Heute leider keine Wohnung für dich
Genossenschaften sind das linke Allheilmittel gegen teure Mieten. Nur: Die, die’s besonders nötig haben, profitieren kaum davon – die Migrant*innen. Warum nicht?
Ilona*, eine junge Mutter aus Basel, sucht für sich und ihre Familie eine neue Wohnung. Auf das erste Kind soll ein zweites folgen, darum brauchen sie mehr Platz. Ihre Vorstellung: Eine 4 Zimmer-Wohnung für rund 2000 Franken. Ihr Wunsch: in eine Genossenschaft einziehen. «Genossenschaftswohnungen haben halt ein unschlagbares Preis/Leistungsverhältnis», erzählt Ilona, die Wohnungen seien, besonders bei Neubauten, modern und grosszügig, der Preis sei fair. «Für die Anteilscheine haben wir gespart, es ist zwar etwas mehr als für eine übliche Kaution, aber das nehmen wir in Kauf», erzählt sie.
Nur klappt das nicht. Ilona hat sich schon oft auf eine Genossenschaftswohnung beworben. Sie füllt die Formulare aus, Betreibungsregisterauszug, Lohnnachweis, Motivationsschreiben – alle Dokumente liegen bei. Dann geht das Dossier raus. Und dann heisst es: Nein. Wenn überhaupt.
«Ausländerinnen und Ausländer haben einfach schlechte Karten. Ohne Vitamin B sind wir aufgeschmissen.»Ilona Sopi* (Name geändert), junge Mutter aus Basel
«Mittlerweile rechnen wir damit. Und trotzdem machen wir uns halt Hoffnungen», sagt sie. Der Frust über die vielen Absagen ist ihr anzuhören, «aber wir haben offenbar keine Chance». In bestehenden Liegenschaften, bei neueren Projekten, sogar bei Siedlungen, die noch gar nicht gebaut worden sind, heisst es für Ilona: Heute leider keine Wohnung für dich. «Manchmal erhalten wir erst auf Anfrage eine Antwort», erzählt sie weiter, eine Begründung für die Absage habe sie noch nie gehört: «Wenn ich frage warum wir den Zuschlag nicht bekommen haben, heisst es, der Entscheid werde nicht begründet.»
Eine Vermutung hat Ilona dennoch. Es ist ihr Nachname: Sopi*. Daran erkenne man, dass Ilona ausländische Wurzeln hat: «Für mich liegt es auf der Hand, dass es daran liegt», ist sie überzeugt, «Ausländerinnen und Ausländer haben einfach schlechte Karten. Ohne Vitamin B sind wir aufgeschmissen.»
Die Statistik unterstützt ihr Argument. Dass der Anteil Ausländer*innen, die in Genossenschaften wohnen nicht sehr gross ist, ist kein Geheimnis. Die Zahlen, die die Regierung kürzlich präsentiert hat, sind aber unmissverständlich. In den preisgünstigen Genossenschaftswohnungen wohnen vor allem Schweizer*innen, der Anteil Personen mit Migrationshintergrund beträgt lediglich 20,8 Prozent. Die Genossenschaften, die das Wohnen erschwinglich für alle machen sollen, gewinnen also keinen Diversity-Preis.
Das tut weh. Besonders den Linken, die die Genossenschaften als den Schlüssel zum bezahlbaren Wohnen propagieren.
Das Wohnen ist in Basel-Stadt eine teure Angelegenheit. Der Basler Index der Konsumentenpreise von diesem August bestätigt, was schon lange nicht mehr ein Trend sondern Tatsache ist: Am meisten geben Basler*innen für Wohnen und Energie aus – 27,2 Prozent der monatlichen Ausgaben.
Im Vergleich mit dem Landesindex wird auch ersichtlich, dass in den letzten Jahrzehnten die Mieten in Basel-Stadt überdurchschnittlich stark angestiegen sind. Die Gründe dafür sind bekannt: Der Markt ist überhitzt, denn die Stadt lässt sich nicht beliebig vergrössern. Die Bevölkerung ist in den letzten 20 Jahren stetig gewachsen. Und Immobilien sind mittlerweile fast die einzige verlässliche Investition, die Rendite abwirft: Banken, Pensionskassen und Versicherungen sind unter Druck und kaufen den Wohnungsmarkt auf.
