Von der Steuerhölle zum Paradies?

Verkehrte Welt: Seit vergangenem Jahr bezahlt man in Basel-Stadt weniger Einkommenssteuern als in Baselland. Kommt jetzt die Abwanderung in die Stadt?

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Die Einkommenssteuern in Basel-Stadt sinken unter jene von Bottmingen. (Bild: Basel Tourismus)

Ende Dezember publizierte Tamedia einen vielversprechenden Artikel: Hier finden Sie Ihr Steuerparadies. Gross abgebildet war eine interaktive Karte, die bei der Suche helfen soll. Wo liegt Ihr Steuerparadies? Für Familie Bünzli – Ehepaar mit Einkommensverteilung 50/50, zwei Kindern und einem Jahreseinkommen von 150’000 Franken – welche als Grundeinstellung angezeigt wird, liegt das Paradies irgendwo im Kanton Zug. Sicher nicht in der häufig als Steuerhölle betitelten Stadt Basel, oder? 

Zoomt man auf die Region, sticht heraus, dass der Stadtkanton günstiger zu sein scheint als die umliegenden als steuergünstig geltenden Gemeinden wie Binningen oder Bottmingen. Dort bezahlt Familie Bünzli 10,49 Prozent respektive 10,23 Prozent Einkommenssteuer, in Basel bloss 9,84 Prozent. Kann das sein?

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Hier finden Sie Ihr Steuerparadies. (Bild: Screenshot/Tamedia)

Bajour hat bei der Eidgenössischen Steuerverwaltung nachgefragt. Resultat? Die Zahlen seien falsch. Die kalte Progression – also die erhöhte Steuerbelastung aufgrund eines inflationsbedingten höheren Einkommens ohne Erhöhung der Kaufkraft – wurde in Genf und Basel-Stadt nicht berücksichtigt. Die Korrektur sei ab Ende Januar verfügbar. Also alles nur ein Fehler? Liegt Basel-Stadt doch höher? 

Im Gegenteil. Die korrigierten Daten zeigen: Familie Bünzli zahlt im Stadtkanton sogar noch weniger: 9,63 Prozent im Gegensatz zu den 10,23 Prozent in Bottmingen. Dass Basel-Stadt plötzlich steuergünstiger als manche Agglo-Gemeinde daherkommt, ist das Resultat zahlreicher Steuersenkungen auf städtischer Seite in Kombination mit den gleichbleibenden Belastungen im Baselbieter Speckgürtel. Eine Entwicklung, die seit 2018 in Gang ist und nun mit dem Unterschreiten der Steuerbelastung Bottmingens, der steuergünstigsten Baselbieter Gemeinde, ihren bisherigen Höhepunkt erreicht. Bisherig, weil wenn es nach FDP-Grossrat und Regierungskandidat Luca Urgese geht, ist diese Entwicklung noch nicht zu Ende: «Ich bin klar der Meinung, dass eine weitere Reduktion der Steuerbelastung nicht nur sinnvoll, sondern absolut notwendig ist.»

2024-03-07 Frage des Tages Steuern-5

Die neuen Zahlen zeigen, dass viele Steuerzahler*innen 2023 in Basel gleichviel oder weniger Einkommenssteuern zahlen wie in den steuergünstigsten BL-Gemeinden Bottmingen & Binningen. Diese Entwicklung ist das Resultat zahlreicher Steuersenkungen auf städtischer Seite in Kombination mit den gleichbleibenden Belastungen im Baselbieter Speckgürtel. Was jetzt?

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Zurück ins Jahr 2018. Familie Bünzli bezahlte in Basel-Stadt damals 11,47 Prozent Einkommenssteuern. Das heisst kantonale und Bundessteuern zusammengezählt, Gemeindesteuern gibt es in der Stadt nicht. Ihre Nachbarin, Frau Incognito – ledig, ohne Kinder, mit einem Einkommen von 80’000 Franken – bezahlte 14,53 Prozent. Im Hausflur diskutieren sie über einen möglichen Umzug in die Nachbargemeinde Bottmingen. Dort würde Familie Bünzli nur 10,47 Prozent Einkommenssteuern bezahlen und Frau Incognito 13,04 Prozent. So könnten sie immerhin 1’493 respektive 1’187 Franken sparen. Dennoch sind beide in Basel zufrieden und bleiben.

Sie werden belohnt. 2018 musste der Kanton Basel-Stadt die nationale Steuervorlage 17 umsetzen. Er tat dies im Rahmen des Basler Steuerkompromisses. Für Familie Bünzli und Frau Incognito heisst das: 2019 sanken ihre Einkommenssteuersätze je um etwa ein Viertel Prozentpunkte. 

