Basel unter schwarz-weiss-rot-grüner Flagge
Mehrere tausend Personen solidarisieren sich in Basel mit der Zivilbevölkerung in Gaza. Das verläuft friedlich, von einer Buh-Attacke auf Starbucks abgesehen. Die umstrittene Gruppe BDS fordert den Boykott der Schweiz, solange sie sich nicht für einen Waffenstillstand stark mache.
«Mama, ich habe kalt.» Der kleine Junge – mit umgehängter Palästina-Flagge und Free-Gaza-Sticker auf der Paw-Patrol-Mütze, ein Palästina-Fähnchen schwenkend – hat recht. 0 Grad zeigte das Thermometer an diesem Samstag. Mit der nationalen Demo in Solidarität mit der palästinensischen Zivilbevölkerung stand ein Grossanlass an, zu dem 80 Organisationen aus dem ganzen Land aufgerufen hatten.
Schon lange, bevor die Reden der Organisator*innen – dem erst kürzlich gegründeten Dachverband Schweiz-Palästina – begannen, skandierten hier auf dem Theaterplatz Menschen in schwarz-weiss-rot-grün gekleidet ihre Parolen: «Ceasefire now», «Viva, viva Palästina» und «From the river to the sea, Palestine will be free» (dazu später mehr). Die Bilder blutender und toter Babys auf einigen Plakaten: kaum auszuhalten.
Nach kurzen Einstiegsreden auf französisch und arabisch setzte sich der Demozug in Bewegung Richtung Kleinbasel. Die Route wurde so gelegt, dass die Innenstadt an diesem Wochenende nicht tangiert wird – die Demonstrierenden ziehen über die Wettsteinbrücke. Dort wurden einige rote und grüne Petarden gezündet.
Schon auf der ganzen Demoroute stickerten einige Teilnehmer*innen fleissig; manche klebten auch Bilder an den Strassenrand, auf denen die Gesichter des amerikanischen Präsidenten Joe Biden und des israelischen Präsidenten Jitzchak Herzog blutverschmiert zu sehen sind. Die USA als «Schutzmacht», die Israel mit Waffen ausstattet, werden wie auch die Europäische Union und die Schweizer Politik an der Demo mitverantwortlich gemacht für das Bombardement Gazas.
Die volle Ladung Sticker bekommt dann die Starbucks-Filiale am Claraplatz ab. Das Café wird von den Demonstrant*innen ausgebuht, die Mitarbeiter*innen darin sahen ziemlich verdutzt aus. Sie wissen wohl nicht, dass Starbucks in die Kritik pro-palästinensischer Aktivist*innen geriet, weil das Unternehmen seiner Gewerkschaft verbieten wollte, sich pro-palästinensisch zu äussern. Ein Demonstrant mit ägyptischen Wurzeln erzählt, dass er selbst mal in der Filiale am Claraplatz gearbeitet habe: «Ich habe meinen Kollegen gesagt, sie sollen am besten einfach die Tür geschlossen halten.» Die Türe wurde vollgestickert und mit einem kleinen Müllhaufen hinterlassen.
Weiter geht’s zur Kaserne, die schnell rappelvoll ist in Anbetracht der grossen Teilnehmer*innenzahl, die man erst hier so richtig einschätzen konnte (die Organisator*innen sprachen später von 5000 Menschen, die Kantonspolizei von 2500). Unter Parolen, dem Hissen einer riesigen Palästina-Flagge von der Kaserne und einer Trommel- sowie einer spontanen Tanzeinlage wurde Platz geschaffen für Redner*innen.
Eine Palästinenserin – sie sagte, sie sei nun «sechs Kriege alt» – erzählte von ihrem Aufwachsen in der Konfliktregion: «Schon als Kind musste ich mich jedes Wochenende von meinen Freund*innen verabschieden, weil jeder Tag unser letzter sein könnte.» Ihr Statement schloss mit einem lauten Appell, die Schweiz zur Verantwortung zu ziehen: «Wir verdienen es, dass die Schweiz sich für uns einsetzt.»
