Mustafa Atici wird durchmarschieren

Der SP-Kandidat Mustafa Atici hat den ersten Wahlgang klar für sich entschieden. Das hat nicht nur, aber auch, mit seinem (grossen) Rucksack zu tun. Eine Analyse.

Gewinner
Mustafa Atici ist laut dem Endresultat der Sieger des Wahlsonntags.

Wahlen haben manchmal den Charakter von Sportwetten. Im Vorfeld wird getippt, geschätzt und gerechnet. Eine gemeinsame Leidenschaft der lokalen Politiker*innen und der Journalist*innen dieser Stadt, so scheint es. Die Wette gewonnen hat dieses Mal, wer von Anfang an auf SP-Kandidat Mustafa Atici als Wahlsieger getippt (24’526 Stimmen) und den FDP-Grossrat Luca Urgese auf den zweiten Platz gesetzt hat (20’725 Stimmen); der Grüne Grossrat Jérôme Thiriet hatte gemäss den Kaffeesatzprognosen ohnehin keine Chance. Seine 8396 Stimmen sind allerdings doch eher bitter. 

DSC00488
Conradin Cramer verpasst das Absolute Mehr um 651 Stimmen relativ knapp.

Dies ist zumindest das Endresultat (18 Uhr) des ersten Wahlgangs für die Regierungsrats-Ersatzwahl. Das Absolute Mehr (von 28’705 Stimmen) haben allerdings alle drei Kandidaten verfehlt, der zweite Wahlgang am 7. April wird definitive Klarheit bringen. 

Beinahe vergessen geht dabei Conradin Cramer; mit 26’908 Stimmen verfehlte er letzten Endes das Absolute Mehr fürs Regierungspräsidium um 651 Stimmen relativ knapp. Es ist jedoch davon auszugehen, dass er im April vom Erziehungsdepartement (ED) ins Präsidialdepartement (PD) gewählt wird. Seine repräsentativen Fähigkeiten machen den LDP-Mann zur Idealbesetzung im Präsidium; ausserdem ist es ein offenes Geheimnis, dass gewisse Teile der Lehrer*innenschaft unzufrieden sind mit seiner Leistung und ihn aus dem ED weg haben wollen. Dieses gilt es im April also höchstwahrscheinlich neu zu besetzen.

Jérôme Thiriet zieht sich zurück

Für Urgese dürfte es von Vorteil sein, dass Cramer ihm auch im zweiten Wahlgang zur Seite stehen wird, dennoch ist nicht davon auszugehen, dass sich Urgese gegen Atici wird durchsetzen können. Denn die Linke steht nun geschlossen hinter dem SP-Mann: Wie die beiden Kandidaten aus dem linken Lager im Vorfeld der Wahl ausgemacht hatten, wird sich derjenige mit dem schlechteren Resultat nach dem ersten Wahlgang zurückziehen, um die Reihen zu schliessen und die bürgerliche Wende zu verhindern. Sprich: Thiriet tritt im April nicht mehr an. Das verkündete Grünen-Grossrat Harald Friedl bereits nach der Bekanntgabe der Zwischenresultate am Sonntagmittag. Der Rückzug dürfte Atici zum Sieg verhelfen.

Die Niederlage von Thiriet ist wenig überraschend, die Deutlichkeit hingegen schon. Die Basler Grünen-Präsidentin Raffaela Hanauer zeigt sich jedoch gefasst und spricht von einem «respektablen Resultat». So konnte Thiriet die grüne Basler Stammwählerschaft von 14 Prozent abholen. Diese hatte mit dem Velokurier(-Unternehmer) wohl vor allem die Hoffnung verbunden, dass Basel velofreundlicher würde. Auch dank seiner Nicht-Akademiker-Karriere konnte er vielleicht noch ein paar Sympathiestimmen geholt haben. Aber dabei dürfte es bleiben. Die Linke setzte vermutlich aus taktischen Gründen auf den aus ihrer Sicht aussichtsreicheren Kandidaten – und das ist eben Atici.

Neben der Stammwählerschaft der SP als grösste Partei im Kanton, die nach wie vor 30 Prozent betragen dürfte, hat der alt Nationalrat Atici offenbar erfolgreich bei den Migrant*innen mobilisiert. Sein Migrationshintergrund beziehungsweise imperfektes Deutsch war im Wahlkampf ein peinlich herablassendes bis ermüdendes Dauerthema. Das gute Resultat deutet darauf hin, dass ihm seine kurdische Herkunft letzten Endes doch noch zugute gekommen ist beziehungsweise, dass Basel bereit zu sein scheint, für einen Regierungsrat mit Dativfehlern, der dafür Unternehmer- und Macherqualitäten mitzubringen verspricht.

Atici ist als erfahrener Bildungspolitiker geradezu prädestiniert für den Posten im frei werdenden ED. Und vorausseilende Strategien zu den Gesamterneuerungswahlen haben diese Jans-Nachfolge-Wahl natürlich auch überschattet. So heisst es hinter vorgehaltener Hand, Atici habe aus strategischen Gründen einen Grossteil der GLP-Stimmen erhalten. Denn: Für die Wiederwahl von Esther Keller ist es von Vorteil, wenn Atici gewählt würde. Dann würde sich die SP im Herbst darauf konzentrieren, ihre drei bisherigen Regierungssitze zu verteidigen, statt Keller den Sitz streitig zu machen. 

