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«Es reicht nicht, ein paar Nazis zu benennen – und dann sind wir alle fein raus»

Die deutsche Journalistin und Autorin Alice Hasters (30) hat ein Buch über Rassismus geschrieben. Wir haben mit ihr über den toten Diskurs, scheinheilige Abwehrreflexe von Schweizer*innen und die Zerbrechlichkeit der politischen Linken gesprochen.

01/16/20, 08:13 AM

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Alice Hasters vor ihrer Lesung im Literaturhaus Basel.

Alice Hasters vor ihrer Lesung im Literaturhaus Basel.

Der Titel Ihres Buches lautet «Was Weisse Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten.» An welche Weissen haben Sie beim Schreiben vor allem gedacht?

An keine bestimmten. Ich erkenne das Problem in den verschiedensten Milieus und Menschengruppen. Sowohl bei denen, die sich wenig mit Rassismus auseinandergesetzt haben, als auch bei denen, die viel über Rassismus nachdenken. Bei allen erkenne ich diese Sehnsucht danach, dass Thema abhaken zu können. Vielleicht sogar noch ein Deut mehr bei denen Menschen, die von sich behaupten, sie seien auf keinen Fall rassistisch.

Nehmen wir diese Gruppe kurz in den Blick. Sie lebt wahrscheinlich urban, ist vornehmlich weiss, wählt politisch nicht rechts. Sie geht an Nazisraus-Demos. Welche Erfahrungen machen Sie, wenn Sie in diesem Milieu über Rassismus sprechen?

Es ist zumindest nicht weniger anstrengend, in diesen Kreisen dieses Gespräch zu führen, als mit Rechten. Das hat sich für mich als Trugschluss offenbart. Insgesamt ist es dadurch sogar schwerer in diesen sich links fühlenden Kreisen rassistisches Verhalten anzusprechen, weil man da nicht darauf vorbereitet ist, dass dir zum Beispiel doch kurz jemand in die Haare fassen will. Weil dir alle vermitteln wollen, dass das hier ganz bestimmt ein rassismusfreier Raum sei und dass sie über alles Bescheid wüssten.

Wie kommen Sie zur Aussage, es sei in Linken Kreisen anstrengender, über Rassismus zu sprechen?

Es ist mir da schon oft genug passiert, dass ich eine rassistische Aussage anspreche und dann sofort auf eine extreme Fragilität treffe. Der Vorwurf wird vehement abgewehrt. Zum Beispiel indem Weisse zu weinen beginnen und das ist natürlich unangenehm für alle, auch für mich. Ich komme dann in eine Position, mich entschuldigen zu müssen und insgesamt geht es in der Folge vor allem darum, dass ich jemandem Rassismus vorgeworfen habe und nicht um den Rassismus an sich.

Sie beschreiben das als Täter*innen-Opfer-Umkehr.

Ich verstehe schon, warum Weisse so schockiert reagieren. Je krasser die Abwehr, desto stärker der Eindruck, dass man ja auf gar keinen Fall rassistisch sein könne. Aber im Endeffekt hilft mir das halt auch nicht. 

Was wäre die bessere Reaktion? 

Alles, was nicht direkt als Ablehnung daherkommt. Kurz nachdenken vielleicht. Anerkennen, dass man als weisse Person eine gewisse privilegierte Position hat, die auch dazu führt, dass man eher Dinge übersieht. Und dass so eine Konfrontation, so ein Vorwurf, eine Chance ist, etwas zu lernen und die dann auch nutzen.

«Die Frage, ist das rassistisch oder nicht, muss auch beantwortet werden, ohne dass ich mein Gefühl dazu teile.»

Alice Hasters

Sie schreiben, der Begriff Rassismus sei sehr aufgeladen. Er wirkt wie eine Giesskanne aus Scham, ausgekippt über die Benannten. Könnte es der Auseinandersetzung zum Beispiel helfen zu sagen, das war jetzt eine rassistische Aussage anstatt zu sagen: Du bist ein*e Rassist*in?

