«Der Fall Kowsika braucht eine Aufarbeitung»

Eine junge Frau nimmt sich im Basler Untersuchungsgefängnis Waaghof das Leben, die Aufseher*innen müssen sich vor Gericht verantworten. Doch was ist mit den Behörden?

Stacheldraht und Sicherheitsnetze ueber einen Spazierhof des Basler Gefaengnis Waaghof in Basel am Samstag, 5. November 2005. (KEYSTONE/Markus Stuecklin)
Die Leitung des Untersuchungsgefängnisses Waaghof wurde bisher nicht zur Rechenschaft gezogen.

Kowsika hatte einen Traum, sie wollte eines Tages einen eigenen Beauty Salon betreiben. In ihrem Reisedokument, mit dem sie aus Sri Lanka 2017 geflüchtet war, um in der Schweiz Schutz zu suchen, steht «Profession: Beautician». Doch hierzulande fand sie weder Schutz noch ihre Berufung, sondern den Tod. Ihr Asylgesuch wurde kurz nach Einreise abgewiesen, Kowsika tauchte unter und wurde festgenommen. Bald darauf nahm sich die damals 29-jährige Tamilin im Basler Untersuchungsgefängnis Waaghof das Leben. In einer dreiteiligen Recherche haben Bajour und die Republik die Umstände des Todes versucht gemeinsam aufzuarbeiten

Brisant dabei: Während sich die vier Gefängnisaufseher*innen im Berufungsverfahren erneut vor Gericht verantworten müssen, weil es rund 20 Minuten dauerte, bevor sie der Sterbenden Hilfe leisteten, wurden bisher weder Behörden noch die Gefängnisleitung zur Rechenschaft gezogen. Dabei ist die Liste der mutmasslichen Verfehlungen lange (siehe Box). Anwalt Andreas Noll hatte im Laufe des Verfahrens 2021 zwar Strafanzeige gegen die Gefängnisleitung eingereicht, das Verfahren wurde von der Staatsanwaltschaft aber sistiert.

Damit steht die Frage im Raum: Welchen Handlungsspielraum gibt es, um auch das mutmassliche Versagen der Behörden in so einem Fall zu untersuchen – und nicht nur jenes der untersten Hierarchiestufe, der Gefängnisaufseher*innen?

Braucht es eine Untersuchung? Und wenn ja, in welcher Form?

Das sind die sechs mutmassliche Verfehlungen der Behörden
  • Mit welcher rechtlichen Begründung Kowsika festgehalten wird, ist unklar.
  • Maximale Haftdauer überschritten: Korrekt wäre wohl eine Haftdauer von maximal 72 Stunden gewesen. In diesem Fall hätte Kowsika rund eine Viertelstunde vor dem Suizidversuch entlassen werden müssen.
  • Kowsika wurde im Waaghof entgegen der Vorschriften mit strafprozessual Inhaftierten zusammengelegt.
  • Fehlende Hafterstehungsprüfung: Gemäss Schweizerischer Strafprozessordnung dürfen Menschen nur inhaftiert werden, wenn ihnen eine Haft physisch und psychisch zugemutet werden kann. Nichts in den Akten deutet darauf hin, dass die Behörden geprüft hätten, ob Kowsika die Haft zugemutet werden kann.
  • Kowsikas Angehörige wurden durch die Schweizer Behörden unzulänglich und inkorrekt über ihren Tod informiert. 
  • Mangelndes rechtliches Gehör: Gemäss Bundesverfassung hat jede Person, die verhaftet wird, das Recht, dass ihr in einer verständlichen Sprache erklärt wird, warum sie ins Gefängnis muss und was für Rechte sie hat. In den Akten steht nichts davon, dass ein*e Dolmetscher*in aufgeboten wurde.
  • «Die Geschichte hat mich wütend gemacht»

    Die Basler Grünen/Basta-Nationalrätin Sibel Arslan findet klare Worte: «Der Fall Kowsika braucht eine Aufarbeitung» – auf kantonaler wie auch auf nationaler Ebene, so die Juristin. Denkbar wäre aus ihrer Sicht eine Untersuchung durch die kantonale Geschäftsprüfungskommission, die GPK, oder die Schaffung einer unabhängigen Beschwerdestelle, «die Kapazitäten und Knowhow hat, um mögliche Missstände bei der Polizeiarbeit, in Untersuchungsgefängnissen und im Straf- sowie Massnahmenvollzug untersuchen zu können».

