Kopiert!

Diese Kinder finden rauchen doof – und lesen trotzdem Zigistummel anderer Leute auf 

Der Basler Verein «e9 jugend & kultur» braucht Geld. Und hat sich etwas überlegt: Statt bei einen Sponsorenlauf Runde um Runde zu rennen, sammeln die Kinder und Jugendlichen weggeworfenen Zigistummel.

12/20/19, 02:53 PM

Kopiert!

Jetzt brauche ich eine Zigarette. Seit einer guten Stunden begleite ich Miladin Matic und sein Team durch Basel. Immer wieder hält Matic inne, pickt mit einer Greifzange einen Zigarettenstummel auf und steckt ihn vorsichtig in eine Pet-Flasche. Das Team hat es sich zur Aufgabe gemacht, innerhalb eines Monats möglichst viele achtlos weggeworfene Zigaretten zu sammeln. Denn der Verein «e9 jugend & kultur», bei dem Matic in der Geschäftsleitung ist, muss  Geld auftreiben. Die erste Idee eines Sponsorenlaufs verwarf der Verein, der ausserschulische Angebote für Kinder und Jugendliche bietet. Sinnloses Rundenrennen, sich die Lunge aus dem Leibe husten, bis nichts mehr geht, das wollten die Verantwortlichen den Jungen nicht antun. Etwas Sinnvolleres sollte her. 

Also stehen wir nun mitten in der Gerbergasse – Matic bewaffnet mit schwarzen Gummihandschuhen, Greifzange und 1,5-Liter-Flasche, ich mit Notizblock und Kamera. 

Die Zigipackung steckt verschämt in meiner Jackentasche. Ich bin Raucherin und gehöre zu diesen Übeltäter*innen, die Zigaretten nicht immer im Aschenbecher oder im Abfall entsorgen. 80 Franken Bussgeld kostet das unachtsame Verhalten. Theoretisch. Praktisch büsst die Polizei kaum jemanden, wie Pressesprecher Toprak Yerguz bestätigt.

Mit grossem Eifer sammelt der 11-jährige Finn fremde Zigistummel auf.

Mit grossem Eifer sammelt der 11-jährige Finn fremde Zigistummel auf. (Foto: Franziska Zambach)

Plötzlich flitzt Finn an uns vorbei. «Wir reinigen die Stadt Basel», ruft er. Der 11-Jährige ist ein Wirbelwind. Er besucht regelmässig die Angebote der «e9». Heute Abend ist er mit uns unterwegs – und lässt die «Kingsnight» sausen, so heisst der Jungsabend im Jugendzentrum. Er springt voraus, sammelt in einer Ecke alle Stummel ein, dann rennt er zur nächsten Ecke und puhlt dort eine weitere Zigarette aus einer Ritze im Kopfsteinpflaster. 

Bereits zum vierten Mal begleitet Finn die Sozialen Arbeiter*innen in den zwei Abendstunden. «Ich finde es voll cool, dass wir das machen. Damit ermutigen wir andere, Zigaretten nicht mehr wegzuwerfen.» Das Rauchen sei sowieso ziemlich «gruusig», sagt er.

Also lasse ich meine Zigipackung schön versteckt in meiner Jacke. Matics Flasche ist bereits zu einem Viertel mit Zigarettenstummeln gefüllt. Nach zwei Stunden unterwegs wird er den Inhalt in zwei langen, durchsichtigen Röhren im Eingang des Jugendzentrums an der Eulerstrasse 9 leeren. Seit dem 3. Dezember sind Freiwillige der «e9» gemeinsam mit Kindern und Jugendlichen jeweils von 18 bis 20 Uhr in der Stadt unterwegs. 25’000 Zigistummel sind so zusammengekommen. Ein eindrücklicher Anblick, aber auch ein wenig eklig, denke ich, und habe trotzdem Lust, zu rauchen. 

Miladin Matic, Geschäftsführer des Vereins «e9 jugend & kultur» füllt die durchsichtigen Säulen mit den gesammelten Zigaretten.

Miladin Matic, Geschäftsführer des Vereins «e9 jugend & kultur» füllt die durchsichtigen Säulen mit den gesammelten Zigaretten. (Foto: Franziska Zambach)

«Auch mit wenig ist viel möglich»

Doch wie will der Verein nun den Abfall zu Geld machen? Spender*innen können einen Betrag pro zehn gesammelter Zigaretten zahlen. Zehn Prozent der Einnahmen gibt der Verein der Lungenliga weiter. Die Kinder haben fertig Zigistummel gesammelt, spenden kann man aber noch bis Ende Jahr. 

Doch die «e9»-Verantwortlichen hatten mehr erwartet. «Es haben enttäuschend wenig mitgewirkt. Das hat uns schon ein bisschen entmutigt.» Das Ziel von 52’000 Zigarettenstummel verfehlt der Verein klar. «Wir wollten 52’000 Stummel sammeln, da es in Basel rund 52’000 Raucher*innen gibt», erklärt Matic. Die Aktion hatten sie in ihrem Umfeld und in den sozialen Medien beworben. Doch das Echo sei gering ausgefallen, resümiert er enttäuscht. Gerade mal zwölf Personen haben Geld gespendet – und nur wenige Freiwillige hätten sich gemeldet. «Die Idee begeistert zwar viele, aber sobald es praktisch werden soll, kommt nicht mehr so viel.» Was auch damit zu tun haben könnte, dass viele Kinder zu klein sind, um ohne Eltern zu kommen. Trotzdem ist er beeindruckt, was zusammen gekommen ist. «Es zeigt, dass mit wenig viel möglich ist.»

Nach zwei Stunden verabschiede ich mich und zünde mir eine Zigarette an. Zur Nichtraucherin werde ich definitiv nicht, aber die Zigarette achtlos auf die Strasse werfen, kommt mir nicht mehr in den Sinn. Danke, Finn.

(Foto: Franziska Zambach)

Wird geladen