als neu Selbständige tragen sie das wirtschaftliche Risiko sowie die Kosten für Infrastruktur und Betrieb.

Die Fronten sind entsprechend verhärtet. Muriel Brinkrolf, Geschäftsführerin des FSP, warnt vor einem «heillosen Durcheinander», wenn bis zum Stichtag tatsächlich kein für alle akzeptabler Tarif gefunden wird. Die CSS sieht das anders: Ihr Antrag beim Kanton soll dafür sorgen, dass es ab Juli einen provisorischen Tarif gibt, heisst es auf Anfrage. 

«Ein kantonaler Flickenteppich mit unterschiedlichen Tarifen ist wenig sinnvoll.»

von Sarah Wyss, Basler Nationalrätin (SP)

Dass der beantragte Tarif unhaltbar sein soll, versteht man bei der Santésuisse nicht: «Es ist nicht einzusehen – und war auch nicht Teil der Debatte beim Wechsel des Modells – warum für dieselbe Leistung deutlich mehr bezahlt werden soll als bis anhin», sagt Kommunikationsleiter Matthias Müller. Und fügt hinzu: «Wir sind jederzeit gerne bereit, über einen definitiven Tarif zu verhandeln.»

Sicher ist: Bundesrat oder Kantone müssen den Tarif festlegen, wenn sich die Verhandelnden nicht einigen. «Bund und Kantone haben einen Versorgungsauftrag. Kommt kein Tarif zustande, kann dieser nicht erfüllt werden», sagt die Basler SP-Gesundheitspolitikerin Sarah Wyss. 

Damit es kein Flickwerk gibt und in jedem Kanton ein anderer Tarif gilt, wäre es laut Wyss gut, wenn der Bund nun die Zügel in die Hand nimmt und gemeinsam mit den Akteur*innen alles daran setzt, gemeinsam einen Tarif zu finden und sonst einen festlegt. «Ein kantonaler Flickenteppich mit unterschiedlichen Tarifen ist wenig sinnvoll.»

Für Eliane heisst es: weiter hoffen

Was aber, wenn der Tarif für die Therapeut*innen dann noch immer zu niedrig liegt? Laut Psychotherapeut*innen-Verbandspräsident Gassan Gradwohl würde das im schlimmsten Fall bedeuten, dass ab Juli weniger Therapieplätze als geplant über die Grundversicherung finanziert würden. Betroffene, die nicht aus eigenen Mitteln für eine Therapie aufkommen könnten und über keine Zusatzversicherung verfügten, müssten dann wie bis anhin lange Wartezeiten in Kauf nehmen.

Gradwohl ist verhalten optimistisch. «Im Moment ist alles noch im Tun. Wir setzen uns dafür ein, dass wir ab Juli zu einem angemessenen Tarif über die Grundversicherung abrechnen können.»

Personen, die wie Eliane an psychischen Problemen leiden, ermutigt Gradwohl, sich frühzeitig Hilfe zu suchen und sich von den aktuellen Wartefristen nicht abschrecken zu lassen. Auf der Webseite des VPB und auf Doc24 könne man sich über die Therapieangebote in Basel informieren.

Auf Doc24 sind zurzeit (Stand 18. Mai) acht von 22 Therapeut*innen verfügbar, die über die Grundversicherung abrechnen. Gerade mal einer hat eine Wartefrist von unter einer Woche.

Eliane und andere Patient*innen hoffen, dass sich die Tarifpartner*innen rechtzeitig einigen. Nur so erhalten sie die rasche Hilfe, die sie in der Krise benötigen.

Herz Bär
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