Mit dem Kleinbasel kann man’s ja machen
Die Kontakt- und Anlaufstelle für Süchtige auf dem Dreispitz soll zügeln, weil in der Nähe eine Schule gebaut wird. Über die Verdrängung ärgert man sich im Kleinbasel, wo Schulen, Kindergärten und Gassenzimmer seit Langem koexistieren.
Am äussersten Rand der Stadt an der Grenze zum Baselbiet will der Kanton mit der Bebauung Walkeweg eine neue Siedlung mit Mustercharakter bauen: Familienfreundliche und preisgünstige Wohnungen für 650 Personen, ein Kindergarten und eine klimaschonend gebaute Primarschule sollen hier entstehen. Ab 2026 soll im «Walke» gewohnt werden, ab dem Schuljahr 2027/28 auch gelehrt.
Dass sich dadurch künftig Drogenabhängige auf dem Schulweg von Kindern aufhalten würden, sorgte bei einigen für Bauchschmerzen. In einer politisch breit abgestützten Motion forderte daher im Januar die LDP-Grossrätin Nicole Kuster*, dass die Regierung einen neuen Standort für das K+A suchen solle. Es wurde auf das subjektive Sicherheitsgefühl der Kinder auf dem Schulweg hingewiesen, aber auch auf die Gewährleistung der Anonymität in den K+A.
In der Nähe des geplanten «Low-Cost-Low-Energy»-Quartiers befindet sich heute die Kontakt- und Anlaufstelle (K+A) Dreispitz, die auch «Gassenzimmer» genannt wird. Hier können Drogenabhängige in einem sicheren Rahmen und mit hygienischen Hilfsmitteln ihre mitgebrachten Drogen konsumieren.
«Das fühlt sich für uns im Kleinbasel mal wieder wie eine Ungleichbehandlung an.»Theres Wernli, Stadtteilsekretariat Kleinbasel
Auf die knappe Überweisung der Motion folgte Ende April die Stellungnahme der Regierung, die den Standort Dreispitz als «nicht länger geeignet» klassifiziert. Argumentiert wird mit der unmittelbaren Nähe zur neuen Schule und dem neuen Kindergarten, aber auch mit der fehlenden Klimatisierung und den engen Platzverhältnissen im heutigen Gebäude. Sprich: Die Regierung sucht nun nach einem Alternativstandort.
Das ist bemerkenswert, denn das von der Regierung als ungeeignet beschriebene Szenario trifft so zumindest bezüglich der Lage bereits auf den anderen K+A-Standort in der Stadt zu – das Gassenzimmer am Riehenring, beim Wiesenkreisel im Kleinbasel. Hier sind das Wohnquartier wie auch das Primarschulhaus Horburg und drei Kindergärten in unmittelbarer Nähe.
«Das fühlt sich für uns im Kleinbasel mal wieder wie eine Ungleichbehandlung an», sagt Theres Wernli vom Stadtteilsekretariat Kleinbasel. «Wir leben seit Langem mit dem K+A bei uns im Quartier und damit auch mit den sozialen Herausforderungen davon. Aber wenn im Grossbasel eine ähnliche Situation droht, wird es sofort abgewendet.» Es füge sich in das Bild: Mit dem Kleinbasel kann man’s ja machen.
Rückblick: Ursprünglich gab es zwei K+A im Grossbasel, an der Spitalgasse und an der Heuwaage. Beide waren zentral, aber eben auch exponiert – und die Räumlichkeiten eng. Wegen der damals gesunkenen Nachfrage hielt man nur noch zwei K+A, dafür mit grösseren Räumlichkeiten, für notwendig. Die zwei Grossbasler Gassenzimmer wurden also vor zehn Jahren durch den Standort Dreispitz ersetzt. Das im Kleinbasel blieb.
Im Grossbasel schaffte man es schon damals effektiv, sich gegen die Gassenzimmer in den eigenen Quartieren zu wehren. Mit der Neustrukturierung sank die Anzahl Gassenzimmer in der Stadt von drei auf zwei. Ursprünglich waren immer zwei K+A gleichzeitig geöffnet, damit sich die Klient*innen besser auf die unterschiedlichen Standorte verteilen können. Seit es den Dreispitz gibt, ist das nicht mehr möglich, weil nur noch zwei zur Auswahl stehen.