Ja, ich sage Leuten ja nicht, dass sie Rassist*innen sind, sondern dass ihre Aussagen, ihre Haltung und Handlungen von Rassismus geprägt sind. Aber ich weiss halt nicht, wessen Aufgabe es ist, sich um diese Präzisierung zu kümmern. Nochmals: Ein*e Rassist*in ist nicht unbedingt ein Nazi, es gibt einen Unterschied zwischen Rechtsradikalismus und Rassismus. Ich frage mich nun, ob es es meine Aufgabe ist, das R-Wort nicht mehr zu benutzen, weil die Leute diesen Unterschied nicht machen können. Wir brauchen nun mal ein Wort, um rassistisches Verhalten zu benennen, es gibt kein anderes. Ich bezweifle ausserdem, dass es der Sache dienlich wäre, wenn man das Wort abschwächt oder ein anderes nimmt. Weil dann die Kontinuität verwischt.

Blicken wir noch auf die andere Seite des politischen Spektrums. Wie kann man mit jenen Reden, die rundheraus ablehnen, rassistisch zu sein? Die das partout nicht wahrhaben wollen?

Ich glaube, es hilft, über die Definition des Begriffs Rassismus zu sprechen. Da kommt nämlich oft heraus, dass Menschen denken, mit Rassismus sei Rechtsradikalismus gemeint. Es hilft sicherlich auch, sich ein paar historische und soziologische Fakten über Rassismus anzueignen. Außerdem merke ich, dass es effektiv ist, Fragen zu stellen: «Warum benutzt du dieses Wort?», «Wovor hast du genau Angst?», «Wie kommst du darauf?» So sind diese Leute eher gezwungen sich selbst zu reflektieren und man kaut ihnen nicht alles vor.

In Basel gab es vor einem Jahr eine hitzige Rassismusdebatte, in deren Zentrum Name und Symbol einer Gugge stand. Viele haben die Karikatur als Teil einer liebgewonnenen Tradition verteidigt und argumentierten, die Figur mit Bastrock und Knochen könne historisch betrachtet gar nicht rassistisch sein, die Schweiz habe schliesslich keine Kolonien besessen. Wie gültig ist dieses Argument auf einer Skala von 1 (ungültig) bis 10?

Null, natürlich.

Warum?

Zuallererst ist es scheinheilig. Kein Land in der Mitte Europas war im 19. Jahrhundert so isoliert, dass es nichts davon mitgekriegt hätte, was rundherum passiert ist. Auch wenn die Schweiz keine Kolonialmacht war, hat sie vom transatlantischen Sklavenhandel profitiert, nicht zuletzt in Form von Gütern und Geld. Gleichzeitig mit dem Reichtum kamen auch abwertende Stereotype und die haben ganz sicher nicht an der Schweizer Grenze halt gemacht.

Sie meinen stereotype Bilder, wie sie dieses Logo darstellen?

Ja. Das Bild von schwarzen Menschen ist seit hunderten von Jahren von Rassismus geprägt und das spiegelt sich noch immer darin, wie man auf schwarze Menschen schaut, wie man sie karikiert, welche Eigenschaften man ihnen zuschreibt. Davon kann man sich in der Schweiz nicht freimachen.

«Wenn ich sage, dass war jetzt rassistisch, beginnen Weisse einfach zu weinen»

Alice Hasters

Auf den ersten Seiten Ihres Buches schreiben Sie, der öffentliche Diskurs über Rassismus trete seit Jahren auf der Stelle. Was meinen Sie damit?

Es wird zwar seit Kurzem vermehrt über Rassismus gesprochen. In Talkshows zum Beispiel, oder auch im Netz. Stichwort #vonhier oder #metwo. Aber ich beobachte, dass ein Grossteil  dieser Debatte immer noch auf Selbstbeschwichtigung unter Weissen abzielt. Weisse wollen gerne für sich sagen können, man habe den Rassismus jetzt angesprochen, das Problem sei also erkannt und benannt und jetzt müsse auch mal wieder gut sein. Das Thema sei durch.

Ist es das?

Natürlich nicht. Das Thema sollte nicht so behandelt werden, als ob es bald durch sein würde. Erst dann können wir weiterkommen. Ich habe mich beim Schreiben meines Buches oft gefragt, warum ich das mache, warum muss ich nochmal aufschreiben, was viele vor mir schon geschrieben haben. Aber dann reichte mir jeweils ein Blick in die sozialen Netzwerke, um zu sehen, dass die Message noch nicht angekommen ist. Dass es weitere Stimmen braucht.  

Wie kommen weisse Menschen zur Einschätzung, das Thema Rassismus sei durch?

