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Bolzplatz

Lesbisch in einer Machowelt

Didi-Offensiv-Kolumnist Benedikt Pfister hat das Buch «Vorbild und Vorurteil» über homosexuelle Sportlerinnen gelesen. Und sich zuerst grad selbst beim Klischee ertappt.

05/29/20, 01:59 PM

Aktualisiert 09/14/20, 12:13 PM

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«Vorbild und Vorurteil» rockt die Presseschau. Und die zweite Auflage ist auch schon in Druck.

«Vorbild und Vorurteil» rockt die Presseschau. Und die zweite Auflage ist auch schon in Druck.

«Das sind jetzt also alles Lesben», ging es mir durch den Kopf, als ich das Buch «Vorbild und Vorurteil – Lesbische Spitzensportlerinnen erzählen» in die Hand nahm. Beim ersten Durchblättern dachte ich bei einigen Fotoporträts der 28 Frauen: «Naja, dass die jetzt lesbisch ist, ist keine grosse Überraschung». Und sogleich fühlte ich mich ertappt.

Diese Konfrontation mit eigenen Vorurteilen ist unangenehm. Aber so von den Autorinnen einkalkuliert. «Ich erhoffe mir, dass das Buch Stereotype entlarvt», sagt Monika Hofmann auf der Website zum Buch. Als ich dann richtig anfing, das Buch zu lesen, blieb für die eigenen Vorurteile kein Platz mehr.

Die Kampflesbe gibt es nicht

Viel zu unterschiedlich sind die Geschichten der 28 dargestellten Sportlerinnen, als dass sich ein Stereotyp der «klassischen Kampflesbe» halten könnte. Die Frauen erzählen in Ich-Form, wie sie zu ihrer Sportart fanden und wie sie mit ihrer Sexualität umgehen.

«Das Spektrum ist gross, ich kann und will diese Frage, ob Mann oder Frau, nicht final beantworten. Das Leben ist viel zu spannend.»

Nora Häuptle, Fussballtrainerin

Jede der Spitzensportlerinnen hat eine andere Vergangenheit. Einige Frauen outeten sich bereits in Teenagerjahren und machten aus ihrer sexuellen Orientierung nie ein Geheimnis. Für andere war die eigene Sexualität lange kein Thema, etwa, weil sie sich erst spät zum ersten Mal verliebten – und dann eben in eine Frau. Wieder andere hatten vor ihrem Coming-Out Beziehungen mit Männern oder waren sogar mit einem Mann verheiratet.

Und dann gibt es noch einige Frauen, die sich nicht darauf festlegen wollen, welches Geschlecht sie bevorzugen. Etwa Nora Häuptle, 2007 Schweizer Meisterin mit dem FFC Zuchwil 05 und Trainerin der U19-Frauen-Fussballnati. Sie sagt: «Das Spektrum ist gross, ich kann und will diese Frage, ob Mann oder Frau, nicht final beantworten. Denn das Leben ist viel zu spannend. Vielleicht gründe ich irgendwann mit einer Frau eine Familie, vielleicht lerne ich irgendwann einen Mann kennen und sage: Der ist es».

Tatsächlich. Die Leben der porträtierten Frauen sind durchs Band spannend. Durch die Ich-Form und die Tiefe des Erzählten komme ich als Leser den Protagonistinnen sehr nah.

Zusammen bist du weniger allein

Es ist beklemmend zu lesen, wenn eine Sportlerin erzählt, dass sie nach ihrem Coming-Out Jahre lang keinen Kontakt zum Vater hatte. Es macht wütend, wenn Sportlerinnen berichten, dass sie aus Angst vor einem möglichen Absprung von Sponsoren ihre sexuelle Orientierung verheimlichen. Oder weil sie befürchten, in einem männerdominierten Sport benachteiligt zu werden.

Nix Mitleid

Aber keine Sorge: Das Buch driftet nie ins Mitleidige ab. Dafür sind die Persönlichkeiten, die im Buch zu Wort kommen, zu stark. Die Texte sind dann besonders eindrücklich, wenn die Frauen schildern, wie sie ihren Weg im Sport, im Beruf oder in der Liebe allen Widerständen zum Trotz gemacht haben. Die Frage nach der sexuellen Orientierung wird dabei zur Nebensache.

Bei Lara Dickenmann brauchte es einen Tapetenwechsel, um im Leben vorwärts zu kommen. Die international erfolgreichste Schweizer Fussballerin hatte ihre erste Beziehung mit einer Frau in den USA. Trotz ihrer sportlichen Erfolge – Dickenmann erzielte etwa im Final der Champions League 2011 ein Tor für Sieger Olympique Lyon – zeigt sie Bodenhaftung: «Selbstkritisch zu sein, ist ein wichtiger Teil meines Wesens. Ich will mich nie zufrieden geben und immer besser werden», sagt sie im Buch.

«Es ist erstaunlich, dass mehrheitlich Männer, die kaum eine Ahnung vom Frauenfussball haben, darüber entschieden».

Tatjana Haenni, Schweizerischer Fussballverband

Ehrgeiz treibt auch Ramona Bachmann an. Mit sieben Jahren verdiente der FC-Chelsea-Star seine ersten 100 Franken. In den Sommerferien 1998 versprach der Vater Ramona 100 Franken, wenn sie bis zum Ende der Ferien 100 Mal jonglieren könne. Danach trainierte sie so intensiv, dass sie es bereits nach fünf Tagen geschafft hatte.

Hartnäckigkeit zeichnet auch Tatjana Haenni aus. Die ehemalige Spitzenfussballerin (siebenfache Schweizer Meisterin und neunfache Cupsiegerin) leitet beim Schweizerischen Fussballverband das Ressort Frauenfussball. Davor arbeitete sie 18 Jahre lang als Direktorin Frauenfussball bei der FIFA. Über diese Zeit sagt sie: «Ich konnte in einem internationalen Umfeld viele Projekte umsetzen. Aber ja: Es war und ist eine Macho-Welt. Es war ein Kampf. Durchhaltewillen und Überzeugungskraft waren fast täglich gefordert. Es ist erstaunlich, dass mehrheitlich Männer, die kaum eine Ahnung vom Frauenfussball haben, darüber entschieden».

Mehr Geld, bitte

Dass Männer, die keine Ahnung haben, über Dinge entscheiden, trifft wohl nicht nur im Fussball zu. Mehr weibliche Vorbilder für die Gesellschaft wünscht sich deshalb auch die Fussballerin Sarah Akanji, die das Vorwort zum Buch schrieb. Sie fordert eine stärkere finanzielle Unterstützung für den Frauenfussball und sieht darin sogar einen «Motor für die Weiterentwicklung unserer Gesellschaft». Denn «die Toleranz und Offenheit gegenüber unterschiedlichen Sexualitäten führen zu Gemeinschaft, Kraft und Zusammenhalt innerhalb unseres Sports».

Solche Vorbilder sind die 28 Frauen im Buch «Vorbild und Vorurteil». Und zwar nicht nur für junge Frauen, die in ihrer Biografie vor schwierigen Fragen stehen. Sondern durchaus auch für Männer, die Fussball-Kolumnen schreiben.

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