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Dossier

Dezember 2021: Die Anzeige gegen die Polizei

Neue Wendung im Fall #BaselNazifrei: Ein Anwalt klagt gegen die Basler Polizei- und Justizbehörden.

11/23/20, 03:03 AM

Aktualisiert 12/22/21, 10:34 AM

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+++ Die neuste Entwicklung +++

Im Dezember 2021 sind drei Jahre vergangen, seit die Anti-PNOS-Demonstration auf dem Messeplatz eskalierte. Am Basler Strafgericht laufen die letzten von rund 60 Prozessen gegen Teilnehmende von #BaselNazifrei – die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit ist in den vergangenen Wochen und Monaten allerdings geschwunden.

Eine neue Entwicklung wirft im Dezember 2021 ein neues Schlaglicht auf den Fall.

Der Anwalt Andreas Noll, der selbst mehrere Demonstrationsteilnehmende vor Gericht verteidigt, erstattet im Auftrag einer Gruppe Anzeige gegen die Basler Polizei, die Kriminalpolizei, sowie die Staatsanwaltschaft. Die Behörden hätten die Demonstration im November 2018 selbst eskalieren lassen (Anklage lautet auf Angriff, Raufhandel, Amtsmissbrauch) und während der darauf folgenden Strafverfolgung wichtige Beweise manipuliert zu den Akten gelegt (Urkundenfälschung im Amt, Amtsmissbrauch).

Die Anzeige stützt sich im Kern auf ein Video, auf dem zu hören ist, wie sich Polizeibeamt*innen über den Gummischroteinsatz als «Ablenkungsmanöver» unterhalten. Ein Ablenkungsmanöver der Polizei, damit die PNOS-Demonstrant*innen davonkommen.

Ein Teil des Videos wurde Bajour schon im vergangenen Jahr zugespielt, du siehst es oben. Die Videoaufnahmen mit der Unterhaltung der Polizisten wurde von der Staatsanwaltschaft zwecks Beweisführung vor Gericht zu den Akten gelegt – allerdings ohne Ton. Anwalt Noll sagt, das sei Urkundenfälschung.

Das hier verlinkte Video enthält ausserdem Szenen aus dem Basler Parlament, wo der damalige Polizeidirektor Baschi Dürr auf mehrere Interpellationen zur Demonstration und zum Gummischroteinsatz Auskunft gibt. Urheber des Videos ist der Graue Block. Ein Kollektiv, das sich der Unterstützung der angeklagten Demonstrant*innen verschrieben hat. Der Graue Block sind Aktivist*innen. Der Text im Video enthält darum dezidiert polizeikritische Kommentare.

Die Staatsanwaltschaft Basel-Stadt (Stawa BS) bestätigte, dass die Anzeige gegen sie und die Basler Polizeibehörde eingegangen ist. Man werde sorgfältig prüfen, wie weiter vorzugehen sei, sagt Stawa-Sprecher Martin Schütz.

Anwalt Noll fordert, die Staatsanwaltschaft eines anderen Kantons müsse mit den Ermittlungen betraut werden, da die Stawa BS schlecht gegen sich selbst ermitteln könne. Die Staatsanwaltschaften Baselland und Zürich kämen ebenfalls nicht in Frage, da sie den Basler Behörden im vorliegenden Fall geholfen haben.

Drei Jahre #BaselNazifrei – was bisher geschah

Am 24. November 2021 jährte sich ein denkwürdiger Mega-Protest zum dritten Mal. Wo stehen wir heute? Das Bajour-Dossier.

Ein Bild vom 24. November 2018. An diesem Tag kam es zu einem riesigen Gegenprotest von ca. 2000 Personen gegen eine bewilligte Standaktion der rechtsextremen PNOS. Der Tag beschäftigt Basel bis heute. Foto: Roland Schmid.

Ein Bild vom 24. November 2018. An diesem Tag kam es zu einem riesigen Gegenprotest von ca. 2000 Personen gegen eine bewilligte Standaktion der rechtsextremen PNOS. Der Tag beschäftigt Basel bis heute. Foto: Roland Schmid. (Foto: Roland Schmid)

Als in Basel über 2000 Menschen gegen Rechtsextreme demonstrierten, war Bajour noch gar nicht geboren. Der Schatten der Ereignisse fällt aber bis heute über die Stadt. 

Denn es geht um Fragen, die unsere Gesellschaft im Kern zusammenhält. Oder spaltet. 

