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Medienvielfalt

Ist die Basler Zeitung am Ende?

Die «Basler Zeitung» zeigt exemplarisch, dass der Schweizer Verlagsjournalismus keine Zukunft hat. Corona gibt ihm höchstens noch den Rest. Eine Einordnung.

04/09/20, 03:07 AM

Aktualisiert 04/09/20, 03:07 AM

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Die traditionelle Schweizer Medienwelt implodiert gerade. Am 20. März verkündete die Tamedia (neu TX Group) ihren Mitarbeiter*innen aus heiterem Himmel, sie würden auf staatlich finanzierte Kurzarbeit gesetzt. Das betrifft auch die «Basler Zeitung», die zum Zürcher Medienhaus gehört. Zwei Wochen später beschloss der Verwaltungsrat des Mutterkonzerns, 37 Millionen Franken Dividende an die Aktionär*innen auszuzahlen, wie «Klein Report» berichtete.

Wenn sich Aktionäre per Ausschüttungen Geld in die Taschen stecken und gleichzeitig vom Staat die Kurzarbeit bezahlen lassen, sollte das bei Medienschaffenden mindestens kritische Fragen auslösen. In Zürich protestierten denn auch Gewerkschaftler*innen und Journalist*innen gegen die Kurzarbeit. In den Zeitungen der Grossverlage «Tamedia», «CH Media», der «NZZ» aber auch von «Ringier» war diese Dividenden-Ausschüttung jedoch kaum Thema. 

Bundesrat streicht Nothilfe vorerst

Es stellt sich die Frage: Wie abhängig sind die «unabhängigen Medien» von der einflussreichen Familie Coninx/Supino, welche den Branchenführer «Tamedia» (TX-Group) besitzt? Ihr kam der Hauptanteil der Dividende zu gute. Auch wenn fast kein Grossverlag über die Millionenzahlung berichtete: Konsequenzen hat die Dividende trotzdem.

Denn im Bundesrat sank mit ihr der Wille rapide, die angeschlagenen Zeitungsverleger zu retten. Ein von Bundesrätin Simonetta Sommaruga eingebrachtes Notpaket in Höhe von 78 Millionen Franken wurde am Mittwoch abgeschmettert.

«Heute ist die BaZ ein wilder Mix aus solidem Journalismus und Schutt und Geröll.»

Hans-Peter Wessels, SP-Regierungsrat

Gemäss informierten Kreisen fürchteten die FDP-Vertreter*innen einen ordnungspolitischen Sündenfall en miniature à la Swissair oder UBS. Den SVPlern im Bundesrat dürfte sehr bewusst sein, dass rechte Milliardär*innen aus den möglichen Konkursmassen günstig zu neuen Medientiteln kommen könnten. Und unter den SP-Bundesrät*innen soll keine Einvernehmlichkeit geherrscht haben. Nicht jede*r Sozialdemokrat*in ist bereit, Verleger Pietro Supino Geld zu geben.

Corona könnte die Printmedien-Landschaft, wie wir sie bisher kannten, noch einmal deutlich schwächen. Aber letztlich ist das Virus nur der letzte Zwick an der Geissel. Ein Mediensystem, das in Zeiten höchsten Leser*innen-Interesses wegen wegbrechenden Werbeeinnahmen auf Kurzarbeit umstellt, ist hochgradig dysfunktional. Dazu kommt, dass gerade bei der «BaZ» viele Probleme auch hausgemacht sind. 

BaZ nutzte Post-Blocher-Chance nicht

Die «BaZ» hatte mit der zunächst heimlichen Übernahme durch SVP-Doyen Christoph Blocher und mit Markus Somm als Chefredaktor schnell die journalistische Glaubwürdigkeit verspielt. Das Ziel, via «BaZ» in Basel ein bürgerliche Wende herbeizuschreiben, misslang politisch und unternehmerisch.

Doch einige Basler*innen schöpften Hoffnung, als Blocher 2018 die Zeitung an die Zürcher Tamedia verkaufte. SP-Regierungsrat Hans-Peter Wessels sagte etwa in der «BaZ»: «Ich bin sehr froh über diese Übernahme. Wir mussten die tägliche Blocher-Propaganda lange genug ertragen und ich bin zuversichtlich, dass aus dem Blatt wieder eine seriöse Tageszeitung wird.»

Basel-Stadt, Baselland: Finde den Unterschied

Der Regierungsrat hat sich getäuscht, wie er rückblickend zugibt: «Heute ist die «BaZ» ein wilder Mix aus solidem Journalismus und Schutt und Geröll». Der solide In- und Auslandsteil stammt mehrheitlich von Zürcher Journalist*innen, von denen einige nicht einmal zwischen Basel-Stadt und Basel-Landschaft unterscheiden können. Der Schutt stammt häufig aus der Lokalredaktion. 