Wie sich der Basler Wohnungsmarkt entwickelt hat und welchen Anleger*innen die Stadt gehört, haben mir mit dem Crowdsourcing-Projekt «Wem gehört Basel?» und dank über 1000 Bajour-Leser*innen herausgefunden. Die Recherche und die wichtigsten Erkenntnisse liest du hier.
Wohnen für alle? Nein.
Die Genossenschaften sind ein Gegenmodell zu den renditegetriebenen Immobilienbesitzer*innen: Sie bieten preisgünstigen Wohnraum zur Kostenmiete an, die sich aus den Investitions- und Unterhaltskosten zusammensetzt. Weil Genossenschaften auf dem freien Mark kaum Chancen haben, schreitet die Politik ein: Der Kanton muss preisgünstiges Wohnen explizit fördern, wie die Bevölkerung an der Urne bestätigt hat. 2018 sagten die Basler*innen drei Mal Ja zu einem starken Wohnschutz und nahmen die Initiative «Recht auf Wohnen» an, die das Recht auf eine bezahlbare Wohnung für alle Basler*innen im Gesetz verankert.
Um die Initiative umzusetzen, sollen unter anderem Genossenschaften gezielt gefördert werden, zum Beispiel in dem man ihnen Land im Baurecht zur Verfügung stellt. Und, weil die Finanzierung der Genossenschaftsanteile für viele Menschen eine finanzielle Hürde darstellt, will die Regierung einen Fonds schaffen, um mit 1,8 Millionen Franken den Erwerb von Anteilscheinen zu unterstützen. Den Linken reicht das nicht: Sie wollen Investor*innen und Stadtplaner*innen per Initiative zwingen, auf den Basler Entwicklungsarealen mindestens 50 Prozent gemeinnützigen Wohnraum zu bauen.
Aber eben: Damit ist das Ziel des bezahlbaren Wohnen trotzdem nicht für alle erreicht. Zu Genossenschaften haben längst nicht alle Basler*innen gleichen Zugang, wie die oben erwähnten Zahlen zeigen. Erfragt hat sie ausgerechnet ein Linker: Mahir Kabakci. Das Thema Wohnen steht weit oben auf der Agenda des jungen SP-Grossrats, schon vor seiner Wahl 2020 habe er viele Gespräche darüber in seinem Umfeld geführt und musste feststellen, dass kaum jemand in einer Genossenschaftswohnung lebe.
«Es kann nicht sein, dass in Basel-Stadt mit einem Ausländer*innen-Anteil von 35 Prozent der Zugang zu den Wohnbaugenossenschaften so exklusiv ist.»Mahir Kabakci, SP-Grossrat
Also wollte er es genau wissen: Die Antwort gibt ihm zu Denken: «Ich sag es mal so: Ich hatte eine gewisse Vermutung. Aber, dass der Anteil so tief ist, hat mich doch schockiert», sagt er etwas konsterniert. Chancengleichheit sei für den Zusammenhalt und das Wohlergehen der Gesellschaft sehr wichtig, umso mehr schmerzt die Realität: «Dass sie beim Recht auf Wohnen, das ja so zentral ist, nicht gewährleistet ist, finde ich sehr stossend.»
«Es kann nicht sein, dass in Basel-Stadt mit einem Ausländer*innen-Anteil von 35 Prozent der Zugang zu den Wohnbaugenossenschaften so exklusiv ist.» Besonders ärgerlich sei, dass gemeinnützige Wohnbauträgerschaften durch die Wohnraumförderungsverordnung eigentlich verpflichtet seien, diskriminierungsfrei zu vermieten, betont Kabakci. «Das Gesetz macht eigentlich bereits die nötigen Vorgaben.» Diskriminierungsfrei heisst konkret: Unabhängig von Alter, Geschlecht, Nationalität, ethnische oder religiöse Zugehörigkeit.
Was läuft also schief?
Protektionistisch und auf Lebenszeit
Das ehrenamtliche Engagement, das eine Genossenschaft mit sich bringt, kann tatsächlich zum Problem werden. In den 1980er-Jahren kam es bei vielen deshalb fast zum Stillstand. Deshalb traten viele Genossenschaften die Flucht nach vorn an und schlossen sich zusammen. So entstand etwa die Wohnbaugenossenschaft Nordwest (wgn): 45 kleinere Genossenschaften der Nordwestschweiz schlossen sich 1983 zu einem grossen Verband zusammen, der heute ein Anteilscheinkapital von rund 25 Millionen Franken bewirtschaftet das über 260 Firmen, Banken, Versicherungen, Pensionskassen und Privatpersonen gehört. Mit ihren 118 Liegenschaften ist die wgn auch als Anlage interessant, der Wert wird auf 228 Millionen Franken geschätzt, tendenz steigend. In solchen Wohnbaugenossenschaften ist der Anteil Ausländer*innen grösser.
