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It's the economy, dear

«Der Kanton muss die wirtschaftliche Krise ernster nehmen»

Gewerbedirektor Gabriel Barell kritisiert, Basel-Stadt vernachlässige die sozialen Auswirkungen und die Sorgen des Gewerbes in der zweiten Welle.

10/23/20, 12:35 AM

Aktualisiert 10/23/20, 12:46 AM

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Würde am liebsten schon jetzt lockern: Gewerbeverband-Direktor Gabriel Barell.

Würde am liebsten schon jetzt lockern: Gewerbeverband-Direktor Gabriel Barell. (Foto: ZVG)

Wir stecken in der zweiten Corona-Welle. Wie geht es dem Basler Gewerbe?

Gabriel Barell: Gewissen Branchen geht es sehr schlecht. Etwa der Hotellerie, der Gastronomie aber auch gewissen Exportindustrien oder dem Eventbereich, der Reisebranche oder dem Transport. Und anderen Branchen wiederum geht es wirklich gut, zum Teil sogar hervorragend. Ein exotisches Beispiel sind die Swimmingpool-Bauer, die haben einen sehr guten Sommer gehabt. Aber generell ist es sehr beängstigend für ganz viele.

Welche Sorgen hören Sie im Gewerbeverband momentan am häufigsten?

Gravierend ist die Situation bei der Gastronomie, wo es seit ein paar Tagen verschärfte Massnahmen gibt. Die Betriebe haben grundsätzlich Verständnis für strengere Auflagen, aber es gibt Punkte, die sie massiv in die Bredouille bringen.

Welche denn?

Zum Beispiel die Erhebung der Kontaktdaten. Manche Gäste kommen deswegen nicht mehr. Diese Regel ist spätestens in zwei Wochen zu streichen, wenn sich abzeichnet, dass die Spitäler nicht überlastet sind. Denn das geht in Richtung einer ruinösen Vorschrift.

Im Moment sieht es aber bei den Infektionszahlen nicht so aus, als würde sich die Lage bessern.

Die Infektionszahlen sind aber nur ein Teil des Ganzen. Wir sind der Meinung, es müssen auch andere Indikatoren zählen, wie etwa die Hospitalisation und die Intensivstation-Rate.

«Es gibt Punkte, die Gastrobetriebe massiv in die Bredouille bringen.»

Die Intensivstationen kommen mit den aktuellen Zahlen auch bald an ihre Grenzen.

Das werden wir sehen. In Basel-Stadt befanden sich seit Mitte Mai nie mehr als drei Personen gleichzeitig auf der Intensivstation. Deswegen sage ich: Die Massnahmen müssen verhältnismässig bleiben und auch wieder gelockert werden, wenn die Situation es zulässt. Für die Bars und Clubs sind die aktuellen Auflagen ein Schock und gleichen einem Öffnungsverbot.

Wie meinen Sie das?

Einige machen jetzt gar nicht mehr auf und sagen der Regierung: Seid doch ehrlich und schliesst die Clubs ganz und gebt dafür Hilfsleistungen. So wie es jetzt ist, bringt es ökonomisch nichts mehr, aufzumachen. Ganz entscheidend ist: Es darf keinen Lockdown geben. Die Schutzkonzepte funktionieren, es kommt kaum zu Ansteckungen in Geschäften oder Restaurants.

«Für die Bars und Clubs gleichen die aktuellen Auflagen einem Öffnungsverbot.»

Sie klingen kritisch. Sind Sie nicht zufrieden, wie der Kanton mit der zweiten Welle umgeht?

Nein. Wir haben momentan eine dreifache Krise: eine gesundheitliche, eine wirtschaftliche und eine soziale Krise. Und es ist ganz wichtig, dass alle drei Aspekte gleichwertig berücksichtigt werden. Und im Moment liegt der gesundheitliche Teil zu stark im Fokus. Wir müssen die wirtschaftlichen Folgen bei Entscheidungen mehr im Blick behalten und auch die sozialen Auswirkungen, weil diese zu sehr in den Hintergrund geraten. Wir brauchen einen Dreiklang.

Was braucht es aus Ihrer Sicht dafür?

Neben dem Vermeiden eines Lockdowns muss auch über die Verkürzung der Quarantänefrist nachgedacht werden. Das ist mittlerweile eine breit abgestützte Forderung. Bei den Reisebestimmungen muss man bei den Grenzregionen beachten, dass jeden Tag 70'000 Pendler in die Nordwestschweiz kommen.

