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Corona boostert die Nachtkultur, aber nur ein bisschen

Die Pandemie stellt Künstler*innen vor existentielle Abgründe. Doch in der Basler Bevölkerung hat sie auch einen kleinen Sinneswandel bewirkt.

12/30/21, 04:08 AM

Aktualisiert 01/03/22, 03:04 PM

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Konzerte abgesagt, Clubs zu: Bajour stellte letzten Frühling kurzerhand das Online-Format Gärngschee Kultur auf die Beine und streamte Konzerte direkt in deine Stube. Hier mit Evelinn Trouble.

Konzerte abgesagt, Clubs zu: Bajour stellte letzten Frühling kurzerhand das Online-Format Gärngschee Kultur auf die Beine und streamte Konzerte direkt in deine Stube. Hier mit Evelinn Trouble.

Frequenzen machen etwas mit dem Körper. «Musik wirkt am besten, wenn man sie direkt an den Mensch anetätscht», sagt Evelinn Trouble. Die Wahl-Baslerin sitzt in ihrer Wohnung, blinzelt verschlafen in die Kamera, sie versucht ihr blondes noch etwas zerzaustes Haar glatt zu streichen. Der typische Quarantäne-Look eben. Der Freund der Sängerin hatte sich mit dem Corona-Virus angesteckt, darum kann unser Treffen nur virtuell stattfinden. 

Seit bald zwei Jahren herrscht globaler Ausnahmezustand. Corona stellte Rampensäuen und Vollzeitmusiker*innen wie Evelinn Trouble das Mikrofon ab. Ton ab, Licht aus, Türe zu. Das Kulturleben war on hold, während der Alltag weiterging.

Rechnungen, Miete, Lebensmittel – viele Ausgaben aber plötzlich keine Einnahmen mehr. Für freischaffende Künstler*innen, die keine Institution im Rücken haben, besonders schwierig, sie fielen, vor allem am Anfang der Pandemie, durch die Maschen. Trouble hatte Glück im Unglück: Sie wurde während der Pandemie von einer privaten Stiftung unterstützt: «Sonst wäre es für mich finanziell schwierig geworden». 

Im Mai 2020 titelte Bajour denn auch: «Lichterlöschen für die Basler Nachtkultur?»

Zur Person

Zur Person

Evelinn Trouble ist eine preisgekrönte Pop-Musikerin. In Zürich aufgewachsen, verschlug es sie im Jahr 2018 nach Basel, wo sie seither lebt.

Für Bajour trat sie letztes Jahr im Gärgschee-Kulturstream auf. Im Oktober ist ihr neues Album «Longing Fever» erschienen.

Heute, eineinhalb Jahre später, kann man sagen: Das Licht ist noch an. Es gibt sie noch, die Clubs und Konzertlokale und die Künstler*innen, die sie bespielen. Und doch hat sich etwas geändert: Basel-Stadt hat sich Gedanken gemacht, was ihm seine Nachtkultur wert ist.

Künstler*innen der Nacht- und Alternativkultur waren es sich lange Zeit gewohnt, ohne Subventionen auszukommen. Gerade in der Clubkultur war das fast schon eine Frage der Ehre. Für freischaffende Künstler*innen wie Trouble eher ein Zeichen fehlender Wertschätzung.

«Die Gesellschaft entscheidet, was ihr Kultur wert ist», sagt Musikerin Evelinn Trouble. Freischaffende Künstler*innen hätten mit einem Mentalitätsproblem zu kämpfen. «Für den Künstlerberuf sind noch immer seltsame Bilder in den Köpfen. Wenn du nicht klassische Musik machst, in einem Orchester Geige spielst, halten viele Menschen deine Kunst erst mal für ein Hobby», so Trouble. 

Doch seit der Pandemie ist einiges anders. 

«Die Gesellschaft entscheidet, was ihr Kultur wert ist.»

Evelinn Trouble, Musikerin

Einerseits gab es coronabedingte Überbrückungsleistungen von Kanton und Bund. Diese wurden kürzlich aktualisiert:

- Die Vergabe der Corona-Unterstützungsgelder für die Kultur wird bis Ende 2022 verlängert, beschloss der Bundesrat am 17. Dezember

- Die Basler Regierung erliess für die Gastro- und Hotelbranche für den Monat Dezember 2021 ein neues Unterstützungsprogramm, von der auch Bar- und Club-Betreiber*innen profitieren

Andererseits hat die Basler Stimmbevölkerung im November 2020 die Trinkgeld-Initiative deutlich angenommen. Sie schreibt vor, dass 5 Prozent des Basler Kulturbudgets in Club-, Jugend- und Alternativkultur fliessen. Und zwar nicht nur an Musiker*innen wie Evelinn Trouble, sondern auch in Clubs. Diese sollen als «förderwürdige Kulturbetriebe» gelten. Dafür wollen Grosser Rat und Regierung das Kulturbudget erhöhen.

«Spotlight on» für die Alternativkultur

Dieser Sinneswandel hat auch mit der Pandemie zu tun, glaubt Elias Schäfer, FDP-Politiker und Mitinitiant der Trinkgeld-Initiative. «Ich glaube, dass unsere Vorlage, genauso wie die Pflege-Initiative, davon profitiert hat, dass das Thema durch Corona in den Köpfen der Menschen präsent war», sagt er. Die Pandemie habe die Ungleichheit zwischen Institutionen und freiberuflichen Künstler*innen offengelegt.