«Den Genossenschaften Diskriminierung vorzuwerfen greift zu kurz.»Ivo Balmer, Präsident Genossenschaft Mietshäuser Syndikat und Cohabitat und SP-Grossrat
Anruf bei Ivo Balmer. Der Soziologe kennt die baselstädtischen Genossenschaften wie seine Westentasche. Er ist Präsident der Genossenschaft Mietshäuser Syndikat und Cohabitat und im Vorstand des Regionalverbands Wohnbaugenossenschaften Nordwestschweiz. Ausserdem rutschte Balmer vor ein paar Wochen für die SP in den Grossen Rat nach. Der tiefe Anteil Ausländer*innen bei Genossenschaften freut auch ihn ganz und gar nicht. Wir fragen: Herr Balmer, sind die Genossenschaften elitär?
Ivo Balmer muss ausholen: «Ich will nicht verneinen, dass das ein wunder Punkt ist», sagt er. Im Gegenteil, den Finger in die Wunde zu legen, sei notwendig, meint er. «Den Genossenschaften Diskriminierung vorzuwerfen greift jedoch zu kurz», dass es mit der Diversität hapere, sei auch strukturell bedingt.
Das habe mit ihrer Geschichte zu tun. «Genossenschaften sind eigentlich eine Art Gemeingut», erklärt Balmer. Gemeingüter sind im Gegensatz zum öffentlichen Gut gemeinschaftlich reguliert, wer zur Gemeinschaft gehört, kann darüber bestimmen, was mit ihr geschieht. Eine basisdemokratische Sache also. Und das kann auch bedeuten, dass man demokratisch beschliesst, nur bestimmten Menschen Zugang zu gewähren.
Was sehr theoretisch klingt, wurde von den Genossenschaften von Anbeginn an umgesetzt. Während der Industrialisierung gründeten nach dem Prinzip der «gemeinsamen Hilfe zur Selbsthilfe» bestimmte Berufsgruppen die ersten grossen Verbände: Etwa die Eisenbahner-Baugenossenschaft (EBG), die 1911 eine der ersten Baugenossenschaften Basels wurde.
Mit der Zeit hätten sich die Zweckbestimmungen vieler Genossenschaften geändert, die Grundhaltung, dass ähnliche Menschen eher zusammenwohnen wollen, sei aber gerade bei kleineren Genossenschaften oft geblieben, führt Balmer weiter aus. Dies auch, weil das Wohnen bei einer Genossenschaft ein Langzeitprojekt sei. «Das revolutionäre an Wohnbaugenossenschaften ist, dass man als Mieter*in gleichzeitig Mit-Eigentümer*in ist», erklärt Balmer, «sie sind ein Generationenprojekt.» So könne es passieren, dass man unter sich bleiben wolle, quasi als Besitzstandswahrung: «Das ist zwar keine explizite Diskriminierung, aber erschwert den Zugang für Menschen ohne Netzwerk.»
Die Grösse und die Struktur spielen ebenfalls eine Rolle. Die Wohnbaugenossenschaften sind in Basel vergleichsweise klein. 60 Prozent haben 50 und weniger Wohnungen. Die Fluktuation ist daher geringer. Die Kleinteiligkeit der Basler Genossenschaftswelt zeige sich auch daran, dass es ehrenamtliche Vorstände seien, die sich um die Vergaben kümmern würden, oft ohne formale Verfahren, erklärt Ivo Balmer. «Auch das begünstigt selektive Ausschlüsse.»
«Der geringere Anteil an Ausländerinnen und Ausländer dürfte auch damit zusammenhängen, dass sich dieser Bevölkerungsteil im Verhältnis zu Schweizer Bürgerinnen und Bürger weniger bei einer Genossenschaft anmelden.»Andreas Zappalà, Geschäftsführer Hauseigentümerverband und FDP-Grossrat
Sein Lösungsansatz? Transparenz und Reglemente für die Vermietung. «Wir müssen dafür sorgen, dass der Wohnungsvergabe-Mechanismus transparent wird», sagt Balmer. Die Kriterien, nach welchen die Vorstände der Genossenschaften neue Mitglieder auswählen, sollen einsehbar, nachvollziehbar und vor allem steuerbar sein, ansonsten bleibe das mit der sozialen Durchmischung ein frommer Wunsch. Dass dies gelingen kann, zeigen viele Neubauprojekte, sagt Balmer, in einigen sei der Anteil an Ausländer*innen deutlich über 30 Prozent. Oder Hauskäufe durch Genossenschaften, wo die bisherigen Mieter*innen direkt zu Mitgliedern werden.
