Kopiert!

«Immer wenn ein politisches Amt frei wird, drängeln sich Männer in die erste Reihe und schreien: «Ich, ich, ich.»

Seit Verkehrsdirektor Hans-Peter Wessels vor zwei Wochen seinen Rücktritt bekannt gab, steht bei den Basler Sozialdemokraten folgende Frage im Raum: Muss eine Frau* seine Nachfolge antreten oder darf es auch ein Mann* sein? Das macht Jessica Brandenburger, Co-Präsidentin der SP Frauen* wütend. Im Interview rechnet sie mit der Frauen*politik ihrer Partei ab.

11/18/19, 07:35 AM

Kopiert!

(Foto: Marcel Sokoll)

Jessica Brandenburger, die SP Frauen* sind wütend. Worüber?

Immer wenn ein politisches Amt frei wird, drängeln sich Männer in die erste Reihe und schreien: «Ich, ich, ich.»

Sie sprechen von Grossrat Kaspar Sutter und Nationalrat Beat Jans, die beide gegenüber Journalisten gesagt haben, sie würden sich eine Kandidatur für den Regierungsrat überlegen.

Ja, das ist doch nicht solidarisch. Momentan hat es nur zwei Frauen in der siebenköpfigen Regierung. Die Exekutive bildet die Bevölkerung nicht ab, dafür ist sie zu männlich und zu alt. Ich will hier aber nicht einzelne Personen kritisieren, sondern die Partei als Ganzes. Bei vielen SPler*innen herrscht momentan die Meinung: «Jetzt haben wir ja mit Tanja Soland eine Frau, jetzt können wir auch einen Mann nominieren.» 

«Nur, weil die Bürgerlichen keine Frauen* aufgebaut haben, können wir uns als SP jetzt nicht einfach zurücklehnen.»

Jessica Brandenburger, Co-Präsidentin der SP Frauen*

Können sie nicht?

Nein. Wir Frauen* haben mit Tanja Soland und Elisabeth Ackermann (Grüne) zwar ein Stück vom Kuchen. Aber nun liegt ein neues Stück auf dem Teller und das wollen wir auch. Und fragen Sie jetzt nicht, ob es nicht an den Bürgerlichen wäre, Frauen* aufzustellen.

Die Frage drängt sich aber auf.

Klar wäre es Zeit, dass auch mal die Bürgerlichen einen ihrer Sitze mit einer Frau* besetzen. Aber nur, weil die Bürgerlichen keine Frauen* aufgebaut haben, können wir uns als SP jetzt nicht einfach zurücklehnen.

Beat Jans hat zugunsten von Eva Herzog auf eine Ständeratskandidatur verzichtet. Und im «Tages-Anzeiger» (Paywall) beklagen sich abgewählte SP-Männer auf nationaler Ebene, sie würden benachteiligt - weil Wähler*innen momentan Politikerinnen* bevorzugen.

Ja, abgewählt zu werden oder verzichten zu müssen tut weh. Aber wir sprechen hier von der Gruppe mit den meisten Privilegien in diesem Land: Den Schweizer Männern. Und, Entschuldigung: Niemand in einer Partei hat ein gottgegebenes Anrecht auf einen Sitz, das ist ein demokratischer Aushandlungsprozess und wir SP-Frauen* wollen eine Kandidatin.

Sowohl die SP-Grossrätin Sarah Wyss als auch die ehemalige Grossrätin Beatriz Greuter überlegen sich eine Kandidatur. Und die Einzige, die bis jetzt ganz klar gesagt habe, sie wolle Regierungsrätin werden, ist Grossrätin Kerstin Wenk. Eine SP-Frau. Warum regen Sie sich also auf?

