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Systemrelevant

Wie geht es den Verkäufer*innen?

Homeoffice ist für Verkäufer*innen keine Option, täglich sitzen sie an der Kasse. Wie geht es ihnen dabei? Drei Verkaufsangestellte erzählen.

02/08/21, 03:38 AM

Aktualisiert 02/08/21, 08:17 AM

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(Foto: Unsplash / United Nations COVID-19 Response)

Eigentlich hätte dies ein Text über Pfleger*innen werden sollen. Wir von Bajour hatten eindrückliche Bilder beim österreichischen Falter gesehen. Sie zeigen die Gesichter von Pfleger*innen, die den ganzen Tag chirurgische Masken trugen. Also fragten wir die Gärngschee-Gruppe: Habt ihr auch solche Fotos?

Doch aus der Community kamen berechtigte Rückfragen: Was ist mit den Kassier*innen? Vergesst ihr die? Die leisten auch so viel.

Stimmt. Dachten wir. Und suchten das Gespräch mit drei Verkäufer*innen. Hier erzählen sie ihre Geschichte.

Sascha*, Verkäufer*in im Aldi

Mir kommt es manchmal so vor als wäre hier jeden Tag Black Friday – vor allem am Wochenende. Es scheint, als hätten die Leute nichts mehr anderes zu tun als einzukaufen. Vor allem die letzten zwei bis drei Wochen, seit die anderen Läden geschlossen sind, hat es sehr viele Leute.

Kommt hinzu: die Menschen sind so gereizt. Sie haben keine Geduld mehr. Die Leute streiten sich untereinander über Maskentragen und Abstände einhalten. Aber auch uns Verkäufer*innen gegenüber sind sie oft respektlos und lassen ihre Unzufriedenheit an uns aus. Das ist so wie ein Ventil für sie.

«Für die Kund*innen beschränkt sich der Kontakt zur Verkäufer*in auf wenige Minuten, aber ich bin den ganzen Tag hunderten von Menschen und deren möglichen Viren ausgesetzt.»

Sascha*, Verkäufer*in im Aldi

Es gibt auch Extremsituationen: Einmal hat eine Mitarbeiterin einen Kunden gebeten, die Maske anzuziehen und er hat ihr daraufhin einfach ins Gesicht gespuckt. Ein anderer, der gebeten wurde, die Maske richtig anzuziehen, hat sie meiner Kollegin direkt ins Gesicht geschmissen. Ein weiterer Kunde stand vor mir an der Kasse und hat in der Nase gegrübelt. Ich bat ihn dann auch die Maske richtig anzuziehen.

In solchen Situationen frag ich mich einfach, wieso es so schwer ist, diese Maske für ein paar Minuten richtig zu tragen. Aber ich glaube einfach, viele Kund*innen nehmen mich gar nicht so richtig wahr. Sie überlegen nicht, dass wir uns gegenseitig schützen müssen. Für sie beschränkt sich der Kontakt zu Verkäufer*innen auf wenige Minuten, aber ich bin den ganzen Tag hunderten von Menschen und deren möglichen Viren ausgesetzt.

Das hat auch Auswirkungen auf mein Privatleben. Denn ich habe in meinem Umfeld weitaus am meisten Kontakte zu Menschen. Manchmal fühle ich mich deshalb wie eine tickende Zeitbombe.

«Wir arbeiten unter einem hohen Druck. Ich bin oft dem Weinen nahe.»

Sascha*, Verkäufer*in im Aldi

Der Job ist auch körperlich anstrengend. Seit Corona bekommen wir viel mehr Ware. Das muss alles auch eingeräumt werden. Ich habe schon viele Jobs gemacht, aber das ist weitaus der strengste. Weil es so hart ist, unterstützen wir Verkäufer*innen uns auch gegenseitig. Die Solidarität unter uns ist gross.