Im nächsten Jahr wurde nachgedoppelt. Im Mai 2019 stimmte das Basler Stimmvolk der Topverdienersteuer-Initiative zu. Einzelpersonen ab einem Einkommen von 201’500 Franken und Paare (verheiratet oder ledig mit Kindern) ab einem Einkommen von 403’100 Franken werden seither stärker zur Kasse gebeten. Familie Bünzli und Frau Incognito hingegen mussten 2020 ein Drittel Prozentpunkte weniger Einkommenssteuer abgeben. Für die nächsten drei Jahre bleibt das unverändert.

SV17 und der Basler Steuerkompromiss

Die nationale Steuervorlage 17 (SV17) wurde im September 2018 von der Bundesversammlung beschlossen. Die Vorlage hatte zum Ziel, eine wettbewerbsfähige Steuerbelastung mit international akzeptierten Regelungen sicherzustellen. Umsetzen mussten die Steuervorlage die Kantone. 

In Basel wurde im Rahmen dieser Umsetzung der Basler Steuerkompromiss ausgearbeitet, welcher im Februar 2019 vom Stimmvolk gutgeheissen wurde. Neben mehr Investitionssicherheit für den Standort und einer Entlastung der bis dahin ordentlich besteuerten Unternehmen beinhaltete der Kompromiss auch eine spürbare Senkung der Einkommenssteuer für die Bevölkerung. 

Am 12. März 2023 beschloss Basel-Stadt wiederum das Steuersenkungspaket rückwirkend für das gesamte Jahr 2023. Sämtliche Einkommensklassen profitieren vom Paket, wobei Familien besonders gut wegkommen. Familie Bünzli bezahlt 2023 noch 9,63 Prozent Einkommenssteuern, Frau Incognito 12,88 Prozent. 

Während dieses gesamten Zeitraums veränderte sich die Gesamtsteuerbelastung der Einkommenssteuer in Bottmingen kaum. So kommt es, dass Familie Bünzli 2023 in Basel um 890 Franken billiger wegkommt als in Bottmingen und Frau Incognito an beiden Orten fast gleich viel bezahlen würde. Damit sind sie bei weitem nicht alleine. Der Grossteil der Steuerzahler*innen bezahlt im Stadtkanton 2023 etwa gleich viel oder weniger Einkommenssteuern als im vermeintlich steuergünstigen Bottmingen.

Vor der Haustüre lachen sie nun über ihre Diskussion von 2018. Welch ein Glück, dass sie nicht weggezogen sind. Einen finanziellen Grund zur Abwanderung in den Speckgürtel, die in den 1980er- und 1990er-Jahren ein verbreitetes Phänomen war, gibt es für die beiden nicht mehr. Im Gegenteil. Eine befreundete Familie von den Bünzlis liebäugelt sogar mit einem Umzug aus Bottmingen in die Stadt. Abwanderung aus der Agglomeration ins Steuerparadies Basel? Ist das die neue Realität oder bloss Fiktion?

Stefan Degen, FDP-Landrat und Präsident der Liga der Baselbieter Steuerzahler, kennt die Problematik. «Menschen mit steuerrelevanten Einkommen, die in die Region ziehen und einen Wohnort suchen, lassen sich in der Regel im Stadtkanton oder den Nachbarkantonen Aargau oder Solothurn nieder.» Dabei sei der Landkanton, unter anderem mangels Pharma-Riesen, überdurchschnittlich auf gute Steuerzahler*innen angewiesen. Schlussfolgerung? «Das Baselbiet muss mit der sinkenden Steuerbelastung in Basel-Stadt mithalten, damit es wieder attraktiv wird im Wettbewerb um gute Steuerzahler», meint Degen. «Mithalten könnten wir ohne Weiteres, bringt doch die tiefere Steuerbelastung mittelfristig mehr Einnahmen.»

Stefan Degen Landrat
«Das Baselbiet muss mit der sinkenden Steuerbelastung in Basel-Stadt mithalten, damit es wieder attraktiv wird im Wettbewerb um gute Steuerzahler.»