Aus Sicht von Schäfer sind die 5 Prozent «nur ein Tropfen auf dem heissen Stein». Aber dennoch ein Zeichen der Wertschätzung für einen Kulturzweig, der nicht mit dem Mainstream und den grossen Institutionen mitgeht.

Der Unterschied zwischen Institutionen und Freischaffenden ist aber nach wie vor gross. Auch etwa bei den Unterstützungsleistungen wegen Corona. Der Kanton habe zwar rasch reagiert, Gelder gesprochen, um niemandem ins finanzielle Loch fallen zu lassen, sagt Schäfer. Die Strukturen blieben aber die gleichen.

Wer eine Festanstellung hat, erhält Kurzarbeit. Unabhängige Künstler*innen kämpfen sich durch Bürokratie, müssen ihre Daseinsberechtigung legitimieren, um darauf zu bangen, dass sie Hilfe erhalten. Das sieht Evelinn Trouble auch in ihrem Umfeld: «Eine Freundin von mir ist freischaffende Gesangslehrerin, sie erhielt im ersten Lockdown 300 Franken Erwerbsausfallentschädigung im Monat. Wer soll davon leben? Das ist doch frech.»

«Wir müssen eine Gleichwertigkeit schaffen und uns fragen, wie wir in Zukunft Individuen anstatt Institutionen stärker unterstützen können.»

Elias Schäfer, FDP

Viele Künstler*innen hat das vor existenzielle Fragen gestellt, sagt Schäfer: «Einerseits müssen sich Kulturschaffende zurzeit fragen: Will ich das noch? Sind die Produktionsbedingungen noch haltbar? Oder mache ich vielleicht lieber etwas anderes, etwas, das mir mehr Sicherheit bringt?»

Für Schäfer ist es aber andererseits an der Zeit, dass sich der Kanton noch grundlegendere Gedanken zur Kulturförderung macht.

Er wünscht sich eine diversere Verteilung von Geldern. «Wir müssen eine Gleichwertigkeit schaffen und uns fragen, wie wir in Zukunft Individuen anstatt Institutionen stärker unterstützen können», sagt er. 

Zur Person

Zur Person

Elias Schäfer war von 2013 bis 2014 Grossrat der FDP Basel-Stadt. Er ist Teil des Komitees Kulturstadt Jetzt und Mitinitiant der Trinkgeld-Initiative.

Nicht-institutionelle Projekte würden nach wie vor zu kurz kommen. Ein Beispiel: Fehlt einer Institution Geld, bekommt sie häufig staatliche Mittel, wie neuerdings das Marionettentheater, dem der Grosse Rat in der Dezembersitzung Geld gesprochen hat. Schäfer sagt: «Ein Konzertveranstalter kann nicht einfach Geld vom Grossen Rat verlangen, wenn er merkt, dass er falsch budgetiert hat.»

Altmodische Vorstellungen von Kunst und Kultur

Auch Evelinn Trouble wünscht sich eine diversere Kulturförderung und mehr Anerkennung für Künstler*innen abseits vom Mainstream. «Wir haben ein Verteilungsproblem, das auf altmodischen Vorstellungen beruht, was Kultur ist», sagt sie. 

Diese altmodischen Vorstellungen blockieren offenbar eine offene Diskussion darüber, welche Kultur in Basel-Stadt förderungswürdig ist und welche nicht. «Basels Kulturszene traut sich nicht, die unbequeme Frage nach der Verteilung der Gelder anzugehen», ist sich Schäfer sicher. «Damit stösst man Menschen vor den Kopf».

Er verweist nochmals auf seine eigene Initiative: «Für die Umsetzung der Trinkgeld-Initiative wurde jetzt der Weg gewählt, das Budget zu erhöhen.» Das sei angesichts der pandemiebedingten Situation der betroffenen Kultursparten, ihrer jahrelangen Vernachlässigung und dem Förderbedarf verständlich. «Aber es ist letztlich auch wieder ein Ausweichen vor der unbequemen Verteilungsfrage beim eigentlich grossen Kulturbudget.» Das könne nicht ewig so weitergehen, das sei nicht nachhaltig für den Finanzhaushalt. Es brauche eine Auslegeordnung, so Schäfer. Und eine klare Strategie. «Die fehlt», sagt der FDP-Grossrat. 

Wir hören genau hin.

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Die nächste Vorlage wartet schon. Musiker*innen haben im Sommer die Initiative für zeitgemässe Musikförderung lanciert: Ein finanzpolitischer Vorstoss, der eine Umverteilung der Mittel will, um bisher vernachlässigte Musiker*innen besser zu unterstützen.

Jetzt heisst es aber erst einmal: Durch die fünfte Welle kommen. Für die Clubs ist es wieder schwierig mit Impf- und Maskenpflicht. Evelinn Trouble hat Verständnis: «Es geht um Menschenleben, um volle Intensivstationen. Da ist der Fall klar für mich. Als Musikerin brauchst du Geduld. Meine Hoffnung ist aber, dass ich dank 2G im Frühling auf wieder auftreten kann», sagt Trouble.

Vor Jahresende hätte sie noch drei Auftritte gehabt, die wurden nun abgesagt. Das nehme sie in Kauf, weil auch sie beunruhigt sei über die steigenden Infektionszahlen. Im Oktober veröffentlichte sie ihr neues Album Longing Fever, im März will sie damit auf Tour gehen. «Zugegeben. Es würde mein Künstlerinnenherz treffen, wenn ich die Tour auch absagen müsste.»

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