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Willst du Lebensmittel online shoppen, aber ohne Plastikverpackung?

Das Startup «Lyfa» aus Basel will die Schweizer*innen dazu bringen, ihre Lebensmittel online zu bestellen – ohne den üblichen Verpackungsabfall. Die beiden Gründer, zwei junge Briten, glauben, eine Marktlücke gefunden zu haben.

12/03/21, 04:00 AM

Aktualisiert 12/03/21, 08:40 AM

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Das «Lyfa»-Team: Die zwei Gründer Michael und Lewys und die Marketing-Expertin Anna (v.l.n.r.).

Das «Lyfa»-Team: Die zwei Gründer Michael und Lewys und die Marketing-Expertin Anna (v.l.n.r.). (Foto: Ina Bullwinkel)

Ohne einen neuen Plan zu haben, kündigte Michael May Anfang 2019 seinen Job als Ingenieur bei einer grossen Basler Firma. «Ich war den Job sehr naiv angegangen, was die Branche und auch die Firma anging. Es war mir zu profitorientiert. Als ich das realisiert habe, bin ich gegangen.» Einen Tag nach seinem letzten Arbeitstag wachte Michael May mit dem Gedanken auf, künftig ein wenig anders zu leben, eine bessere Version seiner selbst zu werden. Er beschloss, als ersten Schritt im Unverpackt-Laden in seiner Strasse einzukaufen.

Auch wenn ihm das Konzept des verpackungsfreien Einkaufs gefiel, kamen Michael May sofort viele Ideen, was man besser laufen machen könnte. «Ich fand es umständlich, alle meine Gläser und Behälter sauber zu machen und zu wiegen, viel Geld zu bezahlen und alles nach Hause zu tragen.» Regelmässig wollte er das nicht tun.

Nicht mal 24 Stunden nach Michaels «Ich-muss-mein-Leben-ändern-Eingabe» war die Idee entstanden, die heute «Lyfa» heisst und ein junges Startup ist: Ein Online-Lebensmittelshop für Unverpacktes.

«Durch Corona wurden viele Menschen in der Schweiz offener gegenüber der Idee, Lebensmittel online einzukaufen.»

«Lyfa»-Gründer Michael May

Die Pandemie und der Shutdown gaben «Lyfa» Schub: «Durch Corona wurden viele Menschen in der Schweiz offener gegenüber der Idee, Lebensmittel online einzukaufen. Während das in Grossbritannien schon vor Corona ganz normal war, musste man die Menschen hier erst einmal vom Konzept überzeugen», erzählt Michael.

Sich Lebensmittel liefern zu lassen, wird in der Schweiz immer beliebter, so wie das Online-Shopping allgemein. Der Umsatz im E-Commerce-Markt für Lebensmittel und Getränke stieg von 754 Millionen Euro im Jahr 2019 auf 997 Millionen Euro im Corona-Jahr 2020. Und die Umsätze sollen weiter steigen. Das macht die Branche gerade so attraktiv.

Hipper Junggründer in Sneakers

«Lyfa», ausgesprochen wie das Liefern, hat seinen Sitz, der Büro und Lagerraum in einem ist, in der Aktienmühle im Klybeck. Ein Ort, der viele Kreative und Jungunternehmer*innen anzieht. Michael May, typisch hipper Gründer in Sneakers und Sweatshirt, zeigt die Regale, in denen Gläser mit eingemachtem Gemüse, Saftflaschen, Olivenöl und Teigwaren lagern. Alles bereit, um versandt zu werden. «Gerade letzte Woche begannen wir, auch an Haushalte ausserhalb von Basel zu verkaufen.» Michael erzählt auf Englisch, er kommt ursprünglich aus Schottland. Ein wenig Deutsch spricht er aber auch. Seine Mutter ist aus Deutschland.

Das Lager, das gleichzeitig als Büro herhält, beherbergt die gut 300 verschiedenen Produkte.

Das Lager, das gleichzeitig als Büro herhält, beherbergt die gut 300 verschiedenen Produkte. (Foto: Ina Bullwinkel)

Der Rundgang ist schnell gemacht, es gibt ja nur einen Raum. Neben dem Bereich mit den Regalen hängt ein Whiteboard hinter einem grossen Tisch, an dem Michael, Lewys und Anna arbeiten. Die Drei sind das Kernteam: zwei Gründer und eine Marketing-Expertin.

Michael May war bei der Geburt von «Lyfa» 25 Jahre alt und wollte es einfach mal probieren mit dem Gründen. Er glaubt, früher oder später wäre es so oder so dazu gekommen. Das Gründen passe zu seiner Mentalität, Führungsrollen habe er immer angestrebt. An Selbstbewusstsein fehlt es dem Startupper also schon mal nicht.

