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Schwerpunkt Armut

Teil 1 - Michael: «In meinem Alter will mich niemand mehr»

Armutsbetroffene erzählen, wie sie die Corona-Krise bewältigen. So auch Michael, 69.

05/26/20, 07:06 AM

Aktualisiert 05/26/20, 03:33 PM

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Wir trafen Michael, der anonym bleiben wollte, vor dem Caritas-Markt in Kleinbasel.

Wir trafen Michael, der anonym bleiben wollte, vor dem Caritas-Markt in Kleinbasel.

Die Corona-Krise macht vielen Menschen zu schaffen. Doch wie ergeht es jenen, denen jetzt plötzlich das Geld zum Leben fehlt? 

Einer von ihnen ist Michael*, den wir in der Schlange vor dem Caritas-Markt in Basel angetroffen haben, wo Bedürftige für wenig Geld ihre Lebensmitteleinkäufe machen können.

Michael, 69, pensioniert:

«Meine AHV reicht auch mit Zusatz kaum zum Leben. Darum bin ich seit ein paar Jahren selbstständig und stelle Automaten für Beizen auf. Aber damit ist seit ein paar Monaten Schluss. Aus, Ende. Es ist alles am Boden. Ich kriege keine Aufträge mehr. Seitdem vertreibe ich mir meine Zeit zu Hause vor dem Fernseher und gehe jede Woche einkaufen. Öfter sollte ich als Risikopatient – ich habe Zucker und Bluthochdruck – das Haus nicht verlassen. Manchmal helfe ich einer 90-jährigen Frau aus der Nachbarschaft aus, aber das wars auch schon.

«Wäre meine verstorbene Frau noch bei mir, wäre diese Krise viel erträglicher.»

Michael, 69

Ich lebe seit 1953 im Kleinbasel, habe 45 Jahre lang hier gearbeitet. Gelernt habe ich Elektriker, dann war ich lange Chauffeur. Vor dreieinhalb Jahren bin ich in Pension gegangen. Ich hatte mich darauf gefreut, mit meiner Ehefrau den Lebensabend zu verbringen. Wir hatten vor, gemeinsame Reisen und Ausflüge in der Schweiz zu unternehmen. Aber sechs Monate bevor wir beide in Rente gehen konnten, ist sie leider verstorben. Dass sie nicht mehr da ist, ist bis heute sehr schwierig für mich. Wäre sie noch bei mir, wäre diese Krise viel erträglicher. 

Aus erster Ehe habe ich zwei erwachsene Töchter. Die Trennung damals verlief nicht schön und ich habe leider keinen Kontakt mehr zu meinen Kindern. Vor Corona habe ich oft Fussball mit meinen Freunden gespielt. Das geht nicht mehr. Und wir können wegen der Sicherheitsempfehlungen auch sonst nichts miteinander unternehmen. Ich frage mich, wie’s weitergehen wird. Aktuell ist es sehr schwierig für mich, mich um einen neuen Job zu bemühen. Es gibt schlicht keine. In meinem Alter will mich zudem niemand mehr. Meine spärliche Rente ist aber auf Dauer auch keine Lösung.»

*Name von der Redaktion geändert

In einer Serie widmet sich Bajour dem Thema Armut in Basel. Dafür sprechen wir mit verschiedenen Menschen. In unserem nächsten Artikel berichtet Thomas, 47, warum ihm die Krise nur wenig anhaben kann, auch wenn seine Ersparnisse bald aufgebraucht sind.

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