«Wer Frieden will, muss auch die Hamas kritisieren»
Basel erwartet eine grosse pro-palästinensische Demonstration am Wochenende. Der Aufruf wird kritisiert, der grösste jüdische Verband rät von einer Teilnahme ab. Wie schätzen Juden und Jüdinnen die Demo im Vorfeld ein?
Solidarität mit der palästinensischen Bevölkerung. Dieser Claim steht im Mittelpunkt der nationalen Pro-Palästina-Demonstration, die am Samstag in Basel stattfindet. In den Sozialen Medien wird seit Anfang des Jahres ein Aufruf dazu geteilt. Die Demo ist gemäss Angaben der Kantonspolizei bewilligt.
Der Aufruf besteht aus einer umfassenden Auflistung des Vorgehens der israelischen Armee im Gaza-Krieg seit dem 7. Oktober 2023. Die zentrale Forderung des Aufrufs ist ein Waffenstillstand und ein Ende der Blockade von Gaza sowie gleiche Rechte für alle auf dem Gebiet «des historischen Palästina». Weiter fordern die Veranstalter*innen wirtschaftliche Sanktionen für Israel, die Freilassung aller palästinensischen Gefangenen* und den Boykott von Firmen, welche in die israelische Sicherheits- und Siedlungspolitik involviert sind.
Rund 5000 Menschen erwarten die Veranstalter*innen des Dachverbands Schweiz-Palästina. Den Aufruf unterstützen rund 80 kleinere und grössere Organisationen aus dem ganzen Land – die Juso Zürich hat sich ebenso angeschlossen wie die umstrittene Organisation BDS Schweiz, die einen Boykott Israels fordert.
Schon im Vorfeld der Demonstration wird medial über deren Inhalt und die im Aufruf formulierten Forderungen diskutiert. Dass zum Beispiel verlangt wird, alle palästinensischen Gefangenen ungeachtet ihrer Anklage und des Urteils freizulassen, hält etwa der Präsident der Gesellschaft Schweiz-Palästina, Geri Müller, für unglaubwürdig.
Der Schweizerische Israelitische Gemeindebund (SIG), der 13'000 von rund 18'000 der in der Schweiz lebenden Jüdinnen und Juden vertritt, rät jüdischen Menschen sogar, der Demo fernzubleiben. Deren Generalsekretär Jonathan Kreuter sagt: «Die letzten Demonstrationen dieser Art haben gezeigt, dass daran Gruppierungen oder Einzelpersonen teilnehmen, die Gewaltaufrufe oder antisemitische Slogans verbreiten.» Konkrete Gewalt erwartet er zwar nicht, aber der Demo-Aufruf lasse leider vermuten, dass es zu ähnlichen Vorfällen komme.
Diese Einschätzung teilt auch Danielle Kaufmann. Sie stammt aus einer deutsch-jüdischen Familie. Die ehemalige SP-Grossrätin jedoch wird dieser Demo fern bleiben: «Gerne würde ich für Frieden und auch gegen die Regierung Netanyahu demonstrieren. Aber dass man wirklich Frieden will, kann ich dem Aufruf zur Demo nicht entnehmen.»
Sie verweist auf die Einseitigkeit des Aufrufs, in dem der Terrorangriff vom 7. Oktober und der weitere Raketenbeschuss der Hamas aus Gaza auf Israel nicht erwähnt wird. Auch von der Freilassung der israelischen Geiseln sei keine Rede. «Wenn man es ernst meint mit den Sorgen um die Zivilbevölkerung, ruft man anders auf und nimmt auch ausdrücklich Abstand von der Hamas.»
In Anbetracht von Begriffen wie «Völkermord» und «ethnische Säuberung» im Aufruf sei ihr «fast die Spucke weggeblieben». «Alles, was über Israel gesagt wird, ist eine Pauschalisierung. Die Proteste der zivilgesellschaftlichen Friedensbewegung in Israel werden komplett ausgeblendet.» In Anbetracht dessen fühle sie sich als exponiert jüdische Basler Persönlichkeit nicht sicher, «um auch nur in die Nähe dieser Demonstration zu gehen».
Auch der derzeit einzige jüdische Grossrat Basels, Philipp Karger (LDP), sagt, er werde die Innenstadt meiden. «Es ist aus demokratischer Sicht korrekt, dass die Demo genehmigt wurde. Ich gehe davon aus, dass es viel Symbolik geben wird und eventuell auch antisemitische Aussagen getätigt werden. Das muss man gut beobachten. Aber ich hoffe, dass die Demonstration friedlich verläuft und die Situation nicht eskaliert.»
Karger ist überzeugt, dass die Kantonspolizei entsprechend vorbereitet ist und auch der SIG hofft, dass «grenzüberschreitende Aktionen» unterbunden werden. Die Polizei sagt auf Anfrage, dass im Fall einer Verletzung der Rassismusstrafnorm alles daran gesetzt werde, entsprechende Vorfälle zur Strafanzeige zu bringen.
Genauso wie die Behörden, die die Kundgebung «mit guten Gründen» bewilligt hätten, stünden auch die Organisator*innen in der Verantwortung, findet Yves Kugelmann, Chefredaktor der jüdischen Zeitschrift tachles: «Die Organisator*innen haben schliesslich in der Ankündigung zur Demo klipp und klar geschrieben, dass Rassismus, Antisemitismus oder problematisch Embleme nicht toleriert werden.»
Kugelmann hat keine Bedenken im Vorfeld der Demonstration. «Das würde ja bedeuten, dass Organisator*innen und Teilnehmer*innen ein verantwortungsvoller Umgang mit den Themen und dem öffentlichen Raum nicht zugetraut würde.» Als Journalist sei er oft an Kundgebungen für Palästina gewesen. Bis auf Ausnahmen hätte es in der Schweiz seiner Ansicht nach wenige Grenzüberschreitungen gegeben. «Seit dem 7. Oktober hat sich der Kontext zugespitzt, die Emotionen gehen hoch. Daher sind sich sicherlich alle auch der grösseren Verantwortung und der Tatsache bewusst, dass die Öffentlichkeit sehr genau hinschaut, was geschieht.»
Dennoch: Er sieht Demonstrationen als Plattformen für die freie Meinungsäusserung, «nicht als Fussballspiele, wo im schlechtesten Fall Fangruppen aufeinander losgehen». Kugelmann findet daher, dass dieses Gut von allen Seiten ebenso zu respektieren sei wie die Emotion aufgrund der vielen Opfer auf beiden Seiten.
Laut den Organisator*innen soll es an der Demonstration auch Redebeiträge einer jüdischen Gruppe aus Zürich geben. Die Redner*innen waren für Bajour im Vorfeld nicht erreichbar.
Mitarbeit: Valerie Wendenburg
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*In einer früheren Fassung schrieben wir, dass die Organisator*innen die Freilassung von «palästinensischen Geiseln» fordern. Das ist falsch. Sie fordern die Freilassung der palästinensischen Gefangenen. Wir entschuldigen uns für den Fehler.
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