Wie steht es um das Recht auf Meinungsäusserungsfreiheit? Wer ahndet Gewalt und welches Strafmass darf jemand erhalten, der nichts tut, aber Teil einer Gruppe ist, aus der teilweise Gewalt hervorgeht? Wie steht es um die Gewaltentrennung zwischen der Exekutive und Legislative?

Wer kontrolliert eigentlich die Polizei? Und welche Rolle spielen die Medien?

Über all das haben wir geschrieben. Hier versammeln wir alle Bajour-Artikel zum Thema #BaselNazifrei. Und wer gar nicht weiss, worum es geht, bekommt jetzt eine Kürzest-Zusammenfassung der Ereignisse:

Eine unbewilligte Demonstration gegen die rechtsextreme Partei National Orientierter Schweizer (PNOS) eskaliert im November 2018. Die Polizei schiesst Gummischrot, Demonstrant*innen antworten mit Flaschen und Steinwürfen. Die Staatsanwaltschaft leitet Untersuchungen ein und erhebt Anklage gegen 38 Teilnehmer*innen der unbewilligten Demonstration. Seit Juli 2020 laufen Prozesse, eine 28-jährige Frau wurde zu 8 Monaten unbedingter Haft verurteilt. 

13 Prozesse wurden bereits geführt. Die Urteile sind noch nicht rechtskräftig.

Auch gegen die PNOS und die Polizei wurden bei der Staatsanwaltschaft Anzeigen eingereicht. Grund: Verdacht auf rassistische Diskriminierung und Einsatz von Gummischrot. Beide Verfahren sind hängig. 

Die Prozesse

Während Prozessen gegen Teilnehmende der #BaselNazifrei-Demonstration kommt es immer wider zu Solidaritätskundgebungen vor dem Gericht. Es werden Reden gehalten. Dabei wird ein Standpunkt immer wieder betont: Vor Gericht stünden zwar einzelne, aber die Prozesse seien ein Angriff auf alle, die gegen Antifaschismus auf die Strasse gingen. Foto: Daniel Faulhaber.

Während Prozessen gegen Teilnehmende der #BaselNazifrei-Demonstration kommt es immer wider zu Solidaritätskundgebungen vor dem Gericht. Es werden Reden gehalten. Dabei wird ein Standpunkt immer wieder betont: Vor Gericht stünden zwar einzelne, aber die Prozesse seien ein Angriff auf alle, die gegen Antifaschismus auf die Strasse gingen. Foto: Daniel Faulhaber. (Foto: Daniel Faulhaber)

Die Prozessreihe gegen Teilnehmende der Anti-Pnos-Demo (wie die #BaselNazifrei-Demo auch genannt wird) hat eine Gegenbewegung in Gang gesetzt. Eine Kampagne sammelt 500’000 Franken für die Prozesskosten. Ein Bier wurde gebraut – der Erlös aus dem Verkauf fliesst in die Kampagne. 

Eine Gruppe älterer Menschen hat sich zusammengeschlossen und kritisiert, dass nur jüngere Menschen juristisch verfolgt werden. Es handle sich dabei um einen Einschüchterungsversuch der Behörden, sagt die Gruppe, die sich Grauer Block nennt. Um die aus ihrer Sicht einseitige Strafverfolgung anzuprangern, hat sich der Graue Block selber für die Teilnahme an einer unbewilligten Demo angezeigt.

Bislang ohne Erfolg, die Staatsanwaltschaft hat keine Anklagen erhoben.

Der Graue Block

Im Herbst 2019 wurden die unverpixelten Gesichter von 20 mutmasslichen Teilnehmer*innen der #BaselNazifrei-Demonstration veröffentlicht. Es war das erste Mal, dass das Mittel der sogenannten Öffentlichkeitsfahndung im Kontext einer Demonstration eingesetzt wurde. 

Bajour hat das problematisiert und eine alte Frage neu thematisiert: Wird durch dieses Fahndungsinstrument die Unschuldsvermutung unterlaufen?

Und was passiert, wenn Zeitungen die unverpixelten Fotos weiterverbreiten und damit Hand in Hand mit der Strafverfolgungsbehörde arbeiten?

Die Strafverfolgung

Am Samstag, dem 28. November, wird zu einer erneuten Demonstration «Gegen verschärfte Repression, faschistische Strukturen & den globalen Rechtsruck» aufgerufen. Treffpunkt ist der Theaterplatz, ob es zu einer Standaktion kommt, oder ob die Demo laufen wird, ist noch unklar. Bei der Polizei ist ein Demonstrationsgesuch eingegangen, es wird zur Zeit geprüft.

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