Niemand würde eine Krankheit vorschieben, um zu Hause zu bleiben. Denn wenn eine Person fehlt, müssen die andern viel mehr machen. Das hat auch Auswirkungen aufs Testen. Wenn man leichte Symptome hat, geht man eher zur Arbeit als zum Coronatest. So hab ich das auch gemacht, als es mir mal nicht so gut ging.

Wir arbeiten unter einem hohen Druck. Ich bin oft dem Weinen nahe. Da denke ich, vielleicht bin ich einfach zu sensibel. Ich hab da wie keinen Filter, wenn die Leute böse sind mit mir. Ich habe aber auch eine Art stolz und versuche mir selbst zu beweisen, dass ich diese Arbeit leisten kann. Auf lange Frist will ich etwas anderes machen. Aber ich mache jetzt eine systemrelevante Arbeit, wo ich auch eine finanzielle Absicherung habe. Jetzt zu künden, wäre nicht gut.

Zeynep*, Verkäuferin im Denner

Seit die Grenzen geschlossen sind, geht die Ware weg wie warme Gipfeli. Jeden Tag kommt neue Ware, nicht nur ein paar Mal pro Woche wie vorher. Die Leute kaufen generell mehr, denn sie können ja das Geld nicht mehr im Restaurant ausgeben.

Am Morgen kommen die kalten Sachen, Milchprodukte und so. Am Nachmittag der Rest wie Chips, Mehl und Alkohol. Wir Verkäufer*innen machen alles im Laden, dazu gehört auch das Ausladen und Einräumen der Waren. Das ist viel körperliche Arbeit. Am Freitag ist es am schlimmsten, da kann ich den ganzen Tag nicht einmal hochschauen und mache kaum richtig Pause.

Die körperliche Arbeit ist noch mühsamer mit der Maske. Wir müssen schwere Sachen heben, da schwitzt du ständig. Dann willst du nach Luft schnappen, aber das geht kaum mit der Maske. Ohne Maske wäre ich 1000 mal schneller. Wenn ich nicht genug Wasser trinke, wird’s mir richtig drümmlig.

«Ich habe das Gefühl seit Corona, trinken die Leute noch mehr Alkohol. Vielleicht auch, weil viele ihren Job verloren haben.»

Zeynep*, Verkäuferin im Denner

Die Tage sind auch lang. Ich beginne um 6.30 Uhr und habe oft 10 Stunden Schichten. So kann ich viele Stunden auf einen Tag legen, denn ich habe auch noch Kinder und arbeite nicht jeden Tag im Laden. Nach der Arbeit muss ich oft noch die Kinder von Freizeitaktivitäten abholen, sie duschen, Zähne putzen und frühestens um 21.30 Uhr kann ich mich mal hinsetzen.

Unter unseren Kund*innen gibt es viele komische Menschen. Es sind auch viele Alkoholiker*innen dabei. Ich hätte nicht gedacht, dass so viele Schweizer*innen alkoholabhängig sind. Die lassen manchmal 400 Franken für Wein und Spirituosen liegen.

Ich habe das Gefühl seit Corona, trinken die Leute noch mehr Alkohol. Vielleicht hat es auch damit zu tun, dass viele ihren Job verloren haben. Wenn es bei uns eine Aktion auf Wein gibt, dann spielen alle verrückt. An diesen Tagen würde ich am liebsten gar nicht zur Arbeit kommen.

Wir sprechen mit dir, statt über dich.

Viele unserer Kund*innen sind auch aggressiv. Letztes Mal hat mich einer fast zusammengeschlagen, weil er den Eingang zum Laden nicht gefunden hat. Er war wohl betrunken.

Wenn Leute keine Maske tragen, versuch ich sie höflich darauf hinzuweisen und gebe ihnen eine Gratis-Maske. Oft sind aber die Kund*innen ohne Maske sehr aggressiv. Letztes Mal kam ein grosser, stark aussehender Mann ohne Maske in den Laden. Mit dem wollte ich keinen Stress und hab dann nichts gesagt. Generell versuch ich mich da eher rauszuhalten. Ich will keine Probleme.

