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Diskriminierung von Homosexuellen: «Wir diskutieren, als wäre es ein Betty-Bossi-Rezept»

Längst überfälliger Schutz vor Hass oder nichtsnutzige Meinungszensur? Im Bajour-Streitgespräch diskutierten Befürworterin Deborah Kleeb und Gegner Pascal Messerli über die Erweiterung der Antirassismus-Strafnorm.

Franziska Zambach

01/28/20, 10:46 AM

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Am 9. Februar stimmt die Schweiz über die Erweiterung der Rassismus-Strafnorm ab. Das Parlament hat beschlossen, auch die Diskriminierung von Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung in den Gesetzestext zu übernehmen. Dagegen wurde das Referendum ergriffen. Im Kanton Basel-Stadt haben die EVP und die SVP die Nein-Parole beschlossen. Bajour hat eine Befürworterin und einen Gegner des Gesetzes eingeladen.

Pascal Messerli, SVP-Grossrat, diskutiert mit Deborah Kleeb, Aktivistin bei der Milchjugend, über die Erweiterung der Antirassismus-Strafnorm.

Pascal Messerli, SVP-Grossrat, diskutiert mit Deborah Kleeb, Aktivistin bei der Milchjugend, über die Erweiterung der Antirassismus-Strafnorm. (Foto: Samuel Hufschmid)

Wie fühlt es sich an, gemeinsam an diesem Tisch zu sitzen und über die Erweiterung der Rassismus-Strafnorm zu diskutieren?

Pascal Messerli: Ich finde politische Diskussionen mit allen spannend. Gerade über dieses Thema habe ich bereits mit vielen Personen aus unterschiedlichen politischen Lagern Gespräche geführt, was ich sehr positiv finde.

Deborah Kleeb: Logisch löst dieses Streitgespräch bei mir etwas aus – so wie die ganze Abstimmung etwas auslöst, da mich das Thema persönlich betrifft. Ich frage mich, ob ein Streitgespräch die richtige Form für eine Berichterstattung ist. Wir diskutieren über das Thema, als wäre es ein Betty-Bossi-Rezept. Doch es betrifft tagtäglich Menschen, es ist deren Lebensrealität. Man muss sich bewusst sein, wen man dieser Diskussion aussetzt und von wem man verlangt, Sachverhalte zu erklären.

Will man einen echten Schutz, muss man das Gesetz totalrevidieren.

Pascal Messerli, Fraktionspräsident SVP Basel-Stadt

Müssen homosexuelle und bisexuelle Personen vor Diskriminierung geschützt werden?

Deborah Kleeb: Ja, es gibt Diskriminierung und deshalb ist ein Schutz angebracht.

Pascal Messerli: Da bin ich gleicher Meinung. Aber wie sieht dieser Schutz aus? Wie geht man rechtlich damit um? Grundsätzlich sollte jeder vor Diskriminierung geschützt werden, nicht nur aufgrund der sexuellen Orientierung, sondern alle, die in gewissen Bereichen benachteiligt werden. Das steht für mich nicht infrage. Ich bin einfach gegen diese Gesetzesänderung. Das aktuelle Gesetz besteht seit 1994. Damals gab es einen Völkerrechtsvertrag. Man wollte weltweit Rassismus beseitigen. Das machte auch Sinn: Es gab das Apartheidsregime, den Jugoslawienkrieg, Völkermord in Ruanda. Nur ist dieses Gesetz ein Musterbeispiel für schlechte gesetzliche Formulierung. Es sorgt in der Rechtsprechung für extreme Probleme. Teilweise wurden Personen freigesprochen, die Völkermord leugneten oder den Hitlergruss auf dem Rütli machten. Auf der anderen Seite wird man bestraft, wenn man im politischen Alltag etwas auf einem Plakat abdruckt. Diese Ungleichheit, die die Formulierung auslöst, geht für mich nicht auf. Will man einen echten Schutz, muss man das Gesetz totalrevidieren.

Deborah Kleeb: Dieses Argument macht für mich keinen Sinn. Weshalb soll man die Erweiterung ablehnen, nur weil gewisse Taten nicht verurteilt worden sind? Ich bin keine Juristin, deshalb fehlt mir der Fachjargon, um so zu argumentieren. Ich glaube aber, das Wichtige an dieser Initiative ist, was ein Ja der Bevölkerung aussagt. Es zeigt Lesben, Schwulen und Bisexuellen – Trans- und Intermenschen sind ja leider nicht inbegriffen –, dass anerkannt wird, dass sie diskriminiert werden und Schutz davor verdient haben. Wie das Gesetz schlussendlich angewendet wird, kann ich nicht beurteilen. Klar ist: Durch eine Gesetzesanpassung verschwindet Homophobie nicht. Aber man weiss, dass es dadurch den Queers besser geht. Das sieht man in Ländern, die die «Ehe für alle» angenommen haben. Dort ist die Suizidrate von queeren Jugendlichen gesunken. Obwohl diese gar nicht unbedingt heiraten. Aber sie spüren die Akzeptanz. Und das geht der ganzen Community so.