Dass das klar ist*: In der «BaZ»-Redaktion arbeiten engagierte Menschen, die ihr Herzblut in ihre Arbeit legen. Und sie liefern auch immer wieder solide bis sehr gute Stücke. Doch das Problem ist: Der BaZ fehlen Ressourcen und Qualitätsmanagement.

Deshalb weiss man inzwischen oft nicht mehr, was stimmt und was nicht. So schrieb die «BaZ» am 3.Februar 2020 im Zusammenhang mit einem Gerichtsprozess gegen Fussballfans, «einer der Hooligans» sei von Gummischrot an einem Auge verletzt worden. Dabei handelte es sich beim Verletzten um einen «unbeteiligten» Mann, wie die «bz» schrieb, «einen friedlichen Matchbesucher», wie das «SRF» 2017 aus den Akten der Staatsanwaltschaft zitierte.  

Fehler passieren allen Medien. Nur: Die «BaZ» korrigierte den Artikel bis heute nicht.

«Markus Somm stellte sich immer vor seine Journalist*innen, wenn Kritik von aussen kam.»

BaZ-Redaktionsmitglied

Und kürzlich durfte eine Redaktorin in einem Kommentar Covid-19 mit der saisonalen Grippe vergleichen und «Behörden und Wissenschaft» «Allmachtsfantasien» zuschreiben. Titel: «Durchatmen und Fakten checken». Und das am 21. März, bei längst ausgerufener Quarantäne.

Somm ist weg, oder?

Marcel Rohr, der auf Markus Somm als BaZ-Chefredaktor folgte, gelingt es offensichtlich nicht, im Basel-Bund journalistische Qualitätsstandards durchzusetzen. Die Zentrale weist jedenfalls jede Verantwortung für den unverantwortlichen Corona-Kommentar von sich: «Bei Tamedia liegt die Kommentarhoheit bei den einzelnen Zeitungen», erklärt Sprecherin Nicole Bänninger.

Für Leser*innen ist Markus Somm heute immer noch spürbar. Die Redaktion besteht zum Grossteil aus denselben Leuten und auch der Ton hat sich kaum geändert. Die «Medienwoche» schrieb kürzlich: «Schaut man sich Stil, Mittel und Fehlleistungen der «Tamedia-BaZ» an, gibt es kaum etwas, was nicht von Somm vorgespurt scheint.» 

Gleichzeitig wird Somm aber auch vermisst, von einigen bürgerlichen Politiker*innen wie von befragten «BaZ»-Redaktor*innen. Sie wünschen sich den prägenden, rechtskonservativen Chef zurück. «Bei Somm diskutierten wir über Geschichten», sagt ein Redaktionsmitglied, das anonym bleiben möchte. Er habe klare Qualitätsvorstellungen gehabt und diese auch kommuniziert. «Und er stellte sich immer vor seine Journalist*innen, wenn Kritik von aussen kam.»

Keine Dividenden, nur Journalismus.

Schlechte Noten bekommt Somms Nachfolger, der langjährige BaZ-Sportchef Marcel Rohr. «Man weiss nie, woran man bei ihm ist». Er habe keine Ahnung von Lokalpolitik, heisst es. «Am Morgen findet er deine Geschichte gut, am Nachmittag wirst du dafür gerügt», sagt ein anderes Redaktionsmitglied. 

Gesucht: «mehr Führung»

Auch deshalb ist der Fall des Lokaljournalisten Serkan Abrecht so bezeichnend. Der junge, von Somm geförderte Lokaljournalist rechtskonservativen Schlags, durfte eben noch vom Chefredaktor Rohr bewilligte journalistische Ausflüge in die Weltpolitik unternehmen. Dann bekam Abrecht plötzlich die Kündigung – unter anderem deshalb, weil er in einem Kommentar einen journalistischen Fehler beging. Allerdings: In solchen Fällen trägt der Chefredaktor die publizistische Verantwortung.

Jetzt scheint es, als ob der 26-jährige Abrecht für die fehlende Qualitätskontrolle seines Chefs bezahlen müsste. In der Petition, die Redaktions-Kolleg*innen für den Verbleib von Abrecht verfasst haben, ist folgender, im Magazin Online-Reports veröffentlichter Satz bemerkenswert: Abrecht brauche «möglicherweise mehr Führung und mehr kritische Gegeninstanzen als bisher». Ein klarer Stoss vors Schienbein von Marcel Rohr. 