Die meisten Leute meinen immer noch, Rassismus sei eine Haltung, die man ganz bewusst einnimmt. Oder dass er sehr individuell zu verorten ist, zum Beispiel bei offensichtlichen Nazis. Es reicht aber nicht, ein paar Nazis zu benennen und dann sind wir alle fein raus, obwohl das auch schon ein guter Anfang wäre. Ich will darauf hinweisen, dass Rassismus kein persönliches Problem ist. Dass er in unsere Gesellschaft eingebettet ist und dass wir folglich mit rassistischen Vorurteilen aufwachsen. Er spiegelt sich wieder in unserer Sprache, in unseren Traditionen, in Literatur, Kunst, in den Medien. Wir müssen uns folglich alle damit auseinandersetzen, wie wir das aus dem System rauskriegen.

Sie sind selbst Journalistin. Ihre Kritik zielt auch auf die Medien und Berufskolleg*innen, die sich wenig Mühe machen, ihre eigenen Rassismen zu hinterfragen, sondern im Modus des «Abfragens» stecken bleiben. Was heisst das?

Das heisst unter anderem, dass ich zum Beispiel in Interviews oft zu meiner Gefühlslage gegenüber einer bestimmten Handlung befragt werde. Wie finden Sie, dass weisse Menschen Dreadlocks oder Cornrows tragen, Frau Hasters, was halten Sie von der Frage woher sie wirklich kommen, wie reagieren Sie, wenn man Ihnen in die Haare fasst? Als ob meine verletzen Gefühle Massstab dafür sind, ob etwas rassistisch ist oder nicht. Ich halte diese Abfragerei für etwas zu einfach, denn Rassismus sollte man unabhängig davon beurteilen können, wie ich oder andere sich gerade fühlen.

Wir Journalist*innen lassen uns also lieber von «Betroffenen» die Grenzen aufsagen, anstatt das Thema selbst anzupacken?

Ich registriere diese Haltung unter Weissen, die lautet: Oh, also wenn dich das verletzt, dann höre ich natürlich damit auf. Als ob Rassismus eine Befindlichkeit wäre, auf die man Rücksicht nehmen sollte. Die Frage, ist das rassistisch oder nicht, muss aber auch beantwortet werden, ohne dass ich mein Gefühl dazu teile. Verhaltensweisen und Aussagen sind nicht deshalb rassistisch, weil sie mich verletzen. Es ist umgekehrt: Sie verletzen mich, weil sie rassistisch sind. Ich wünsche mir, dass die Leute davon wegkommen, zu denken, sie müssen sich nur ändern, wenn jemand verletzt wird.

Wird Ihnen mit diesen Fragen nicht einfach die Deutungshoheit überlassen?

Diese Abfragerei sorgt mit Sicherheit dafür, dass der Ball bei diesem Thema bei nicht-weissen Menschen liegen bleibt. Unterm Strich muss also immer ich die Spielregeln machen, also bin ich es am Ende auch, die das «Spiel» kaputt macht. Die Machtposition bleibt derweil bei den Weissen, weil sie so gnädig sind, Rücksicht zu nehmen. 

Wenn schwarze Menschen über strukturellen Rassismus sprechen und schreiben, wird ihnen von Rechten manchmal vorgeworfen, das sei rassistisch gegenüber Weissen. Eine nicht zuordenbare Definition von Rassismus sagt derweil, Rassismus, das sei Vorurteil plus Macht. Halten Sie diese Definition für zutreffend?

Ja. Diese Definition ist zwar vereinfacht, aber im Prinzip kann man das so sagen. Mein Ankerpunkt ist die Kolonialgeschichte, da kommt man einfach nicht darum herum. Es gab keinen Kolonialismus an Weissen durch schwarze Menschen. Auch die Menschenrassen haben sich Schwarze nicht ausgedacht, sondern Weisse. Das kann man historisch niemals umdrehen.

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«Was weisse Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten» ist im Hanser Verlag erschienen und ist für 25.50 Franken im Handel erhältlich. Die Autorin kommt aus Köln, sie hat in München Sport und Journalismus studiert und lebt heute in Berlin.

Alice Hasters bei ihrer Lesung im Literaturhaus Basel. «Ich habe mich beim Schreiben meines Buches
oft gefragt, warum muss ich das alles nochmal aufschreiben muss.»

Alice Hasters bei ihrer Lesung im Literaturhaus Basel. «Ich habe mich beim Schreiben meines Buches oft gefragt, warum muss ich das alles nochmal aufschreiben muss.» (Foto: Daniel Faulhaber)

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