Liberal, feudal, ganz egal
Die FDP hält es für eine gute Idee, vor mehr als 100 Jahren beerdigte Regeln zur Familienstiftung wieder aus der Schublade zu holen. Reichen macht sie damit ein Geschenk, sich selbst aber nicht unbedingt. Ein Kommentar von Chefredaktorin Ina Bullwinkel.
Die Reichen sind arm dran. Es fehlt ihnen aus Sicht der FDP ein gutes Instrument, um ihr Vermögen und die entsprechende Erbmasse an die nächste Generation weiterzugeben. Mit so einem Instrument meint die FDP um Parteipräsident Thierry Burkart die vor mehr als 100 Jahren beerdigte Familienfideikommiss. So soll das Geld noch bequemer und ohne Weg übers Ausland dort bleiben wo es ist, bei den Reichen. Was im 19. Jahrhundert erlaubt war, kann doch heute nicht schlecht sein?! Dass dieses feudalistische Stützwerk 1907 verboten wurde, weil es gegen jede Chancengleichheit und nicht unbedingt demokratiefreundlich ist, stört heuer im Ständerat und im Nationalrat die bürgerliche Mehrheit nicht. Sie nahm den Vorstoss mit Handkuss an, jetzt muss der Bundesrat dem Parlament einen Gesetzentwurf vorlegen.
Das ist, aus Sicht der wettbewerbsorientierten Freundin der liberalen Leistungsgesellschaft, wirklich bemerkenswert: Da gräbt die FDP ein längst ausrangiertes Gesetz aus der staubigen Schublade des über Generationen weitervererbten Wurzelholz-Sekretärs und alle bürgerlichen Parlamentarier*innen springen sofort darauf an, als hätten sie selbst Millionen auf dem Konto, die sie mit niemandem teilen wollen, bzw. höchstens mit den eigenen Nachkommen. Vermögensoptimierung für Superreiche ist offenbar ein zeitloser Trend. Für FDP-Chef Burkart ist das Verbot der Familienstiftung jedenfalls «aus der Zeit gefallen». Der Vorstoss zur Familienstiftung hat dazu gedient, Machtverhältnisse zu zementieren, sich abzugrenzen und generell das Signal zu senden: Die Reichen wählen am besten die FDP.
Die Familienstiftung wird als legitimer Bedarf einer bestimmten Schicht verkauft wird. Dabei ist das bequeme Verschieben von Vermögen ein Luxusproblem.
Rufen wir uns kurz ins Gedächtnis, dass die FDP spätestens seit den jüngsten Nationalratswahlen die Angst umtreibt, in die politische Bedeutungslosigkeit abzudriften. Die Partei galt als grosser Verlierer der Wahlen 2023 und schaut man sich die Bilanz der vergangenen Jahre an, wird ihr Anspruch auf zwei Bundesratssitze immer fragwürdiger. Kann es da helfen, hier und da den Reichen im Land ein kleines Geschenk zu machen, um – ganz vielleicht – ihre Gunst zurückzugewinnen? Gibt es genügend Reiche, die bei der nächsten Wahl ihr Kreuz bei der FDP setzen? Oder spielen sich die wahren Interessen eh ausserhalb des Parlamentssaals ab?
Interessant ist, dass die Familienstiftung als ein legitimer Bedarf einer bestimmten Schicht verkauft wird. Dabei ist das bequeme Verschieben von Vermögen ein Luxusproblem. Sowas verstehen vermutlich nur Menschen mit viel Geld. Darüber müssen sich die einfachen Leute, die auf so seltsame Dinge wie Ergänzungsleistungen, günstige Studiengebühren und staatliche Kita-Unterstützung angewiesen sind, nicht die Köpfe zerbrechen. Wie gesagt, legitimer Bedarf einer bestimmten Schicht. Es reicht ja, wenn zumindest einige von ihnen glauben, dass sie, wenn sie sich ganz viel Mühe geben und sehr hart arbeiten, auch einmal reich sind und dann von so einer Familienstiftung profitieren könnten.
In der Schweiz läuft es auch ohne Familienstiftung immer noch gut mit dem Erben. Die einzelnen AHV-Renten sind dagegen nur Peanuts.
Fakt ist: In der Schweiz besitzen 740 Superreiche mit über 100 Millionen Dollar Vermögen pro Person über 20 Prozent des gesamtschweizerischen Finanzvermögens. Das ist extrem viel Geld auf sehr wenige Menschen verteilt. Mit einer Familienstiftung würde sich das Vermögen noch mehr konzentrieren. Was die Ungleichheit der Vermögensverteilung angeht, spielt die Schweiz – je nach Sichtweise – heute schon in der untersten oder obersten Liga.
Das geschätzte Erbschafts- und Schenkungsvolumen beläuft sich auf etwa 90 Milliarden Franken – doppelt so viel wie jährlich an AHV-Renten ausgezahlt wird. Der letzte Anlauf, eine nationale Erbschaftssteuer einzuführen, scheiterte 2015 an einer ähnlichen Allianz aus Wirtschaftsverbänden und Medien, die jetzt die 13. AHV so engagiert bekämpft. Wer viel zu vererben hat, kann sich also weiterhin einen Kanton suchen, der keine Nachlassbesteuerung kennt.
Es ist also legitim zu sagen: In der Schweiz läuft es auch ohne Familienstiftung immer noch gut mit dem Erben. Die einzelnen AHV-Renten sind dagegen nur Peanuts. Vermögensoptimierung für die Reichen kann man sich aber offensichtlich trotzdem leisten. Wie lange die FDP sich solche Ideen aus Wähler*innensicht leisten kann und will, bleibt ihr Geheimnis.
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Korrektur (7. März 2024): In einer früheren Version dieses Artikels war von Steueroptimierung bzw. von einem Steuergeschenk an Reiche die Rede. Diese Textstellen waren falsch und wurden angepasst (siehe Medienkritik). Es handelt sich um Vermögens- bzw. Nachlassoptimierung. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen.
Familienstiftungen stehen im Gegensatz zum Erbrecht, das mit seinen Pflichtteilen die Aufspaltung und Umverteilung von Vermögen bezweckt. Ein Steuerersparnis-Vehikel sind sie nicht. Eine Medien-Selbstkritik.
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