Michael kam aus Grossbritannien für die Arbeit nach Basel. Der Umzug in die Schweiz lag wegen seiner deutschen Mutter vor allem wegen der Sprache nahe. Nachdem er seinen Job gekündigt hatte, entschied er erst einmal in Basel zu bleiben und seine Firmenidee hier umzusetzen. «Die Menschen in der Schweiz sind angetan von nachhaltigen und lokalen Produkten, deshalb ergab es Sinn, ‹Lyfa› hier zu gründen.»

«Es fiel uns kein spezifischer Grund ein, warum es mit ‹Lyfa› nicht funktionieren würde.»

«Lyfa»-Gründer Michael May

Mit Lewys, seinem Studienfreund und ehemaligen Mitbewohner, der ebenfalls Ingenieur ist, hat Michael schon seit mehreren Jahren mögliche Geschäftsideen durchgespielt. «Aber immer kamen uns Gründe in den Sinn, warum es nicht funktionieren würde. Bei «Lyfa» war es das erste Mal, dass uns kein spezifischer Grund einfiel. Auch wenn es natürlich viele Faktoren gibt, warum ein Geschäft scheitern kann», sagt Michael und lacht.

Die beiden wagten es. Mit einem Crowdfunding sammeln sie etwas mehr als 28’000 Franken ein, 20’000 davon brauchen sie, um die Firma in der Schweiz überhaupt gründen zu können. «Das Crowdfunding fand kurz vor Corona statt. Wir hatten geplant, im April anzufangen. Im März entdeckte ich dann bei Google Trends, dass die Suche nach ‹Lebensmittel› durch die Decke ging, weil die Menschen mehr und mehr zu Hause blieben. Wir haben unseren Start dann einige Wochen vorgezogen.»

Wie funktioniert das Einkaufen?

Das Einkaufen bei «Lyfa» läuft nach dem gleichen Prinzip ab wie andere Online-Shops. Die Kund*innen wählen Produkte aus und legen sie in den virtuellen Warenkorb. In Basel werden die bestellten Lebensmittel mit dem Cargo-Velo ausgeliefert – in wiederverwendbaren Verpackungen.

Im Rest der Schweiz unterstützt das Schweizer Logistikunternehmen Planzer mit dem Zug, und auf den letzten Kilometern mit dem Lkw, bei der Auslieferung. In Zermatt werden die Waren mit der Kutsche geliefert, da keine Autos erlaubt sind. Die leeren Behälter werden bei der nächsten Lieferung wieder abgeholt und gereinigt.

Die meisten der ersten Kund*innen stellten vor allem einen Testlauf dar. «Ich bat einen Freund, drei seiner Freunde zu werben, die mich nicht kannten. Sie bekamen Lebensmittel umsonst geliefert und gaben uns Feedback.» Die allererste richtige Kundin fand den Laden allerdings ganz allein. «Wir gingen online und drei Stunden später hatten wir unseren ersten Auftrag. Wir wissen nicht, wie sie auf uns gekommen ist, wahrscheinlich einfach durch die Google-Suche.»

Jetzt, knapp anderthalb Jahre nach dem Start, ist die Auswahl noch immer überschaubar. Seit Kurzem umfasst der Online-Shop 300 Produkte. Seit Mitte November liefern sie neben Basel in die ganze Schweiz und nach Liechtenstein. 

Neu gibt es etwa verschiedene Sorten Bohnen, Senf, Ketchup, Kokosnussöl und mehrere Sorten Müesli. «Oh und Erdnussbutter!», fällt Michael ein. «Wir haben etwa zwei Jahre nach passender Erdnussbutter gesucht.» Nur, weil wir die beiden Gründer sie selbst so gern mögen. «Jetzt haben wir endlich einen Lieferanten gefunden, der Erdnussbutter in Gläsern verkauft, die wir dann zurückgeben und wiederverwertet werden.» Es sei der gleiche Lieferant, der auch den Senf und Ketchup anbietet. «Also geht die Verpackung an einen Ort zurück und nicht an viele verschiedene.»

Fertig zum Ausliefern: Eine Kiste mit Einkaufstaschen. Ob sich dieses Pack-Konzept dauerhaft etabliert, wird sich zeigen.

Fertig zum Ausliefern: Eine Kiste mit Einkaufstaschen. Ob sich dieses Pack-Konzept dauerhaft etabliert, wird sich zeigen. (Foto: Ina Bullwinkel)

Schwer sei es auch gewesen, einen Hersteller für Toilettenpapier zu finden. Das liegt an den eingekauften Mengen, noch ist «Lyfa» zu klein. «Bis wir nicht sagen können, wir brauchen 5’000 Rollen, wird uns niemand zuhören. Es wird ein wenig dauern, bis wir so grosse Mengen einkaufen, dass die Hersteller bereit sind, uns ihr Produkt ohne Verpackung zu verkaufen. Bei kleinen Mengen wäre das zu viel Aufwand für sie.»

