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«Das Zeugs ist im Netz so scheissbillig dass ich schon wissen will, was da drin ist.»

Stell Dir vor, Du kaufst Drogen im Dark Net und es ist Gift. Das stationäre Drug Checking im St. Johann prüft illegale Substanzen und führt Beratungsgespräche. Wir haben sie einen Abend lang besucht.

10/22/19, 08:00 AM

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Jill Zeugin nimmt illegale Substanzen zum Testen entgegen – und informiert die angehenden Traumtänzer über Gefahren des Konsums.

Jill Zeugin nimmt illegale Substanzen zum Testen entgegen – und informiert die angehenden Traumtänzer über Gefahren des Konsums. (Foto: wiewaersmalmit.ch)

Es dämmert bereits über der Mülhauserstrasse 111, als oben im zweiten Stock dieser unscheinbaren Adresse jemand eine XTC-Pille aus der Tasche kramt und vor sich auf den Tisch legt. «Als wie stark dosiert hast Du diese Pille gekauft?», fragt Jill Zeugin von der Drogeninfo Basel-Stadt (DIBS).

«274 Milligramm», sagt die Person, die dem Beisein eines Journalisten an diesem Gespräch nur unter der Auflagen zustimmt, namenlos und geschlechtlos zu bleiben. Die Person ist jung, sie hat eine befreundete Person mitgebracht. Sie sind beide zum ersten Mal auf der Drug Checking Station und planen ihren ersten MDMA-Trip. Safe soll er sein, so schön wie möglich. Jill Zeugin beginnt mit dem obligaten Beratungsgespräch.

Hinweis: Jill Zeugin ist eine von sechs Expert*innen unseres Speed Datings vom 22. Oktober zum Thema «Basel und die Drogen – Stimmt die Chemie?» Wohnzimmer, Viaduktstrasse 10, 18:30 Uhr, der Anlass ist gratis.

Jill Zeugin: Hast Du schon mal Alkohol konsumiert?

Klient*in: «Ja.»

Tabak?

«Ja.»

Gras oder Hasch?

«Ja.»

Kokain?

«Einmal.»

Basel, «Fundort» der am höchsten dosierten MDMA-Pille der Schweiz

Basel Stadt hat seit dem 22. Juli 2019 eine stationäres Drug Checking, nachdem zuvor seit 2013 an vereinzelten Parties mobile Drogentests angeboten wurden. Das stationäre Drug Checking ist ein Pilotprojekt, Kostenpunkt 180’000 Franken, angelegt auf drei Jahre.

Seither wird hier vor allem Kokain auf seinen Reinheitsgehalt getestet, die Droge liegt auf Platz eins der meist geprüften Substanzen. Amphetamine folgen an zweiter Stelle, dann MDMA. Ende Juli wurde auf einem mobilen Einsatz in Basel die stärkste MDMA-Pille der Schweiz getestet. Zinnoberrot und in Form der Nintendo-Figur Wario gepresst. 308,8 Milligramm MDMA. Zur Orientierung: Für einen 80 Kilo schweren Mann wird eine Dosierung von nicht mehr als 120 Milligramm empfohlen.

Zurück im Beratungsgespräch. Jill Zeugin will Eingangs etwas über das Konsumverhalten der beiden Besucher*innen erfahren um einzuschätzen: Alles im grünen Bereich? Oder gibt es hier ein Problem, das sie ansprechen sollte?

Zeugin fährt fort mit dem Check, aber alle übrigen Substanzen, etwa Ecstasy, Amphetamin, Psylos, Speed, Ketamin, 2-CB, Poppers etcetera haben die beiden nie angerührt. Sie sind jung, Anfang zwanzig vielleicht. Manchmal werfen sie sich Blicke zu, als wollten sie prüfen, was der Andere denkt. Die Beine haben sie übereinandergeschlagen. Sie hören ganz genau zu, was Jill Zeugin ihnen sagt. Und sie fragen sehr genau nach.

«Wieviel MDMA erträgt mein Körper und wie kann ich das errechnen?»

«Du sagst, man solle aufpassen dass man beim ersten Mal nicht zuviel nimmt. Aber wieviel ist zu viel?»

«Wieviel Wasser soll ich trinken und wie schnell?»