Diese drei Kandidatinnen werden nicht richtig ernst genommen, weil sie Frauen sind. Bei vielen SP-Männern, und übrigens auch bei vielen Journalisten, ist gesetzt, dass Jans und Sutter die besseren Kandidaten seien. Und bei Sarah Wyss schreiben die Medien, sie sei «jung» mit ihren 31 Jahren. Bei Conradin Cramer (LDP), der 37 war, als er Regierungsrat wurde, stellte niemand deswegen seine Kompetenz in Frage.

«Viele Männer machen die unsexy Parteiarbeit nicht, sind aber die ersten, die sich melden, wenn es ein öffentliches Amt mit Prestige zu vergeben gibt.»

Jessica Brandenburger, Co-Präsidentin der SP Frauen*

Wer wäre denn die kompetenteste Person für den Regierungsrat?

Alle bisher genannten sind kompetent. Die Männer drängen sich medial einfach mehr ins Rampenlicht und verkaufen sich als die besseren Kandidaten.

Wie das?

Schauen Sie zum Beispiel Kerstin Wenk an. Sie ist, was man eine stille Schafferin nennt. Sie ist der Ruhepol in der SP-Grossratsfraktion, sie bringt sehr viel Wissen mit. Ausserdem ist sie seit April 2017 Vizepräsidentin der Partei und hat den erfolgreichen vergangenen Nationalratskampf der SP geleitet. Ein Knochenjob, der Erfahrung braucht. Sie kämpft für linke Projekte, nicht für sich selbst. Sie ist kein Mensch, der in die erste Reihe tritt und ihre Ellbogen ausfährt.

Frauen* wird häufig vorgeworfen, sie würden zu wenig selbstbewusst auftreten. Politik ist schliesslich immer auch Machtkampf.

Warum wirft man ihnen das vor? Eigentlich ist es doch sympathisch, wenn jemand hart arbeitet, ohne sich immer in den Mittelpunkt zu stellen. Und Kerstin ist auch die, die morgens um fünf Uhr die Gipfeli holt, wenn die SP im Wahlkampf am Morgen eine Verteilaktion macht. Andere kommen erst um sieben Uhr, verteilen ein paar Gipfeli und schiessen dann ein Selfie und geben auf social media damit an, wie früh sie aufgestanden sind.

Ist das eine Frage des Geschlechts?

Viele Männer machen diese unsexy Arbeit nicht, sind aber die ersten, die sich melden, wenn es ein öffentliches Amt mit Prestige zu vergeben gibt.

Jetzt hat sich Kerstin Wenk ja gemeldet. Und Hand aufs Herz: Ist es nicht Ihre Aufgabe als Co-Präsidentin der SP Frauen*, dafür zu sorgen, dass die Frauen*frage Gewicht hat?

Wir sind dran. Wir führen Gespräche und bauen Teams auf, um Leute zu überzeugen. Aber es kann ja nicht sein, dass die SP Frauen* bei jeder Wahl wieder ermahnend aufstehen müssen. Die Frauen*frage müsste in der gesamten Partei verankert sein.

Sind Sie nicht etwas spät dran? Es war ja schon vor zwei Jahren klar, dass Regierungssitze frei werden.

Wir sind nicht zu spät dran. Und wir haben ja auch genügend fähige Frauen*. Doch die SP ist eine heterogene Bewegung. Es gibt die Gewerkschafter*innen, Kurd*innen, die Sozialliberalen, es gibt die alten Feminist*innen und es gibt die Jungen.

Was ist das Problem zwischen jungen und alten Feminist*innen?

Die älteren Feminist*innen haben Berührungsängste mit aktuellen Themen wie zum Beispiel dem Queerfeminismus. Und viele Frauen*, die Ämter in der SP besetzen, haben studiert. Sie haben eine funktionierende Karriere, verdienen gut und vergessen manchmal, dass es nicht alle Frauen* so gut haben.

Und die alten Häsinnen wie die Eva Herzog oder Anita Fetz - setzen sie sich innerhalb der SP dafür ein, dass Frauen* gefördert werden?

Ich erwarte es von ihnen.

Wird geladen