    «Aus unseren Reihen ist sicher eine Interpellation zum Fall Kowsika zu erwarten, es gibt viele offene Fragen.»

    von Lisa Mathys, Co-Präsidentin der SP

    Eine unabhängige Beschwerdestelle wurde in Basel schon mehrfach gefordert, im Unterschied zur GPK könnte eine solche Stelle Beschwerden feststellen und nicht nur Empfehlungen aussprechen. Bei einer Beschwerde müsste man sich zudem nicht gleich an die Staatsanwaltschaft wenden, sondern könnte an eine unabhängige Instanz gelangen. Die Basta-Grossrätin Tonja Zürcher reichte bereits 2020 einen entsprechenden Vorstoss ein, das Geschäft ist noch in Bearbeitung. Auf Anfrage von Bajour bestätigt auch die kantonale SP-Co-Präsidentin Lisa Mathys: «Aus unseren Reihen ist sicher eine Interpellation zum Fall Kowsika zu erwarten, es gibt viele offene Fragen.» Auch die SP spricht sich für eine unabhängige Beschwerdeinstanz aus, eine solche brauche es insbesondere, wenn etwas bei der Polizeiarbeit oder im Strafverfahren schief laufe. «Daran halten wir fest.»

    Schockiert zeigt sich die Linke auch in Bezug auf die fehlenden Zahlen durch das Bundesamt für Statistik. Arslan möchte sich dem auf nationaler Ebene annehmen: «Es braucht nun zwingend Statistiken, wie viele Menschen sich in Haft das Leben nehmen und wieso.» Auch Mathys sagt: «Ich kann fast nicht glauben, dass diese Zahlen nicht erhoben werden.»

    «Die Geschichte hat mich wütend gemacht, als Mensch, aber auch als Politikerin»

    von Sibel Arslan, Basler Grüne/Basta-Nationalrätin

    Zudem beschäftigt der systemische Charakter dieser Tragödie: «Die Geschichte hat mich wütend gemacht, als Mensch, aber auch als Politikerin», meint Arslan. Es habe System, wie bei uns mit Menschen mit Migrationshintergrund umgegangen werde. Insbesondere gegenüber jenen, die mit einer Ausschaffung konfrontiert seien, fehle es an Respekt. Sie würden in Institutionen wie dem Gefängnis Waaghof wie Straffällige behandelt, kritisiert sie, «obwohl sie kein Verbrechen begangen haben». Alternativen wie die Unterbringung bei der Nothilfe oder ein elektronisches Monitoring – zum Beispiel mit einer Fussfessel – gebe es für diese Personen aktuell nicht. «Kowsika hätte ihr Leben nicht verlieren dürfen, weil sie ohne Aufenthaltsbewilligung in der Schweiz war.»

    Eines nach dem anderen

    Gleichzeitig scheint die Politik auch nichts überstürzen zu wollen. Da das Strafverfahren noch läuft, sind die Rufe nach einer GPK oder sogar einer parlamentarischen Untersuchungskommission (PUK) auf kantonaler Ebene eher verhalten. Ohnehin wird die GPK in der Regel von sich aus tätig und braucht dafür keinen parlamentarischen Auftrag - im Unterschied zur PUK. Wegen des Kommissionsgeheimnisses wird das Einleiten einer Untersuchung indes nicht kommuniziert, zudem dürfte auch die GPK zuerst den Entscheid der Gerichte abwarten. Doch der Präsident der GPK, Christian von Wartburg (SP), sagt: «Ich darf Ihnen versichern, dass die Berichterstattung über diesen Fall der GPK nicht verborgen bleibt.» Von Wartburg ist der Anwalt einer der Gefängnisaufseher*innen und müsste im Falle einer Untersuchung in den Ausstand treten, wenn es um seine Mandantin gehen würde.

    FDP-Grossrat David Jenny ist der Meinung, die normalen Mittel der GPK müssten in diesem Fall ausreichen. Ob parlamentarischer Aktivismus vor der zweitinstanzlichen Verhandlung angezeigt ist, bezweifelt er ebenso. Für eine PUK-Einsetzung sieht er keinen Bedarf. Auch SVP-Grossrat Joël Thüring
    
    meint: Die GPK könne immer Fragen stellen und sich etwas anschauen. Das müsse die GPK selber entscheiden: «Eine PUK braucht es sicherlich nicht.» 

    Eine solche forderten derweil die Demokratischen Juristen. Ada Mohler gibt auf Anfrage zu Protokoll, «dass eine Aufarbeitung durch die parlamentarische Oberaufsicht beziehungsweise durch eine parlamentarische Untersuchungskommission angebracht wäre, angesichts dessen, dass im laufenden Strafverfahren nur die Strafbarkeit der vier Wärter überprüft werden kann, und mit Blick auf die Tragweite des geschilderten Falles». 

    Mitarbeit: David Rutschmann und Michelle Isler

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