Sophie*, Verkäuferin in einer Bäckerei

«Im März war alles sehr stressig. Wir im Verkauf wurden damals gar nicht geschützt. Hinzu kam, dass wir auch noch nicht einordnen konnten, wie schlimm diese Krankheit wirklich ist und wie man sich verhalten sollte.

Ein Beispiel: Meine Partnerin gehört zur Risikogruppe, daher haben wir uns für eine lange Zeit gar nicht mehr gesehen, da ich als Verkäuferin dem Virus ja den ganzen Tag über ausgesetzt bin.

Die Eigenverantwortung, auf welche der Bundesrat ständig pochte, war auch ermüdend. Wir wussten am Anfang nicht, wie wir uns schützen sollten. Das zeigte sich gut bei der Maskenfrage: Wir Verkäufer*innen sollten selber entscheiden, ob wir eine Maske tragen oder nicht. Auch die Geschäftsleitung wollte diese Frage lange nicht für uns beantworten.

Ich war da im Zwiespalt, denn die Maske behindert mich zwar in meiner Arbeit, da die Gesichtsausdrücke im Verkauf sehr wichtig sind, aber ich will mich ja auch schützen. Als im Sommer eine Maskenpflicht angeordnet wurde, war es wenigstens klar für alle. Das hat uns geholfen.

«Wir mussten oft Polizistinnen spielen.»

Sophie*, Verkäuferin in einer Bäckerei

Einfach ist das stundenlange Maskentragen trotzdem nicht: Wir rennen oft die Treppen hoch und runter, um die Theke aufzufüllen. Da ist man mit der Maske noch mehr ausser Atem. Auch muss man unter der Maske lauter sprechen, damit einem die Kund*innen verstehen. Diese ständige Konzentration ist anstrengend.

Bis sich auch die Kundschaft an alle Regeln hielt, dauerte es eine Weile. Daher mussten wir oft Polizistinnen spielen. Die höflichen Fragen «Könnt ihr bitte draussen warten?» und «Könnt ihr Abstand halten?» trafen oft auf Gemotze und Unverständnis.

Am Anfang kamen immer wieder Leute, die ein Arztzeugnis vorwiesen und dann zu fünft ohne Maske in die Bäckerei kamen. Ich dachte dann nur so «Really?». Nun haben sich zwar viele an die Regeln gewöhnt, aber es kommt noch immer vor, dass sich Leute nicht daranhalten. Und das ist einfach zusätzlicher Stress für uns.

«Nicht arbeiten zu gehen, wenn man krank ist, ist ein mega Luxus.»

Sophie*, Verkäuferin in einer Bäckerei

Coronafälle gab es bei uns in der Bäckerei noch keine – soweit ich weiss. Wir werden angewiesen, sobald wir Symptome haben, zu testen. Aber auch das ist einfacher gesagt als getan. Ich arbeite im Stundenlohn. Da überlegst du dir zwei Mal, ob du eine ganze Schicht verpasst, nur wegen ein bisschen Kratzen im Hals – denn wenn wir nicht kommen, werden diese Stunden auch nicht bezahlt. Vielleicht könnte ich Krankengeld beantragen, aber da kenne ich meine Rechte zu wenig.

Nicht arbeiten zu gehen, wenn man krank ist, ist ein mega Luxus. Dem sind sich viele nicht bewusst. Ich hatte bisher zweimal ein Kratzen im Hals. Einmal ging ich testen, das andere Mal nicht. Denn wenn ich um 5.45 Uhr die Bäckerei öffnen soll und dann kurzfristig nicht komme, wird der Laden gar nicht geöffnet. Ich will ja auch die Verkaufsleitung nicht zusätzlich stressen. Wir schauen eben aufeinander. Dieser Faktor geht in der politischen Diskussion oft unter.

*Name der Redaktion bekannt.

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