– Stefan Degen, FDP-Landrat und Präsident der Liga der Baselbieter Steuerzahler

Den Handlungsbedarf sieht er im Baselbiet auf Seite Kanton. Dennoch nimmt er die Gemeinden im Speckgürtel in die Pflicht. Sie müssten sich beim Kanton für eine Gesetzesänderung stark machen, «so dass die Gemeinden mehr Spielraum haben bei der Steuergestaltung». Aktuell seien ihnen die Hände gebunden. Steuergünstige Gemeinden im Baselbiet könnten aufgrund der Gesetzgebung im Moment nicht viel tun, um gute Steuerzahler*innen zu behalten, meint Degen. «Im Kanton Basel-Landschaft fliessen etwa zwei Drittel der Einkommenssteuer an den Staat und nur ein Drittel an die Gemeinde», erklärt er. «Eine Gemeinde im Baselbiet muss die Steuern deshalb überproportional senken, um im Wettbewerb mit einer Aargauer oder Solothurner Gemeinde mitzuhalten.» 

Das sieht auch Mélanie Krapp-Boeglin, Gemeindepräsidentin von Bottmingen, so. Für ihre Gemeinde sei insbesondere der horizontale Finanzausgleich eine Belastung. Denn: Bottmingen gilt im Kanton als finanzstarke Gemeinde und zählt deshalb zu den Gebergemeinden, die in den Finanzausgleich einzahlen, während Nehmergemeinden Ausgleichszahlungen erhalten. Deshalb mache sich Bottmingen für eine Überarbeitung des Finanzausgleichsgesetzes stark beim Kanton. 

Bottmingen braucht Steuereinnahmen

Eine Steuersenkung, wie sie Stefan Degen für nötig hält, müsste gemäss Krapp-Boeglin auf kantonaler Ebene vorgenommen werden. Eine Senkung der Gemeindesteuer kann sich Bottmingen nicht leisten. «Wie an der letzten Gemeindeversammlung im Dezember aufgezeigt, wird die Gemeinde die Steuern erhöhen müssen, wie das auch bei übrigen Gemeinden im Kanton Basel-Landschaft der Fall ist.» 

Zuvor habe Bottmingen den Steuersatz tief halten können, da keine grösseren Investitionen fällig waren. Das sei nun anders. Ein Beispiel ist die kostenintensive Schulraumplanung des Areals Talholz. «Das Bevölkerungswachstum führt zu Investitionsbedarf über das gesamte Aufgabenspektrum der Gemeinde hinweg», erklärt Krapp-Boeglin. Treibt die bevorstehende Steuererhöhung in Bottmingen die Einwohner*innen, die vor kurzem noch – unter anderem aufgrund der Steuerbelastung – in die Agglomeration zogen, zurück in die Stadt?

Tanja Soland
«Wir machen kein Wettrennen, wer am günstigsten ist. Wichtig ist, dass der finanzielle Spielraum vorhanden ist für Steuersenkungen. Diese müssen nachhaltig tragbar sein.»

– Tanja Soland, Finanzdirektorin Basel-Stadt

Die Baselbieter Finanz- und Kirchendirektion (FKD) unterstreicht, dass neben der Einkommens- auch die Vermögenssteuer zu berücksichtigen ist. Bei dieser stehe der Kanton Basel-Landschaft nach der Vermögenssteuerreform I vom November 2022 deutlich besser da als der Stadtkanton. Nun soll es an die nächste Reform gehen. «Nach der Senkung der Vermögenssteuern soll ein nächster Schritt mit einer Reform der Einkommenssteuer folgen, was zu tieferen Einkommenssteuern führt.»

Zudem relativiert die Finanz- und Kirchendirektion: «Für die Wahl des Wohnortes sind indes nicht einzig die Steuern massgebend.» Diese seien meist nur ein Faktor unter vielen. Die FKD ist überzeugt: «Der Kanton Basel-Landschaft punktet mit zahlreichen attraktiven Möglichkeiten und einem vielfältigen Standortangebot für Private und Unternehmen und bietet einen sehr guten Lebensstandard.» Das sieht auch Bottmingens Gemeindepräsidentin Krapp-Boeglin so. «Bottmingen ist als Vorortgemeinde von Basel nach wie vor attraktiv. Einerseits durch das Vorhandensein einer breiten Infrastruktur, durch die gute ÖV-Anbindung und durch die Möglichkeit, schnell im Grünen zu sein.»

Was macht den Wohnort attraktiv?

