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In Basel haben über 2000 Menschen gegen den Krieg in Rojava demonstriert und es war gar nicht mal so gefährlich

Die zum Mob hochstilisierte Kurden-Demonstration hat alle Befürchtungen ins Leere laufen lassen. Das ist gut für ihre Botschaft. Und wirft ein weniger gutes Licht auf uns schreibende Beobachter*innen der Realität. Hier gibts Demo-Szenen und Selbstkritik.

11/02/19, 07:42 PM

Aktualisiert 11/02/19, 07:41 PM

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Frauen und Kinder liefen an der Rojava-Demonstration zuvorderst, der gemischte Block kam nach.

Frauen und Kinder liefen an der Rojava-Demonstration zuvorderst, der gemischte Block kam nach. (Foto: Dominik Asche.)

Entschuldigen Sie die Fehlinformation, liebe Leser*innen, entschuldigen Sie, dass wir, die Medien, Sie am Samstag mit krawalliger Panikmache aus der Innenstadt ferngehalten haben. Wir haben uns krass verschätzt.

In der Basler Medienlandschaft wurden im Vorfeld einer Demonstration während einer Woche ein bügerkriegsähnliches Szenario herbeigeschrieben, es wurden Chaoten und Extremisten geortet, die Empörungsmaschinerie wurde über Tage mit Vermutungen und Prognosen gefüttert bis die sozialen Netzwerke glühten. Und passiert ist:

nichts.

Rund 2000 Menschen haben am Samstagnachmittag, den 2. November, gegen den Krieg in Nordostsyrien protestiert. Friedlich, bunt, laut. Wie eine richtige Demo eben. Wir haben hier ein paar Szenen eingesammelt. Und zum Schluss gibts eine Prise Selbstkritik.

«Es wird keine Ausschreitungen geben»

Es goss in Strömen, als sich kurz nach 13:00 Uhr die Demonstrant*innen auf dem Theaterplatz versammelten. Es wurden Reden gehalten, auf Kurdisch und Deutsch. Dann setzte sich der Demonstrationszug in Bewegung.

Özen Aytac, die als Mitorganisatorin und Sprecherin der kurdischen Frauenbewegung Schweiz für allfällige Eskalationen mitverantwortlich gemacht worden wäre, fand vor Beginn des Marsches deutliche Worte. «Es wird keine Ausschreitungen geben», sagte sie zu Bajour. «Wir sind nicht hier, um die Menschen zu stören oder jemanden anzugreifen. Wir sind hier, um die Menschen in den Strassen für den Krieg zu sensibilisieren.»

Zu diesem Zeitpunkt musste man diese Worte als mutiges Statement auffassen, denn es war ja noch früh, alles war möglich. Alles hiess in diesem Fall: die Eskalation. Die Live-Ticker, die den Umzug in einer medialen Parallelwelt begleiteten, lasen sich wie tickende Zeitbomben, «noch ist nichts passiert», hiess es allenthalben, «bisher bleibt alles friedlich», aber bald stand da auch: «Erste Demonstranten haben sich mittlerweile vermummt.» Alarmstufe Orange.

Am Barfüsserplatz filmte die Standbetreiberin Stephanie Menz die Demonstration aus ihrer Süsswarenbude und war not amused: «Klar ist das nicht toll fürs Geschäft, wenn in der NZZ ungefähr steht, der Krieg beginne hier, es werden Krawalle erwartet.» Sie selber kommt aus Bern, den Stand führt ihre Mutter seit 35 Jahren. «So etwas habe ich während der Herbstmesse noch nie erlebt, wir Standbetreiber*innen wussten schlicht nicht, was uns erwartet.»

Bajour : Wie erleben Sie die Situation?

Menz: «Na, bis jetzt ist es friedlich. Aber ein mulmiges Gefühl habe ich schon.»

Während des kurzen Gesprächs verkauft Menz einen Kübel Zuckerwatte, zwei Tüten Popcorn und einen Lollipop. Dennoch sei am morgen mehr los gewesen, sagt sie, im Augenblick seien wenig Leute auf dem Platz.

Wegen des Wetters oder wegen der Demo?

Menz: «Das kann ich schlecht abschätzen, aber kann ja sein, dass ein paar Familien an der Kaserne feststecken, weil die Trams nicht fahren.»