«Weder Thiriet noch Atici haben bei uns Befürworter. Bei anderen Links-Kandidaten hätte dies allenfalls anders ausgesehen.»
Andrea Strahm, Mitte-Grossrätin

Und Urgese? Er hat die bürgerlichen Stimmen von FDP und LDP locker abgeholt – aber angesichts des «bürgerlichen Schulterschluss» mit Mitte und SVP (insgesamt 36 Prozent) hätte es rein rechnerisch eigentlich reichen müssen, den SP-Kandidat Atici im ersten Wahlgang zu überflügeln. Hier dürfte ihm die starke Mobilisierung durch die Renten-Initiativen einen Strich durch die Rechnung gemacht haben. Denn Abweichler gab es vermutlich kaum. Wie die «Mitte»-Grossrätin Andrea Strahm sagt, «haben weder Thiriet noch Atici bei uns Befürworter. Bei anderen Links-Kandidaten hätte dies allenfalls anders ausgesehen.» 

Auch im bürgerlichen Lager werden die Weichen bereits für die Gesamtwahlen gestellt. Die SVP, die ebenfalls zu den Urgese-Unterstützer*innen gehört hat, dürfte nun im Herbst wiederum auf Unterstützung der bürgerlichen Parteien hoffen. Spannung ist also programmiert, denn ob die Basis der «Mitte» einen solchen Zusammenschluss mittragen wird, ist unsicher.

Wie auch immer: Die Basler Stimmbevölkerung hat am heutigen Sonntag klargemacht, dass sie mit der momentanen Zusammensetzung des Regierungsrats (3:1:3) zufrieden ist, und hat sich für Stabilität ausgesprochen. Um im Sportjargon zu bleiben: Atici befindet sich auf der Zielgeraden und wird im April höchstwahrscheinlich durchmarschieren. 

Herzen
Top, die Wette gilt!

Werde auch du Member und unterstütze Bajour.

Das könnte dich auch interessieren

Hannah_Weinberger vom Basel Social Club ©Avi_Sliman

Helena Krauser,Mathias Balzer, FRIDA am 31. Oktober 2024

Hannah Weinberger – Warum braucht es den Basel Social Club?

Für die neunte Folge des Kulturpodcasts «FRIDA trifft» haben wir Hannah Weinberger auf dem Predigerhof getroffen. Dort findet während der Art der dritte Basel Social Club statt. Ein Gespräch über Kunst, Kommerz und schlaflose Nächte.

Weiterlesen
Die beiden Kuenstler Gerda Steiner, links, und Joerg Lenzlinger posieren mit Direktor Roland Wetzel in ihrer Ausstellung "Too early to panic." im Museum Tinguely in Basel, aufgenommen am Dienstag, 5. Juni 2018. (KEYSTONE/Ennio Leanza)

Helena Krauser,Mathias Balzer, FRIDA am 31. Oktober 2024

Gerda Steiner und Jörg Lenzlinger – Was tun gegen den Eiligen Geist?

Für die achte Folge des Kulturpodcasts «FRIDA trifft» haben wir das Künstler:innen-Duo Gerda Steiner und Jörg Lenzlinger im Kloster Schönthal in Langenbruck getroffen. Ein Gespräch über Kunst und Leben, Humor und Spiritualität – und natürlich über unser aller Brot.

Weiterlesen
Ann Demeester, Kunsthaus Zürich

Helena Krauser,Mathias Balzer, FRIDA am 31. Oktober 2024

«Ann Demeester, was würden Sie Emil Bührle heute fragen?»

Für «FRIDA trifft» haben wir Ann Demeester in Zürich besucht. Die erste Frau in der Direktion des Kunsthaus Zürich hat uns erzählt, wie sie mit der kontaminierten Sammlung von Emil Bührle umgeht und welche Ideen sie für die Zukunft des Museums hat. Und auch, warum sie nordischen Heavy Metal und «Pulp Fiction» mag.

Weiterlesen
Isabelle Krieg

Helena Krauser,Mathias Balzer, FRIDA am 31. Oktober 2024

Isabelle Krieg – Was unterscheidet die entspannte Frau von Jesus?

Für die zehnte Folge des Kulturpodcasts «FRIDA trifft» haben wir Isabelle Krieg bei ihrer Einzelausstellung in Altdorf im Haus der Kunst Uri getroffen. Sie hat uns von ihrem langen Weg von der Alp bis in die Kunstwelt erzählt und davon, wie sie trotz Misstrauen gegenüber Akademien Künstlerin geworden ist.

Weiterlesen
Zasi

Das ist Valerie (sie/ihr):

Nach einem ersten journalistischen Praktikum bei Onlinereports hat Valerie verschiedene Stationen bei der Neuen Zürcher Zeitung durchlaufen, zuletzt als Redaktorin im Bundeshaus in Bern. Es folgten drei Jahre der Selbständigkeit in Berlin, bevor es Valerie zurück nach Basel und direkt zu Bajour zog, wo sie nun im Politikressort tätig ist.

Kommentare