Kann Basel-Stadt mit diesen Anreizen mithalten? Oder ist der Stadtkanton auf tiefe Steuern angewiesen, um Einwohner*innen anzulocken? Tanja Soland, Finanzdirektorin und SP-Regierungsrätin meint: «Das strategische Ziel der Regierung ist es, ein attraktiver Wohn- und Arbeitsort zu sein. Da spielt auch die Steuerbelastung eine Rolle. Aber es gibt auch ganz viele andere Faktoren, welche die Attraktivität und Lebensqualität in Basel-Stadt ausmachen. Dazu gehören insbesondere auch die Zentrumsleistungen wie die medizinische Versorgung, das Kulturangebot, der öffentliche Verkehr etc.» 

Mit Blick auf den Nachbarkanton betont Soland: «Wir machen kein Wettrennen, wer am günstigsten ist. Wichtig ist, dass der finanzielle Spielraum vorhanden ist für Steuersenkungen. Diese müssen nachhaltig tragbar sein.» Der Kanton Basel-Stadt habe seit Jahren eine sehr positive finanzielle Entwicklung. Einerseits durch die nachhaltige Finanzpolitik, andererseits auch dank der Unternehmen, welche im Kanton angesiedelt sind. «Dadurch entstand ein struktureller Überschuss, welcher es dem Kanton erlaubte, die Steuern weiter zu senken.»

Luca Urgese
«Während die Menschen mit höheren Kosten zu kämpfen haben, nimmt der Kanton ihnen durch zu hohe Steuern zu viel Geld weg.»

– Luca Urgese, FDP-Grossrat und Regierungskandidat

Dies schreibt sich der bürgerliche Regierungskandidat Luca Urgese als grossen Erfolg auf die Wahlkampf-Fahne. «Die bürgerlichen Parteien haben angesichts der hohen Überschüsse über Jahre Steuersenkungen gefordert, insbesondere auch eine Senkung der Steuersätze. Dies zahlt sich nun aus.» Er wolle sich auch zukünftig für Steuersenkungen stark machen. «Während die Menschen mit höheren Kosten zu kämpfen haben, nimmt der Kanton ihnen durch zu hohe Steuern zu viel Geld weg.»

Ob sich der Stadtkanton das leisten kann? «Auf jeden Fall», ist Urgese überzeugt. «Der Kanton Basel-Stadt schreibt nach wie vor hohe Überschüsse in dreistelliger Millionenhöhe und kann sich dies ohne Weiteres leisten.» Weitere Steuersenkungen seien ohne Leistungsabbau möglich. Vorsichtiger formuliert es die Finanzdirektorin. «Das hängt von der weiteren finanziellen Entwicklung ab», meint Tanja Soland. «Mit dem Steuerpaket 2023 wurde der strukturelle Überschuss abgebaut. Nun müssen wir schauen, wie sich die Situation längerfristig entwickelt.» 

Während Basel-Stadt schon mit der nächsten Steuersenkung liebäugelt, hadern Baselbieter Gemeinden wie Bottmingen mit ihren jahrelang tief gehaltenen Steuersätzen. Wo das hinführt? «Beim aktuellen Kurs wird der Gap zwischen Stadt und Land grösser», sorgt sich Stefan Degen. Ob die Abwanderung aus dem Speckgürtel in die Stadt dann doch zur Realität wird, ist fraglich. Zu viele andere Faktoren spielen bei der Wahl des Wohnorts eine Rolle.

  • Steuervergleich Schweiz

    Familie Bünzli findet ihr Steuerparadies.

  • Steuervergleich Schweiz

    Und Frau Incognito genauso.

Hinzu kommt: Auch wenn Basel-Stadt mittlerweile für viele Einkommensschichten steuerlich günstiger ist als die steuergünstigsten Baselbieter Gemeinden wie Bottmingen, kann noch lange nicht von einem Steuerparadies die Rede sein. Deutlich wird dies beim Vergleich mit der gesamten Schweiz. Dort liegen sowohl Basel-Stadt als auch Bottmingen im Mittelfeld.

In Zug, dem Steuerparadies schlechthin, würde Familie Bünzli 2023 gerade mal 2,01 Prozent Einkommenssteuern zahlen, Frau Incognito 4,47 Prozent. Absurd niedrige Zahlen im Vergleich zu den 9,63 Prozent, respektive 12,88 Prozent, welche die Bünzlis und Frau Incognito in Basel-Stadt zahlen. Aber auch die grössten Schweizer Städte Zürich und Genf locken mit tieferen Einkommenssteuersätzen als Basel-Stadt. Die Auswahl an steuergünstigeren Wohnorten für die Bünzlis und ihre Freund*innen ist also gross. Vielleicht bleiben sie aber dennoch hier, geniessen die Zentrumsleistungen der Kulturhauptstadt und stossen auf die gute Nachbarschaft an. 

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