Die militärische und wirtschaftliche Sanktionierung Israels durch die Schweiz war eine der zentralen Forderungen der Demonstrierenden. Solange sich die Schweiz nicht ausdrücklich für einen Waffenstillstand stark mache, müsse auch sie boykottiert werden, forderte eine Vertreterin der umstrittenen Gruppe BDS (Boykott, Desinvestition, Sanktion).
Als letzten Programmpunkt gab es noch eine Rede einer antikolonialen jüdischen Gruppe. «Auch jüdische Menschen können im Nahen Osten nur dann wirklich frei und selbstbestimmt leben, wenn es alle anderen können. Die Forderung nach freiem jüdischem Leben geht für uns einher mit der Forderung nach Freiheit für Palästina», sagte eine Vertreterin der Gruppe. Als jüdische Personen wollten sie sich auch «klar von der Instrumentalisierung von Antisemitismus» distanzieren: «Wir wehren uns dagegen, dass der Genozid genutzt wird, um Minderheiten zu spalten und gegeneinander aufzuhetzen.»
Damit griff sie die Kritik auf, die bereits im Vorfeld der Demonstration formuliert wurde. Der Schweizerische Israelitische Gemeindebund (SIG), der den Grossteil der in der Schweiz lebenden Juden vertritt, hatte im Vorfeld jüdischen Menschen davon abgeraten, sich während der Demo in der Basler Innenstadt aufzuhalten. Der SIG vermutete, dass von Einzelpersonen antisemitische Parolen verbreitet werden könnten (Bajour berichtete).
Die Organisator*innen hatten schon im Demoaufruf klargestellt, Antisemitismus sowie weitere Formen von Rassismus und Diskriminierung nicht zu dulden. Bei der Eröffnungsrede auf dem Theaterplatz wurde Antisemitismus nicht mehr explizit erwähnt. In der sehr diversen Menge der Anwesenden gab es einzelne wenige Plakate, die für den Rechtsextremismusexperten Hans Stutz im Gespräch mit Bajour klar die Grenze zum Antisemitismus überschreiten: ein durchgestrichener Davidsstern zum Beispiel.
Mehrfach wurde auch die Parole «From the river to the sea, Palestine will be free» skandiert. Der Tagesanzeiger hat die unterschiedlichen Bedeutungsebenen dieses Spruchs aufgezeigt: Einerseits für Palästinenser*innen, die damit ihren Wunsch nach Freiheit ausdrücken wollen, und andererseits für Jüd*innen, die darin einen versteckten Aufruf zu antisemitischer Gewalt und der Auslöschung Israels sehen (schliesslich bezieht sich auch die islamistische Terrorgruppe Hamas darauf). In einigen deutschen Bundesländern soll die Parole verboten werden. Für Experte Hans Stutz ist sie zumindest nicht klar antisemitisch gemeint.
Antisemitische Ausschreitungen oder Drohungen hat auch die Kantonspolizei nicht beobachtet, wie Mediensprecher Adrian Plachesi erklärt. Der einzig erwähnenswerte Vorfall sei die Bestickerung der Starbucks-Filiale gewesen. «Wenn es zu einer Strafanzeige kommt, müsste geklärt werden, ob es sich bei den Stickern überhaupt um Sachbeschädigung handelt. Ansonsten haben wir heute eine friedliche Demo erlebt», so Plachesi weiter.
Auch die Organisator*innen betonen den funktionierenden Austausch mit der Polizei. Mitorganisatorin Seyhan Karakuyu sagt: «Wir waren im Dialog. Die Polizeireihe hat Abstand gehalten. Der heutigen Tag hat gezeigt, dass so grosse Demonstrationen in Basel auch friedlich ablaufen können.» Entsprechend zufrieden mit dem Ablauf der Demo und mit allen Menschen, die sich daran beteiligt haben, sind die Veranstalter*innen.
Die Demo schloss mit Ausrufen «Thanks South Africa». Südafrika hat Israel am Internationalen Gerichtshof für Menschenrechte wegen Völkermords angeklagt (mehr dazu bei SRF).
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