Damit schlägt Balmer in die gleiche Kerbe wie Parteigenosse Mahir Kabakci, der angesichts der Zahlen einen Anzug eingereicht hat, der eine öffentliche Policy fordert, um die diskriminierungsfreie Vergabe von Genossenschaftswohnungen auf öffentlichem Land überprüfbar umzusetzen. Konkret heisst das: Der Kanton soll regulieren. Ein typisch linkes Rezept.
Wollen die Ausländer*innen überhaupt?
Regulieren und Professionalisieren. Und dann ziehen mehr Personen mit Migrationshintergrund in Genossenschaftswohnungen ein? Könnte der tiefe Anteil auch an etwas anderes liegen?
Dieser Meinung ist Andreas Zappalà. Der Geschäftsführer des Hauseigentümerverband (HEV) und FDP-Grossrat sieht es so: «Der geringere Anteil an Ausländerinnen und Ausländer dürfte in erster Linie auch damit zusammenhängen, dass sich dieser Bevölkerungsteil im Verhältnis zu Schweizer Bürgerinnen und Bürger weniger bei einer Genossenschaft anmelden», das hänge damit zusammen, dass das Genossenschaftswesen bei ihnen zu wenig bekannt sei und, «man vielleicht auch nicht Mitglied einer Gemeinschaft werden möchte». Man will lieber nicht dazu gehören.
Nicht jede*r hat Lust auf Genossenschaftssitzungen, bei denen man sich überlegt, ob man jetzt draussen im Hof lieber einen Grill oder Fussballtore hinstellt
Diskriminierung könne vorkommen, meint Zappalà, aber nicht im Grossen Stil: «Selbstverständlich kann es sein, dass in einigen Genossenschaften Ausländerinnen und Ausländer nicht oder nur mit Zurückhaltung aufgenommen werden. Ich denke aber nicht, dass dies der Standard ist oder gar gemäss Statuten gewollt ist.»
Ein politischer Eingriff sei nur dann nötig, wenn klar erwiesen sei, dass Personen mit Migrationshintergrund systematisch nicht berücksichtigt werden, sagt Andreas Zappalà, «davon gehe ich aber nicht aus», die Politik solle sich generell zurückhalten und ja keine starren Vorgaben machen: «Insbesondere bin ich gegen Quotenregelungen.»
Konkret heisst das: Der Markt soll spielen und der Staat nur punktuell eingreifen. Die klassische liberale Schiene also.
Sind die Genossenschaften nichts für Ausländer*innen? Wir fragen Mahir Kabakci. Er gibt unumwunden zu, dass das Konzept von Genossenschaften vielen Ausländer*innen zu wenig geläufig ist, sie hätten ein Informationsdefizit: «Manchen ist das Prinzip fremd.» Darum müssten der Kanton und die Genossenschaften selbst Aufklärung betreiben: «Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendjemand zu einer schönen und günstigen Wohnung Nein sagt», meint er. Man müsse den Menschen die Vorzüge von Genossenschaften schmackhaft machen und die Hemmschwelle senken: «Zusätzlich zu den Diskriminierungen, scheitert es auch an den Finanzen. Man muss sich zusätzlich auch die Anteilscheine leisten können», da könne der Kanton durchaus aktiv eingreifen, was er auch tun wolle, mit dem Fonds zur Umsetzung der Initiative «Recht auf Wohnen».
Ivo Balmer geht sogar einen Schritt weiter: Er findet, man soll die Migrant*innen befähigen, selbst aktiv zu werden und die ganz eigene Vorstellung einer Genossenschaft zu realisieren: «Generationenwohnungen für die erweiterte Familie oder das Umfeld zum Beispiel», das wäre für die Vielfalt der Genossenschaften ein Gewinn.
Derweilen sucht Ilona Sopi* weiter nach einer Wohnung. Und mittlerweile kennt sie die Funktionsweise der Genossenschaften ziemlich gut – so viele Leitbilder wie sie schon gelesen hat.
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* Name geändert
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