Begründet wurde dieser Schritt damals mitunter damit, dass die Standorte Spitalgasse und Heuwaage in unmittelbarer Nähe zu Schulen seien. Auf dem Dreispitz gäbe es hingegen weder unmittelbar angrenzendes Wohngebiet noch Schulen, argumentierte das Gesundheitsdepartement damals. K+A-Leiter Horst Bühlmann sagte noch 2016 zur Tageswoche, dass er nicht an eine baldige Verdrängung des K+A glaube.
«Das befördert die gesellschaftliche Segregation und die Trennung in ‹gute› und ‹schlechte› Quartiere.»Samuel Müller, Präsident Neutraler Quartiervereinr Unteres Kleinbasel
Das war noch vor den Entwicklungsplänen in der Peripherie. Heute stehen auch auf dem Dreispitz grosse Wohnbauprojekte und Arealentwicklungen an: Dreispitz Nord, Wolf-Areal und eben der Walkeweg. In einigen Jahren wird das nicht mehr der Stadtrand sein, an den man das Gassenzimmer einst verschoben hat.
Und deshalb soll das K+A nun auch wieder weg. Nicole Kuster, die mit ihrer Motion die Verschiebung in die Wege leitete, sagt auf Anfrage, dass sie damit «in keiner Weise eine Ungleichbehandlung der Quartiere fordern» wollte.
Doch so zumindest wird es im Kleinbasel teils aufgefasst: Samuel Müller, Präsident des Neutralen Quartiervereins Unteres Kleinbasel, zeigt sich ebenfalls besorgt, wie sich das «notwendige Angebot für Randständige» im unteren Kleinbasel konzentriert. «Das befördert die gesellschaftliche Segregation und die Trennung in ‹gute› und ‹schlechte› Quartiere. Wir erwarten eine grundsätzliche Kurskorrektur und eine bessere Verteilung gesellschaftlicher Lasten auf die ganze Stadt.»
Fehlt dem Kleinbasel vielleicht die Lobby, die diesen Anliegen nicht nur Gehör verschafft, sondern auch tatsächlich Massnahmen zur Entlastung einleitet? Im Kleinbasel leben schliesslich auch nur ein Viertel der Parlamentarier*innen im Grossen Rat.
Der nächste Drogenstammtisch, organisiert von Bajour und dem Stadtteilsekretariat Kleinbasel, findet am 29. Mai um 19 Uhr im Rheinfelderhof statt. Das Thema: Die Polizei hat zu wenig Personal. Für die Anwohnenden ist die Situation weiterhin unerträglich. Sie fordern zusätzliche Schritte. Doch was will Basel? Einen «Platzverweis» oder die Einführung eines «Ordnungsdienstes»?
«Es geht nicht darum, die suchtbetroffenen Menschen aus dem Kleinbasel wegzuschicken. Sondern darum, dass alle Quartiere sich beteiligen.»Mahir Kabakci, SP-Grossrat aus Kleinbasel
Die politische Ausgangslage, um auf diesen Umstand aufmerksam zu machen, sei deshalb natürlicherweise schwieriger, sagt der Kleinbasler SVP-Grossrat Lorenz Amiet: «Wir müssen uns dafür einsetzen, das Bewusstsein zu stärken, dass die Verteilung nicht gerecht ist.» Auch Mahir Kabakci, SP-Grossrat aus Kleinbasel, findet: «Es geht nicht darum, die suchtbetroffenen Menschen aus dem Kleinbasel wegzuschicken. Sondern darum, dass alle Quartiere sich beteiligen.»
Eine Möglichkeit dafür könnte eine laufende Verschiebung der K+A sein, findet FDP-Grossrat und Neo-Kleinbasler Luca Urgese. Die provisorischen Gebäude wären dann früher oder später immer an einem anderen Ort, jedes Quartier wäre mal dran und das Kleinbasel entlastet. «Die Seite des Rheins soll dabei keine Rolle spielen.»
Zumindest eine gewisse Entlastung wurde zuletzt auch für die Region rund um den K+A Riehenring beschlossen. Die Regierung kündigte in einem Massnahmenpaket im März an, dass die Öffnungszeiten bei den K+A so geändert werden, dass der Dreispitz an einem Abend mehr geöffnet ist und der Riehenring weniger oft besucht wird. Horst Bühlmann vom K+A allerdings sagt auf Anfrage, dass es zu früh sei, um die Griffigkeit dieser Massnahme auszuwerten.
Eine Arealentwicklung muss alle betroffenen Menschen miteinbeziehen. Mit der Motion wollte ich jedoch in keiner Weise eine Ungleichbehandlung der Quartiere fordern.
* n einer früheren Version dieses Artikels hatte wir Nicole Kuster fälschlicherweise Nicole Roth genannt