«Kann ich während des Trips Salzstängeli essen?»

«Wann kann ich nachlegen, falls ich nichts spüre?»

«Wieviel Gramm Kokain enthält eine kleine Line? Also eine, die etwa so gross ist?»

Trend in Richtung starkes MDMA

308.8 Milligramm MDMA, eine Megadosis. Die Pille hat Ende Juli schweizweit für Schlagzeilen gesorgt – und sorgt noch immer für Kopfschütteln im Beratungszentrum der Suchthilfe Region Basel (SRB), die ebenfalls an der Mülhauserstrasse zuhause ist.

«Wir verstehen wirklich nicht, was diese hohe Dosierung bezwecken soll», sagt Natasa Milenkovic, Projektleiterin Abteilung Sucht des Gesundheitsdepartement Basel-Stadt. «Aus Sicht der Konsumierenden ist das nur noch gefährlich und nicht mehr berauschend. Aus Sicht der Produzenten macht das auch ökonomisch keinen Sinn. Zuviel Potenz in einer Pille, wer kann das wollen?»

Safer Dance Basel betreibt eine Warnungsseite, auf der Du Dich über aktuell im Umlauf befindliche, gefährlich stark dosierte Substanzen informieren kannst.

Oliver Bolliger, der Leiter des Beratungszentrums der Suchthilfe der Region Basel, sagt: «Ich kann nur vermuten, dass hier eine Art Kräftemessen im Gang ist. Dass sich die Produzenten in der Dosierung übertreffen wollen nur um zu zeigen: Seht her, ich habe die Stärksten.» Mit dem stationären Drugchecking sieht er aber auch die Chance, dass sich die MDMA-Dosierungen mittelfristig wieder reduzieren werden, da zu hoch dosierte Pillen für die informierten Käufer*innen weniger attraktiv sind.

Das ist eine der möglichen Verbesserungen, ob sie eintrifft, wird sich zeigen. Dass Drug Checkings insgesamt zu einer besseren Informationslage führen, zeigen Erfahrungen in Zürich, wo Drogen seit 2001 stationär getestet werden. Christian Kobel, der Leiter der Jugendberatung Streetwork sagt gegenüber dem Tagesanzeiger:

«Der gefährliche Mischkonsum ist seit 2004 zurückgegangen. Insgesamt sind jene Partydrogen-Konsumenten, die das Angebot des Drug Checking nutzten, risikobewusster als früher und besser über die illegalen Substanzen informiert.»

Christian Kobel, Leiter der Jugendberatung Streetwork

Zwischenbemerkung: Bajour hat im Zuge einer Recherche eine Ecstasy-Pille im Darknet erworben und denselben Typus, rosa Farbe, Red-Bull Logo, Bruchlinie, prompt unter den «extrem hoch dosierten XTC’s» auf der Seite von Safer Dance Basel gefunden. Wir hätten die Pille gerne zum Drug Check mitgebracht. Aber weil ohnehin nur maximal 10 Interessierte pro offenem Montag ihre Substanzen einreichen können, haben wir darauf verzichtet. Die Geschichte hinter der Pille lesen Sie hier.

«Einen safe trip gibt es nicht. Es gibt nur safer trips.»

Jill Zeugin, Drogenberaterin

Milenkovic, Bolliger und Zeugin sind die Köpfe der Basler Drug Checking Kooperation, analysiert werden die Substanzen ausser Haus. In der Abteilung für Forensische Chemie und Toxikologie des Instituts für Rechtsmedizin der Universität Basel unter der Leitung von Katja Mercer-Chalmers-Bender. Zwischen der Drogenabgabe inklusive Beratungsgespräch am Montagabend und der Resultatmitteilung der Analyse liegen drei Tage.

Am Donnerstagabend klingelt dann bei Zeugin das Telefon. Die Klienten nennen einen Code, den sie am Beratungsgespräch am Montag selber definiert haben und erfahren dann, was in der Substanz enthalten ist.

Wer hier aufkreuzt weiss, dass sein Koks mit Levamisol oder Phenacetin verschnitten, dass seine Amphetamine mit Koffein gestreckt sein können, wie das oft der Fall ist. Und dass das unter Umständen zu einem richtig schlechten Trip führt. Wer hier aufkreuzt, will Sicherheit. Auch wenn die nicht zu haben ist. «Einen safe trip gibt es nicht» sagt Jill Zeugin, «es gibt nur safer trips».