«Lyfa» muss sich erst etablieren – nicht nur bei den Kund*innen, auch bei den Lieferant*innen. «Wir haben eine relativ kleine Produktauswahl, wir konzentrieren uns auf Trockenlebensmittel, weil wir finden, dass dies der Bereich ist, in dem es besonders schwer ist, verpackungsfrei einzukaufen. Obst und Gemüse kann man dagegen recht einfach ohne Verpackung in Supermärkten wie Coop oder Migros bekommen.»

Coop und Migros sind «Lyfas» grösste Konkurrenz, zumindest deren Online-Angebote. Sie sind viel grösser, haben den Vorteil, dass alle in der Schweiz sie kennen und sie können viel mehr anbieten – nur nicht unverpackt.

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Das Geld aus dem Crowdfunding ermöglichte ein bisschen mehr als die blosse Gründung. «Wir kreierten die erste simple Version der Website und gewannen die ersten Kunden.» Corona habe ihnen einen «kleinen Boost» gegeben, aber von heute auf morgen vertrauten die Leute einer jungen Marke nicht. Es spiele auch ein anderer Aspekt eine wichtige Rolle: das Schweizerische. «Wir haben früh gelernt, dass Schweizer Schweizer Produkte mögen. Deshalb ist es ein Vorteil, eine Schweizer Firma zu sein.» Für zwei britische Gründer sei das nicht immer leicht glaubwürdig rüberzubringen.

Die erste Finanzierung für «Lyfa» kam letztes Jahr von einem Investor aus Kopenhagen, Rockstart Agrifood. Dieses Jahr ist eine richtige Finanzierungsrunde gestartet, angeführt von der Schweizer Startup-Gruppe Serpentine Ventures aus Zürich. Dazu kamen erneut Rockstart und ein Investor aus Basel. «Es war keine riesige Menge Geld, aber genug um die Grundsteine zu setzen.» Und das bedeutete einen Standort zu finden, Produkte einzukaufen und Anna in Vollzeit als Marketing-Verantwortliche anzustellen. «All das hat dazu geführt, dass wir heute in der Lage sind, unsere Produkte im ganzen Land anzubieten.»

Nur etwas für reiche Hippies?

Wer durch das Sortiment stöbert, entdeckt schnell, dass viele Produkte aus biologischer Herstellung stammen, Fleisch wird nicht angeboten, es gibt die Kategorie «Gut für Veganer». Sieht so also die Zielgruppe aus: jung, hipp, vegetarisch oder vegan? «Wir zielen nicht unbedingt auf Veganer oder Vegetarier ab. Unsere Zielgruppe ist vor allem umweltbewusst. Die Entscheidung, kein Fleisch anzubieten, war eher eine persönliche. Wir möchten gute Produkte anbieten und gleichzeitig nicht die teuersten Premium-Produkte.» Hinter «Lyfa» steckt das Bewusstein für Zero Waste, also beim Konsum keinen Abfall zu produzieren. Viele verbinden damit Hippies, die viel Geld für umweltfreundliches Einkaufen ausgeben können und wollen. Michael definiert seine «target group» anders.

«Die demographische Zielgruppe sind für uns vor allem junge Familien, die etwas Gutes für sich und ihren Haushalt tun möchten. Die andere Gruppe besteht aus ‹young professionals› so wie ich selbst: Millennials, die sehr umweltbewusst sind und die Möglichkeit und das Geld haben, etwas anders zu machen.» Gleichzeitig wolle diese Gruppe Bequemlichkeit und nicht ihre Zeit im Supermarkt verbringen. «Wir haben herausgefunden, dass Familien so viel anderes zu tun haben und dass sie keine Zeit dafür aufwenden wollen, zusätzlich in einem Unverpacktladen einzukaufen.»

Trotzdem stehe «Lyfa» noch am Anfang. Der Online-Supermarkt sei momentan noch eine Ergänzung zum normalen Einkauf, nicht ein Ersatz. Und Michael macht sich keine Illusionen: «Die Kunden, die wir jetzt haben, sind die Superfans, die early adopters.» Es müssten noch viel mehr Menschen vom verpackungslosen Online-Einkaufen überzeugt werden. «Solange wir klein sind, müssen wir uns auf bestimmte Bereiche konzentrieren.» Eine neue Finanzierungsrunde steht im nächsten Jahr an, «dann wollen wir noch mehr wachsen».

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