Deborah Kleeb: «Wenn im öffentlichen Raum keine hasserfüllten Aussagen geduldet werden, fühlen sich homophobe Menschen weniger ermutigt, homophobe Taten zu begehen.»

Deborah Kleeb: «Wenn im öffentlichen Raum keine hasserfüllten Aussagen geduldet werden, fühlen sich homophobe Menschen weniger ermutigt, homophobe Taten zu begehen.» (Foto: Samuel Hufschmid)

Pascal Messerli, Sie kritisieren die Formulierung des Gesetzes und haben deshalb Bedenken vor der Erweiterung. Gab es Bemühungen, dass das Gesetz totalrevidiert wird?

Pascal Messerli: Hätte man das Gesetz im Parlament anders aufgegleist, wären Strafrechtsexperten mit am Tisch gesessen. Diese hätten sagen können, dass man das Gesetz grundlegend ändern sollte. So hat man sich aber auf die Ausweitung auf die sexuelle Orientierung beschränkt. Ich habe grosses Verständnis dafür, dass man ein Zeichen setzen möchte. Aber rechtlich schadet ein Signal, das in der Praxis nicht standhält. 

Deborah Kleeb: Das Zeichen ist nicht die Bestrafung, sondern die Akzeptanz. Es braucht nicht viel Feingefühl, den Unterschied zu erkennen zwischen Aussagen wie «Schwule sollte man mit Schlägen heilen» und einer kritischen Auseinandersetzung mit der «Ehe für alle». Niemand spricht sich gegen Meinungsfreiheit aus. Aber Hass und Hetze ist keine Meinung. Das führt niemals zu einem konstruktiven Diskurs. 

Pascal Messerli: Einverstanden. Hass ist keine Meinung. Aber so wie das Gesetz momentan formuliert ist, verhindert es eine eindeutige Rechtssprechung. Um ein Beispiel zu nennen: Ein Türke wurde vom Bundesgericht verurteilt, weil er den Armenien-Völkermord leugnete. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat ihn freigesprochen, weil die Meinungsfreiheit tangiert war. Da zeigt sich das Problem. 

Deborah Kleeb: Klar schafft man keine gesellschaftliche Veränderung mit einem Gesetzesartikel. Doch auf Worte folgen Taten. Wenn im öffentlichen Raum keine hasserfüllten Aussagen geduldet werden, fühlen sich homophobe Menschen weniger ermutigt, homophobe Taten zu begehen. Es gibt den Spruch: «Demokratie ist nur so stark, wie der Umgang der Mehrheit mit der Minderheit.»

Pascal Messerli: In der Praxis bringt ein Ja zur Gesetzesänderung Probleme. Die Befürworter haben eine grosse Erwartungshaltung. Gibt es in ein paar Jahren bei den ersten Gerichtsentscheiden Freisprüche, werden sich viele fragen, weshalb ihr Ja nichts bewirkt hat. Meiner Meinung nach ist es der falsche Weg, wenn man einzelne Aspekte, wie Ethnie, Religion und sexuelle Orientierung ins Gesetz schreibt. Es wäre besser, würde man festlegen, dass niemand aufgrund seiner Merkmale diskriminiert werden darf. Dadurch hätten wir nicht einzelne Personengruppen sondern sämtliche Formen von Diskriminierung abgedeckt. Das wäre die Ideallösung. Aber wenn das jetzt angenommen wird, dann lässt man in Bundesbern relativ lange die Finger davon. In der Politik ist es immer heikel, nach einem Volksentscheid zusätzliche Änderungen durchzubringen.

Ist diese Gefahr, dass die Politik die Finger davon lässt, nicht auch bei einem Nein vorhanden?

Pascal Messerli: Es gibt viele unterschiedliche Argumente für ein Nein. Einige sagen, es sollen nicht nur einzelne Gruppen in dieses Gesetz geschrieben werden, andere sagen, strafrechtlich ist es schlecht. Ich hoffe, dass man zum Schluss kommt, dass das Gesetz grundsätzlich geändert werden muss. Das wäre aus meiner Sicht der sinnvollere Weg.

Pascal Messerli: «Muss man jeden Seich strafrechtlich ahnden?»