Die Quarantänezeit zu verkürzen wäre allerdings ein drastischer Schritt. Halten Sie das – gerade in Anbetracht steigender Infektionszahlen – nicht für gefährlich?

Die Verkürzung der Quarantänezeit wird auch von Epidemiologen für möglich und sinnvoll gehalten. Es zeigt sich, dass bei den allermeisten Personen in Quarantäne, die auch tatsächlich erkranken, die Symptome während der ersten Tage auftreten. Später auftretende Symptome sind selten. Das heisst, eine Verkürzung der Quarantäne ist aus unserer Sicht aus epidemiologischer Sicht vertretbar und würde die Unternehmen, wie auch die Behörden entlasten.

Der Kanton Basel-Stadt hat in der ersten Welle als einer der ersten reagiert und Unterstützungsprogramme für die Wirtschaft lanciert. Er macht also durchaus etwas für die Wirtschaft. Nicht?

Zu Beginn der Corona-Krise hat der Kanton vorbildlich reagiert und hat etwa bei der Kreditvergabe und der Dreidrittel-Mietzinslösung Pionierarbeit geleistet. Auf Bundesebene gibt es die Kurzarbeitsentschädigungen (KAE). Hier gilt es, das vereinfachte Verfahren beizubehalten, wenn die Krise anhält. Die KAE für Arbeitgeberähnliche Empfänger (z.B. Aktionäre, Anm. d. Red.) hat man gestrichen, die muss man sofort wieder einführen. Geht es so weiter, muss man auch bei den vergebenen Covid-Krediten die Laufzeit erweitern, die jetzt auf fünf Jahre beschränkt ist. Der Nullzins der Kredite ist beschränkt auf ein Jahr, diese Frist sollte man auch verlängern. Ausserdem ist es ein Problem, dass man mit den Krediten nicht investieren darf, denn gerade jetzt fallen durch die Beschränkungen Kosten an.

Kurzfristig helfen Kredite und Bürgschaften. Corona ist aber lange noch nicht vorbei. Wie sollen die Unternehmen Hilfskredite ohne die üblichen Einnahmen zurückzahlen?

So weit können wir noch nicht schauen, obwohl viele schon am Existenzminium sind und kurz davor stehen, das Geschäft aufzugeben. Es gibt aber viele Experten, die sagen, der Impfstoff kommt und in den Behandlungen sind grosse Fortschritte gemacht worden. Je schneller wir zur Normalität zurückkehren können, desto besser. Und da sind wir auch auf die Solidarität der Gesellschaft angewiesen, dass sie sich was leisten und Geschäfte unterstützen, damit wir Familienunternehmen und KMUs auch in einem halben Jahr noch haben.  

Glauben Sie, das Weihnachstgeschäft wird den Firmen helfen oder ist es aufgrund der Beschränkungen nur ein Tropfen auf den heissen Stein?

Im Moment ist jeder Tropfen gut. Ich bin deshalb sehr froh, dass sich der Kanton Basel-Stadt dazu durchgerungen hat, dass der Weihnachtsmarkt stattfinden soll. Zwar stark eingeschränkt, aber er findet statt, und das sind alles positive Signale, um den Konsum aufrecht zu erhalten – im Rahmen des Schutzkonzepts. 

Eine*r für alle, alle für eine*n.

Wagen Sie eine Prognose? Wie sieht die Basler Wirtschaftslage in einem Jahr aus? 

Wir haben vor vier Monaten eine Umfrage bei den Betrieben gemacht. Damals ging ein Grossteil von einer Erholung im nächsten Jahr aus. Aber wirklich auf Vorkrisenniveau wird es erst frühestens im Jahr 2022 kommen, wenn überhaupt.

Sehen Sie, dass die Krise auch positive Seiten hat oder ist Corona einfach nur schlecht?

Man kann immer probieren, etwas Positives abzugewinnen. So wurde die Digitalisierung in vielen Unternehmen vorangetrieben und Geschäftsmodelle wurden angepasst und krisenfester gemacht. Am Anfang der Krise hat man gesagt, die Solidarität hätte zugenommen. Leider ist das sehr kurzfristig gewesen. Es hat sich eher ein massiver Graben gebildet in der Bevölkerung. Es gibt aber auch schöne Beispiele. Firmen etwa, die ihren Mitarbeitern Einkaufsgutscheine geschenkt haben. Oder, dass die Schweizerinnen und Schweizer die Schönheit ihres Landes wieder mehr entdecken.

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