NoFrontex in Basel: Abstimmungskampf auf Sparflamme
Vom Kampf gegen mehr Schweizer Geld für die EU-Grenzschutzbehörde war in Basel wenig zu sehen. Trotzdem traten interessante Einsichten zutage: Migrationspolitik und Klimabewegung rücken näher zusammen.
Die Linken haben keine Chance, wenn es um die Frontex-Abstimmung geht. Zumindest, wenn man den Umfragen glauben darf. So sagen laut einer SRF-Abstimmungsumfrage zwei Wochen vor der Abstimmung 69 Prozent der Teilnehmenden Ja zur Aufstockung des Frontex-Budgets.
Das Aussergewöhnliche am Referendum: Es wurde von Menschen lanciert, die selber gar nicht wählen oder abstimmen können: Geflüchtete. Die WoZ hat sie hier interviewt.
Am kommenden Sonntag, den 15. Mai, stimmt die Schweiz über eine Aufstockung von Bundesgeldern von 24 auf 61 Millionen pro Jahr für die EU-Grenz- und Küstenwache Frontex ab. Als Schengen-Mitglied ist die Schweiz seit 2011 auch Teil der EU-Grenzschutzorganisation Frontex. Sie soll sich darum auch am geplanten Ausbau beteiligen.
Heute beschäftigt Frontex rund 1500 Beamte. Bis 2027 soll der Bestand auf 10'000 Personen erhöht werden. Wie die Republik nachzeichnet, liegt das Budget von Frontex heute bei knapp 550 Millionen. Bis 2027 soll es auf 5,6 Milliarden Euro erhöht werden.
Für den Ausbau sind GLP, Mitte, FDP, SVP. Dagegen sind das Migrant Solidarity Network, ein Netzwerk migrantischer und menschenrechtlicher Organisationen wie der Freiplatzaktion in Basel, sowie die SP, Grüne und ihre Jungparteien.
Das Parlament hatte den Ausbau bereits gutgeheissen, aber weil ein Komitee migrantischer Organisationen mit Unterstützung linker Parteien das Referendum ergriffen hatte («NoFrontex»), kommt die Vorlage vors Volk.
Diskrete Basler Kampagne
In Basel, so der Eindruck, kam die NoFrontex-Kampagne allerdings nie richtig in Fahrt. Die Veranstaltungen der Gegner, es gab Podiumsdiskussionen und Filmabende, fanden mehrheitlich in den Kulissen einschlägiger Szenelokale statt. Grosse, öffentlichkeitswirksame Aktionen blieben aus.
Was aber auffiel: Es engagierten sich auffällig viele Umweltaktivist*innen für das Referendum**. Das bestätigt auch Moritz Bachmann von der Freiplatzaktion, einem Verein für Beratung von Migrant*innen, er hat die Basler Kampagne koordiniert. «Der Abstimmungskampf hat dazu beigetragen, neue Allianzen zu festigen.» Gerade nach Corona hätte es diese Bestandsaufnahme gebraucht. «Es ging darum zu schauen: Wer ist überhaupt noch da?»
Das sei auch im Hinblick auf die Abstimmung über die Klimagerechtigkeitsinitiative 2030 von Interesse, über die im September abgestimmt wird.
Bachmann sagt, es hätten sich unerwartet viele Klima-Aktivist*innen an den Kampagnen-Treffen beteiligt. «Dabei spielt sicher die Kampagnen-Förmigkeit des NoFrontex-Referendums eine Rolle. Das ist etwas, worin die Klimabewegung sicher gerade am meisten Übung hat.» Thematisch sieht Bachmann einen Anschluss an die Konzernverantwortungsinitiative (Kovi), für die sich die Klimabewegung ebenfalls engagierte.
Bachmann erklärt: «In beiden Geschäften geht es um den Gedanken der Klimagerechtigkeit. Die Konzernverantwortungsinitiative wollte, dass Schweizer Unternehmen im globalen Süden mehr Verantwortung übernehmen.» Das ist nicht gelungen, die Initiative wurde 2021 abgelehnt. «Dann sollen wenigstens die EU-Aussengrenzen nicht hermetisch abgeriegelt werden, damit Menschen in Not Asyl beantragen können.»
Allerdings: Während sich bei der Kovi eine sehr breite linke Allianz hinter das Begehren stellte, hörte man bei der NoFrontex-Kampagne wenig von den grossen linken Parteien in Basel. Die SP hatte die Parole eher halbherzig beschlossen, bekannte Gesichter sprachen sich dagegen aus.