Pascal Messerli: «Muss man jeden Seich strafrechtlich ahnden?» (Foto: Samuel Hufschmid)

Haben Sie das Gefühl, Sie sind nach einer Gesetzeserweiterung in Ihrer Meinungsfreiheit eingeschränkt?

Pascal Messerli: Es geht hier nicht um mich, denn ich mache keine solchen Aussagen. Das Thema ist nicht so toll zu diskutieren, weil wir über Idioten diskutieren, die Quatsch erzählen. Die Frage ist aber, wie wir als Gesellschaft damit umgehen. Muss man jeden Seich strafrechtlich ahnden? Oder reicht es, wenn man sich zum Beispiel am Stammtisch direkt wehrt und dieser Person sagt, dass solche Aussagen daneben sind? Das ist die entscheidende Frage.

Deborah Kleeb: Ich würde mich freuen, wenn sich die Mehrheit der Schweiz gegen Homophobie ausspricht. Die Idioten, die die ganz schlimmen Dinge machen, sind das eine. Das andere ist die alltägliche Homophobie. Nur schon die Tatsache, dass wir jetzt über das Thema diskutieren, schafft ein grösseres Bewusstsein für die Problematik. Für mich und die Community geht es um die Symbolkraft dieser Abstimmung. 

Für mich und die Queercommunity geht es um die Symbolkraft dieser Abstimmung. 

Deborah Kleeb, Aktivistin bei der Milchjugend

Es gibt auch Mitglieder der Queercommunity, die sich gegen eine Gesetzesänderung aussprechen. Sie sagen, sie bräuchten keine Sonderbehandlung. Verstehen Sie deren Argumente?

Deborah Kleeb: Ich verstehe diese Argumente schon. Es gibt queere Menschen, die sich nicht bewusst sind, das sie diskriminiert werden oder vielleicht diese Diskriminierung gar nicht spüren. Was mich sehr freut für sie. Doch das bedeutet nicht, dass es keinen Schutz braucht. Es braucht einen gewissen Grad an Auseinandersetzung. Nicht alle Queers werden jedes Wochenende im Ausgang angespuckt. Wenn einem das nie passiert, fällt es schwer, zu glauben, dass das häufig vorkommt.

Wird durch die Anpassung des Gesetzes Rassismus, Antisemitismus und Homophobie auf eine Ebene gestellt?

Deborah Kleeb: Man muss immer vorsichtig sein, Diskriminierungen zu vergleichen oder zu gewichten. Es gibt die Theorie der Intersektionalität von Kimberlé Crenshaw. Da gilt nicht eins plus eins gleich zwei. Man muss sich bewusst sein, wie sich verschiedene Diskriminierungsformen gegenseitig beeinflussen. Grundsätzlich geht es darum, dass von Rassismus betroffene Menschen eine Minderheit sind und queere Menschen eine Minderheit sind. Deshalb wird das zusammengefasst. Aber ich würde nicht behaupten, beides werde dadurch auf die gleiche Stufe gestellt. Das wäre gefährlich.

Pascal Messerli: Aus strafrechtlicher Sicht finde ich es okay, wenn man jede Form der Diskriminierung einheitlich beurteilt. Dieser Gesetzesartikel ist sehr lang. Das Greifbarste darin ist die Leistungsverweigerung. Bei einem Ja zur Änderung hat man folgendes Problem: Wenn ein Hotelbesitzer sagt, er vermiete keine Zimmer an Dunkelhäutige, dann wird er bestraft. Wenn er sagt, er vermiete keine Zimmer an homosexuelle Paare, dann wird er bestraft. Wenn er jedoch einem Rollstuhlfahrer sagt, er vermiete keine Zimmer an Behinderte, dann wird er nicht bestraft. Ich finde das falsch. 

Deborah Kleeb: Eine Gesetzesänderung zu erwirken, geht lange. Für mich ist es kein Argument, Nein zu stimmen, weil gewisse Personengruppen im Gesetz fehlen. Ich bin die erste, die unterschreibt, wenn es darum geht, noch mehr schützenswerte Personengruppen im Gesetzestext aufzunehmen. Niemand aus der Queercommunity sagt, wenn das jetzt durchkommt, ist alles gut. Aber das ist momentan, was wir bekommen und das nehmen wir gerne. 

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Für Interessierte findet heute (Dienstag, 28. Januar) Abend ein Podium zum Thema in der Offenen Kirche Elisabethen statt. «Basel im Gespräch: Ist Homophobie Rassismus laut Gesetz?», 18.30 Uhr. Der Eintritt ist frei.

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