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Lutz/Fetz

«Manches, was Jungfeministinnen fordern, geht mir auf den Wecker»

Hat der heutige Feminismus den Fokus verloren? Das fragt die pensionierte Protestlerin Anita Fetz die klimabewegte Pauline Lutz. Die beiden spielen sich bei Bajour regelmässig generationenübergreifend den Ball zu.

12/02/20, 03:50 AM

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(Foto: Junger Rat)

Liebe Pauline

Hast du dich gefreut, dass mit Kamala Harris die erste Frau und Person of Color Vizepräsidentin der USA wird? Ich finde es toll. Auch wenn ich weiss, dass die Welt damit nicht gleich besser wird.

Geärgert hat mich, dass ein Teil der feministischen Szene in den USA gleich losgemeckert hat, Harris verdanke ihre Nomination und Wahl nur der #metoo- und der Black-Lives-Matter-Bewegung. Ja und? Da würde ich klare Forderungen an sie stellen und nicht kleinkariert rumzicken.

Sie sei gar keine richtige Feministin, wird kritisiert. Was ist denn eine richtige Feministin? Ich betrachte mich seit 40 Jahren als Feministin. Für die Gleichstellung der Frauen habe ich mich sehr praktisch und hartnäckig engagiert. Ob andere das feministisch genug finden, ist mir ziemlich egal.

«Man kommt nicht als Frau zur Welt, sondern wird es.»

Simone de Beauvoir, französische Schriftstellerin, Philosophin und Feministin

Letztlich muss jede Frau ihren persönlichen Emanzipationsprozess machen und sich von gesellschaftlichen Vorurteilen befreien. Die Freiheit muss frau sich selbst nehmen, die bekommt keine geschenkt.

Bei der heutigen Genderdebatte habe ich oft das Gefühl, dass sie Rollenstereotype eher vertieft als lockert und sie sich manchmal arg auf Nebenschauplätze verirrt. Unvergessen ist mir der Kampf gegen ein Gedicht an einer Berliner Hausfassade, das Frauen mit Blumen vergleicht und als Gipfel des Sexismus verboten worden ist. Crazy!

Oder der neuste Nonsens aus dem Basler Rathaus: männliche Grossräte würden länger reden als weibliche. Das müsse sich ändern. Ehrlich, mich interessiert nicht, wie lange jemand im Parlament redet, sondern ob man dort gute Politik für die Bevölkerung macht. Diese Beschäftigung mit der eigenen Befindlichkeit angesichts der Pandemiekrise, bei der viele um ihre Existenz bangen, finde ich fast schon dekadent.

«Nette Frauen kommen in den Himmel, böse überall hin»

Buchtitel der deutschen Psychologin Ute Ehrhardt

Die Heldin meiner Kinderjahre war Pippi Langstrumpf, die so lebte wie es ihr gefällt. Das wollte ich auch. Und die rote Zora, die zusammen mit ihrer Bande für Gerechtigkeit kämpft, auch das gefiel mir sehr.

Weibliche Vorbilder gab es damals noch wenige – für mich war es meine Mutter, die voll erwerbstätig war und ihre drei Töchter, unterstützt von meinem Vater, zu eigenständigen Menschen erzogen hat. Mir war eines früh klar: ich will auf jeden Fall immer ökonomisch unabhängig sein. Und ich wollte Einfluss zusammen mit anderen, um mit 20 Jahren die Welt, später dann etwas bescheidener, unsere Gesellschaft zu verändern.

«Macht entspricht der menschlichen Fähigkeit, nicht nur zu handeln und etwas zu tun, sondern sich mit anderen zusammenzuschliessen und im Einvernehmen mit ihnen zu handeln.»

Hannah Arendt, deutsche Philosophin in ihrem Buch «Macht und Gewalt»

Heute sind die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen – zumindest bei uns – für ein selbstbestimmtes Frauenleben mit oder ohne Partner*in, mit oder ohne Kinder sehr viel besser. Natürlich gibt es noch einiges zu tun bezgl. Sexismus, Lohngleichheit, Vereinbarkeit und Repräsentanz. Aber ehrlich gesagt, manches was einige Jungfeministinnen fordern, geht mir auf den Wecker.

Zum Beispiel eine jüngst gestellte Forderung in der SP, es dürfe sich kein Mann für eine Regierungsnomination zur Verfügung stellen. Und das in einer Partei, deren kantonale Fraktion 50% Grossrätinnen und national 60% Nationalrätinnen hat. Ich habe Kandidierende immer danach beurteilt, was sie politisch vertreten. Wenn eine Frau ähnliche politische Ziele vertrat, habe ich sie gewählt, sonst nicht.

Ich bin zwar für Quoten, aber wichtiger ist mir, dass die Mindestlöhne erhöht werden und die soziale Ungerechtigkeit beseitigt wird. Frausein ist kein politisches Programm.

«Es gibt einen besonderen Platz in der Hölle für Frauen, die anderen Frauen nicht helfen.»

Madeleine Albright, ehemalige Aussenministerin der USA

Die Forderung nach bedingungsloser Frauensolidarität teile ich nicht. Dazu sind die weiblichen Lebenskonzepte, die soziale Stellung und Interessen viel zu unterschiedlich. Frauen haben das Recht auf Vielfalt und Meinungsunterschiede!

Aber ich finde, dass Frauen sich gegenseitig unterstützen sollten. Ich nenne das kollegiale «sisterhood».

«Ich wünsche für Frauen keine Macht über Männer, aber die Macht über sich selbst.»

Mary Wollstonecraft, englische Schriftstellerin und Frauenstimmrechtskämpferin im 18. Jh.

Die Vereinbarkeitsfrage ist für mich kein Frauenthema, sondern eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die es Eltern erlaubt, Beruf und Familie zu teilen. Dazu braucht es auch keine Beratungsstelle, wie sie kürzlich im Grossen Rat gefordert worden ist. Wie Paare mit Kindern sich organisieren, ist keine staatliche Aufgabe.

Hingegen ist es eine wichtige staatliche Aufgabe, gute Kitas und Tagesschulen zur Verfügung zu stellen, die nicht gebühren- sondern steuerfinanziert sind wie die Schule. Das erst macht sie für Eltern mit mittleren Einkommen voll nutzbar.

Meine Vision ist nicht eine feministische Gesellschaft, sondern eine egalitäre und vielfältige, wo es keine Rolle spielt, welches Geschlecht, welche Hautfarbe oder sexuelle Orientierung jemand hat.

Meine heutigen Heldinnen sind z.B. jene Iranerinnen, die unter Einsatz ihrer persönlichen Freiheit gegen den Verschleierungszwang in ihrem Land für die weibliche Freiheit kämpfen.

Herzlich,

Anita

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Paulines Antwort liest du bald hier bei Bajour.

Die Kleinunternehmerin und ehemalige Ständerätin Anita Fetz (1957) politisierte bei der SP. Pauline Lutz (2002) engagiert sich bei der Basler Klimajugend und studiert internationale Beziehungen in Genf.

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