Auch den Befürworter*innen fällt die neue Allianz zwischen Klima- und Migrationsbewegung auf. So sagt Stefan Schlegel, Vorstandsmitglied der Operation Libero: «Viele, mit denen ich mich politisch zu dieser Vorlage duellierte, hatten einen Fuss in der Klimapolitik», sagt er. «Diese Verbindung zwischen Klima- und Migrationspolitik habe ich zum ersten Mal so stark wahrgenommen.»
Der Zusammenhang sei allerdings nachvollziehbar. In beiden Themen gehe es um Fragen globaler Gerechtigkeit, sagt Schlegel. «Aber es braucht eben auch globale Organisationen und Institutionen, um etwas zu verändern.»
Frontex – «Kaputt und nicht reformierbar»
Die Gegner*innen der Übernahme der EU-Verordnung über die Europäische Grenz- und Küstenwache, wie die Vorlage im Abstimmungsbüchlein etwas sperrig heiss, sagen, Frontex sei mitverantwortlich für Gewalt, Elend und Tod an den EU-Aussengrenzen. Die Schweiz dürfe sich nicht zur Komplizin machen. Rückenwind erhielt das Thema durch internationale Presseberichte, die illegale Pushbacks von Frontext auf dem Mittelmeer und an der Türlkisch-Griechischen Grenze dokumentierten. Frontex-Chef Fabrice Leggeri trat unter dem Druck der dokumentierten Vorwürfe zurück.
Die Gegner*innen sagen deshalb, eine Schweizer Nichtbeteiligung am Ausbau von Frontex führe nicht zu einem automatischen Ausschluss aus dem Verbund der Schengen-Staaten, daran hätten auch diese kein Interesse. Es müssten Neuverhandlungen stattfinden.
Stefan Schlegel, Vorstandsmitglied der Operation Libero, findet, das sei eine zutiefst a-europäische Position mit hohem Wetteinsatz. Ob die Schengen-Staaten mit der Schweiz überhaupt nachverhandeln wollten, sei unsicher. «Wir von der Operation Libero finden, die Schweiz muss unbedingt Teil der Schengen-Verträge und damit auch Teil von Frontex bleiben.»
Am Basler Dreiländereck hat die Kamapagnenbewegung darum symbolisch den Schengen-Vertrag zwischen der Schweiz und den Partner*innen geschreddert.
Die Tamedia-Zeitungen haben dieses Argument einem Faktencheck unterzogen. Laut Artikel 7 des Abkommens wird die Zusammenarbeit bei einer Ablehnung der Weiterentwicklung von Schengen-Recht nach 90 Tagen tatsächlich beendet – es sei denn, die EU-Staaten und die EU-Kommission kommen der Schweiz entgegen und alle Parteien finden in besagter Frist eine einstimmige Lösung. Andernfalls fällt das Schengen- und damit auch das Dublin-Assoziierungsabkommen dahin. Es braucht keine Kündigung und keinen weiteren Beschluss der EU.
Auch die Operation Libero sagt, Frontex sei zwar «offensichtlich kaputt und nicht reformierbar», das hätten die jüngsten Berichte über erneute Pushbacks gezeigt. «Aber wir können nur an Verbesserungen mitarbeiten, wenn wir in den entscheidenden Gremien vertreten sind», sagt Schlegel.
Er bedaure, dass innerhalb der ausserparlamentarischen Linken ein Desinteresse an den Institutionen wachse. Auch in der Klimabewegung. Die Frage nach der Organisation von kollektivem Handeln werde einfach ausgeklammert. «NoFrontex klingt sexy. Aber ‹Nein› zu sagen, beantwortet noch nicht die Frage, wie es besser gemacht werden könnte.»
Der Basler Kampagnenleiter von NoFrontex, Moritz Bachmann, glaubt nicht, dass dem Referendum in Basel zugestimmt wird. Auch wenn der Stadtkanton traditionell linker stimmt, als der Durchschnitt der Schweiz. Bachmann ist aber überzeugt, dass die Allianz zwischen Klima- und Migrationspolitik in Zukunft noch näher zusammenrücken könnte.
Die Abstimmung über die Klimagerechtigkeitsinitiative2030 wird zeigen, was da dran ist.
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** Korrektur: In einer früheren Fassung stand, dass sich auffällig viele Umweltaktivist*innen gegen das Referendum engagierten. Das ist falsch. Sie engagieren sich vielmehr GEGEN die Vorlage und dafür FÜR das Referendum.