Zeugin sagt auch Dinge wie: «Weniger ist mehr» – und wird von den Klienten trotz dieses Lieblingsspruchs fürsorglicher Eltern als Autorität akzeptiert. Beispiel Ecstasy. «Weniger ist mehr» heisst hier zum Beispiel, dass der Stoff lange im Blutkreislauf bleibt, auch dann, wenn die Wirkung nachlässt. Wer dann aber nachlegt, weil er denkt, die Substanz sei rausgeschwemmt, riskiert eine Überdosis. Kreislaufkollaps, Hitzeschlag oder Muskelkrämpfe sind die mögliche Konsequenz.

Während Zeugin an diesem Montagabend die beiden MDMA-Aspirant*innen berät, herrscht eine Tür weiter den Gang hinunter, im Wartezimmer, erst Schweigen. Dann kommen immer mehr Klienten dazu, zwei erkennen sich, Handshake, die Stimmung lockert auf, man plaudert. Was man denn so dabei habe. Ob man schon mal hier gewesen sei. Und was man davon halte, hier einfach so reinzuspazieren, mit den Drogen in der Tasche, schon crazy, oder.

Einer will sein Handy einstecken, die Batterie ist leer. Ein anderer muss mal aufs Klo und stiefelt cowboyesk im Gang umher. Ein Dritter meldet sich am Empfang, er wolle hier Koks für einen Kumpel testen, das nur so zur Info, es sei also nicht für sich. Er nehme zwar auch Drogen, das schon, aber sicher nicht dieses Zeugs, sagt er angewidert, kurz: Drei von vier Klienten des Drug Checkings sind Männer. 

Initiant Otto Schmid ist zufrieden

Otto Schmid steht am Bahnhof, als wir ihn am Telefon erreichen. Er hatte 2017, damals als SP-Grossrat, er ist mittlerweile zurückgetreten, ein stationäres Drug Checking für Basel gefordert. Die Regierung liess den Anzug stehen. «Ich bin froh, dass das Projekt so gut angelaufen ist und das Angebot rege genutzt wird», sagt Schmid, «das trägt mit Sicherheit zur Schadensminderung bei.»

Natürlich habe es damals, als er das Drug Checking politisch lancierte, auch Widerstand gegeben, erinnert er sich «Vor allem die SVP vertrat die Haltung: Warum soll der Staat für die Kontrolle illegaler Substanzen bezahlen?»

«Ich finde das eine sehr gute Sache», sagt später einer der Jungs, als er wieder unten auf der Strasse steht und vaped in die Dämmerung. «Ich krieg mein Zeug aus dem Darknet, zwanzig Pillen aufs Mal, ein paar Bitcoinbruchteile das Stück. Das ist so scheissbillig dass ich schon wissen will, was da drin ist.» Bislang sei er nie betrogen worden, die Lieferung hielt, was sie versprach. Das weiss er dank dem Drug Checking. «Ich würd mir die Pillen auch bestellen, wenn es das Drug Checking nicht gäbe», sagt der Mann, «aber ich würde halt vorsichtiger konsumieren.» 

Basel und die Drogen – stimmt die Chemie? Im Oktober haben wir über den Kokaingehalt im Basler Abwasser geschrieben und darüber gerätselt, warum er ausgerechnet während der Basel World 2015 so tief war? Wir haben mit drei Menschen gesprochen, die aktiv am Nachtleben teilnehmen aber nichts konsumieren und unter Anderem gefragt: Wie anstrengend sind berauschte Kieferkasper im Club? Wir haben versucht, im Darknet an Stoff ranzukommen und waren überrascht davon, wie einfach das ging. Wir haben zurückgeschaut auf 200 Jahre Basel im Rausch und ein paar tolle Facts herausgepickt – zum Beispiel wurden 1911 SECHS ABSTINENTE IN DEN GROSSEN RAT GEWÄHLT 😱😱😱. Und wir gingen Velofahren auf den Spuren Albert Hofmanns. Das kann man leider nicht nachlesen, da muss man dabei gewesen sein.

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