Einen schönen Nachmittag, Stephanie Menz. Hundert Meter weiter steht ein Paar am Strassenrand.

Bajour: Stört Sie diese Demonstration beim Einkaufsbummel?

Er: «Wer sind Sie?»

Bajour: Ich bin Journalist und schreibe einen Bericht über diesen Umzug.

Er: «Von welcher Zeitung denn, Bajour, nie gehört. Um ehrlich zu sein, wir sind wegen der Demonstration hier. Es wurde im Vorfeld so viel Schlechtes geschrieben, da dachten wir uns, jetzt erst recht. Wir halten das Anliegen für sehr wichtig und wollten uns selber ein Bild machen.»

Das Paar möchte lieber nicht fotografiert werden. Dafür steht da plötzlich Polizeisprecher Toprak Yerguz auf dem Trottoir und beobachtet die Lage. Wie er die Situation denn einschätze, will man wissen. «Alles in Ordnung, die Demonstration läuft geordnet, bis jetzt keine Probleme», sagt Yerguz. Man habe ja relativ spät erfahren, dass die Demonstration stattfinden soll, sagt er weiter, das hätte man optimalerweise gerne früher gewusst.

Die Bewilligung sei dann eine Sache der Konfliktabwägung gewesen.

«Durch die Bewilligung haben wir es von der Polizei mit Ansprechpartnern zu tun, die uns von Seiten der Demonstrierenden zur Verfügung stehen. Das ist sicher besser, als keine Bewilligung zu erteilen und damit das Risiko eines ungeordneten Umzugs ohne Kontaktpersonen einzugehen.» Mehrere Kastenwagen verfolgen die Demonstration in sicherem Abstand, wir stehen jetzt ganz hinten. Weiter vorne, in der Hälfte des Zugs, wird eine Rauchpetarde gezündet. Ist das eigentlich illegal? Yerguz: «Ja, schon. Aber wenns nur das ist.»

Pfiffe fürs Patriarchat

Bei der mittleren Brücke steht eine Familie mit zwei Kindern. Mit diesem Klientel war eigentlich nicht zu rechnen gewesen, denn Familien seien eine generell demonstrationsscheue Spezies, hatte man gelesen. Sie komme darum an diesem mittleren, für Messebetreiber so etragsreichen Messewochenende, nicht nach Basel.

Bajour: »Entschuldigen Sie, sind Sie heute wegen die Herbstmesse in Basel?»

Sie: «Ja, wir kommen aus Bern.»

Bajour: «Und die Demonstration hinter uns, was sagen Sie dazu?»

Er: «Das ist sicher ein wichtiges Anliegen, auch wenn ich nicht genau verstehe, um was es geht.»

Bajour: «Macht ihnen das nicht aus? Wie ist das mit den Kindern, haben die Angst?»

Sie: «Nee, aber man schaut natürlich schon genau hin, wenn so eine Demonstration um die Ecke kommt. Aber hier scheint alles in Frieden zu laufen. Wir warten hier mal das Ende ab.»

Die Ordner*innen in den gelben Westen sorgen auf der Brücke dafür, dass die Demonstration auf der Strasse bleibt. Die Trottoirs sind frei für den Gegenverkehr. Einige Passanten murmeln sauer in ihren Bart. Anderen ist das offenbar alles komplett egal. Auf dem Balkon des Hotel Merian steht das Patriarchat, so sagt es einer der Demonstrierenden, und wird von der Strasse aus ausgepfiffen. Es sind schwere Zeiten für Männer. 

(Foto: Daniel Faulhaber)

Um der Frauenrevolution in Rojava Rechnung zu tragen, haben die Demonstrierenden nur Frauen und Kinder an die Spitze des Zuges positioniert. Dahinter kommt der gemischte Block. Männer, Frauen, ganz wenige sind vermummt. Die Anordnung wird von Passanten aktiv registriert, wie Kommentare am Strassenrand bezeugen.

Es werden Flyer verteilt. Wer sich informieren will, wird informiert.

Ankunft am Claraplatz. Vor der UBS steht ein einzelner Wachmann. Nichts passiert. Niemand schert aus. Aus einer Soli-Küche im Leiterwagen werden Tee, Kaffee und Gebäck verteilt.