Wie man «BaZ»-Chef wird

Chefredaktor*innen werden bei «Tamedia» vom Verwaltungsrats-Präsidenten Pietro Supino eingesetzt. Auch für die Basler Zeitung. Als Sportchef hatte Marcel Rohr einen hervorragenden Ruf. Aber er hat sich nie als politischer Denker hervorgetan. In Zürich steht man noch zum Fricktaler: «Marcel Rohr ist ein geschätzter Chefredaktor, der es versteht, der Basler Zeitung ihren persönlichen Charakter zu verleihen,» erklärt die Tamedia-Sprecherin. 

Aber wie kam Supino auf Rohr? 

Markus Somm und Pietro Supino schweigen über die Verhandlungen, die sie vor dem «BaZ-Verkauf» führten. Die beiden trafen sich nach dem «BaZ»-Verkauf aber einige Male mit mehreren ausgewählten Redaktionsmitgliedern zum Znacht, schrieb die ehemalige «TagesWoche». Und Somm sagte nach der «Tamedia»-Übernahme in demselben Medium»: «Sie können davon ausgehen: Die «Tamedia» weiss nicht zuletzt dank mir, dass sie eine exzellente Redaktion eingekauft hat. Und es liegt unserem neuen Eigentümer viel daran, dieses Know-how und diese Brillanz zu bewahren».


Somm schreibt heute für die «SonntagsZeitung» der «Tamedia» und auch der neoliberale «BaZ»-Journalist Dominik Feusi schaffte nachher den Sprung in den «Tamedia»-Mantelteil und ist jetzt mit Artikeln wie «Spare in der Zeit, dann hast du in der Not» im ehemals linksliberalen Tages-Anzeiger zu lesen.

Zürcher Mantel für Basler Fremdkörper

Trotz Brückenkopf Feusi passen der Basel-Bund und der Zürcher Mantelteil immer noch etwa so gut zusammen wie der Fährimaa und der Zürisee. Das ist auch kein Wunder: Das Konstrukt aus Zürcher Mantel und Basler Lokalkern ist kein publizistisches Wunschprogramm, sondern verlegerische Verlegenheit.

Die Inserate sind schon Jahre vor Corona weggebrochen. Die Print-Leser*innen nehmen jährlich in 10-Prozent-Schritten Abschied, wie die Republik vorrechnet. Hochgegangen sind nur die Abo-Preise. Die machen es aber unmöglich, attraktive digitale Zugangslösungen anzubieten. Die Abwärtsspirale dreht sich im Kreis. Seit Jahren. Und auch ohne Corona immer schneller. 

«Wenn Journalismus systemrelevant sein soll, darf er nicht dem Werbemarkt und renditeorientierten Verlegern ausgeliefert sein.» 

«WOZ»

Corona ist nicht die Ursache der Medienkrise. Aber das Virus legt die Sicht frei auf eine kollabierende Branche und auf deren mächtigste Exponent*innen. Für das reichste Medienhaus der Schweiz, der «Tamedia», ist der Journalismus zweitrangig. Das Unternehmen hat die Dividenden jedes Jahr brav ausbezahlt und die Digitalisierung verschlafen. Den Preis dafür zahlen die Leser*innen mit höheren Abopreisen und die Journalist*innen mit Sparprogrammen.

Die Zukunft des Journalismus wird in der Schweiz dann beginnen, wenn die Zeitungsverleger endlich zugeben, dass sie kein Geschäftsmodell mehr haben.

In welche Richtung die Medienzukunft geht, zeigen Projekte mit alternativen Finanzierungsmodellen, wie die «Republik», aber auch regionale, noch kleine Projekte, wie «Tsüri.ch». Getragen werden sie von den Leser*innen. Nicht von der Werbung. Oder, wie es die erfolgreiche Wochenzeitung «WOZ» (Leserinnen-Zuwachs im letzten Halbjahr: 14 Prozent) erklärt hat: «Die Medien brauchen ein neues Finanzierungs- und Glaubwürdigkeitsmodell. Wenn Journalismus systemrelevant sein soll, darf er nicht dem Werbemarkt und renditeorientierten Verlegern ausgeliefert sein.» 

*In der ursprünglichen Version steht: Die «BaZ» liefert immer wieder solide Stücke. Nach einer Nacht Schlaf hat Andrea Fopp den Passus mit folgendermassen ergänzt: Dass das klar ist: In der «BaZ»-Redaktion arbeiten engagierte Menschen, die ihr Herzblut in ihre Arbeit legen. Und sie liefern auch immer wieder solide bis sehr gute Stücke. Doch das Problem ist: Der BaZ fehlen Ressourcen und Qualitätsmanagement.

**Andrea Fopp arbeitete selbst von 2009 bis 2013 auf der «BaZ»-Redaktion und schrieb im Jahr 2019 als freie Journalistin für die «BaZ».

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