Vorbei an der Kaserne. Nichts passiert.

An der Kreuzung Feldbergstrasse / Klybeckstrasse bildet sich eine Autoschlange, jemand hupt wie wild. Weiter vorne im Umzug wird ein Feuerwerk gezündet, eine dieser Partyfackeln, die knallende Glühbälle ausspuckt. Die Demo skandiert Slogans. Aus den Fenstern schauen Menschen. Aus einem Fenster im obersten Stock schaut eine Frau, im Mund hat sie eine Trillerpfeife und trillert heftig. Applaus und Jubel von der Strasse.

Weiter gehts vorbei an allen Geschäften der Klybeckstrasse. Alles bleibt ruhig. Allmählich legt sich eine vorsichtige Entspannung über den Umzug. Zwischen dem Hauptzug der Demonstration und der Polizei wird es zu keiner Konfrontation mehr kommen, nicht mehr jetzt, am Ende der Route. Zwei junge Frauen bleiben am Rand des Umzugs stehen und umarmen sich lange, vielleicht auch aus Erleichterung. Nichts ist passiert, ein paar Plakate und Kleber wurden angebracht, sonst absolut nichts. Die Demonstration kommt vor dem Kulturhaus H95 zum Abschluss. Sie hat etwas über zwei Stunden gedauert.

Wer sind denn hier die Extremisten?

Und so stellt sich nach dem Ende dieser Veranstaltung die Frage, was man da eigentlich gerade erlebt hat. Und ob man daraus schüchterne Erklärungsversuche über das Verhältnis zwischen realer Öffentlichkeit und medialer Öffentlichkeit ableiten darf. Kann es zum Beispiel sein, dass gerade die extreme Berichterstattung, die mediale Krawallmacherei und, man muss das so sagen, das gezielte Schüren der Ängste vor einem diffusen Feindbild dazu beigetragen hat, dass diese Demonstration so friedlich, so tiefgreifend solidarisch abgelaufen ist?

Kann es also sein, dass es den Menschen da draussen unglaubwürdig vorkommt, wenn ihnen eine breit abgestützte Anti-Kriegs-Demonstration in Solidarität mit den Kurd*innen in Basel und überall auf der Welt als Schreckensgespenst verkauft wird, das womöglich die Buden ehrbarer Messebetreiber*innen in Stücke schlägt? Dass sie dadurch erst recht auf die Strasse gehen? Dass also die Anti-Strassenkampf-Presse die Menschen ein wenig mehr zu Strassenkämpfer*innen werden lässt?

Man kann die Frage auch umdrehen: Wenn es die Demonstrierenden nicht sind, wer sind dann hier die Extremisten?

Wenn die gesamte Medienlandschaft wegen eines einzelnen Absatzes im Aktionsaufruf auf einem linken Blog in Rage gerät, wenn sie darob durch die Messestände hetzt und entsetzte Stimmen aufstachelt, wenn sie Empörung einsammelt, wo sie sie finden kann (auf Twitter) und am Ende der Woche also die ganze Stadt aus Angst und Panik zu Hause sitzt, dort aber auf Nadeln, und mit Spannung die Live-Ticker im bald-gibts-Krawall-Modus verfolgt – und wenn dann rein gar nichts passiert. Wenn also die Stadt shoppingready darnieder liegt, aber keiner kommt, weil alle haben die Zeitung gelesen.

Dann muss man sich doch, auch aus wirtschaftlicher Sicht, fragen: Wer sind denn hier die Extremisten?

Wir bei Bajour hatten auf eine dramatische Vorberichterstattung verzichtet. Aber auch wir werden in Situationen kommen, in denen wir die Lage komplett falsch einschätzen, weil wir vor lauter «Geschichten» die Realität nicht sehen. Darum entschuldigen Sie die Fehlinformation, liebe Leser*innen. Entschuldigen Sie, falls wir, die Medien, Sie am Samstag mit unserer Berichterstattung aus der Innenstadt ferngehalten haben.

Am Rande der Herbstmesse einen Blick auf die Demonstration werfen: Geht.

Am Rande der Herbstmesse einen Blick auf die Demonstration werfen: Geht. (Foto: Dominik Asche)

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