Die drohende Demokratiekrise

Medienhäuser bauen laufend Stellen ab, Lokalzeitungen verschwinden, Journalismus-Wüsten entstehen. Wir stecken in einer Krise der lokalen Medienfinanzierung. Das gefährdet die Demokratie.

Werbung im Tram fotografiert am 02.03.2022 in Bern. (hauptstadt.be / Simon Boschi)
Lokaljournalismus kostet: Leser*innen sollten Abos lösen und Unternehmer*innen sollten statt bei Google und Facebook in lokalen Online-Portalen inserieren. (Bild: Simon Boschi)

Bist du froh, dass kürzlich das systematische Fälschen von Unterschriften bei Volksinitiativen publik wurde? Findest du es relevant, dass zur mächtigen Burgergemeinde in der Stadt Bern recherchiert wird? Ist es wichtig, dass im Bundeshaus Journalist*innen hinterfragen, was der Bundesrat publiziert und welche Lobby hinter welchem Parlamentsentscheid steckt? 

Falls du diese Fragen mit Ja beantwortest, solltest du dir Sorgen machen. Auf nationaler politischer Ebene nimmt der Journalismus seine Funktion als vierte Gewalt noch wahr, doch auf lokaler Ebene drohen Journalismus-Wüsten. 

Unabhängiger Journalismus ist für eine Demokratie lebenswichtig. Doch er ist nicht selbstverständlich. 

Die Medienvielfalt ist in der Region Bern derart gesunken, dass über die Politik gewisser Gemeinden nur noch sehr sporadisch berichtet wird. Auch über das Berner Kantonsparlament berichtet kein Medium mehr kontinuierlich. Verstärkt sich dieser Trend auf allen politischen Ebenen, droht eine Demokratie-Krise, weil für den öffentlichen Diskurs professionelle journalistische Plattformen fehlen. Social-Media-Plattformen allein können diese Funktion nicht wahrnehmen.

Es gibt Mittel, mit denen die Demokratie-Krise verhindert werden kann. Handeln müssten Leser*innen, Unternehmer*innen und Politiker*innen, doch dazu später.

Die zerstörende Marktsituation

Die Medienvielfalt nimmt derzeit ab. Nicht weil der Journalismus schlechter geworden wäre. Im Gegenteil. Sondern, weil die Finanzierung des Journalismus in einer grossen Krise steckt. Das zeigt unter anderem der aktuelle Stellenabbau bei Tamedia. Er ist nur ein kleines Puzzleteil in einer kontinuierlichen Reihe von Abbaumassnahmen bei Medienhäusern.

Und dieser Abbau ist nicht nur mit der Gewinnmaximierung im TX-Konzern zu erklären. Die Krise geht weit darüber hinaus.

In Bern kämpft aktuell etwa der «Anzeiger Region Bern» ums Überleben.

Die Digitalisierung hat bei den privaten Medien eine disruptive – also eine zerstörende – Marktsituation geschaffen. Ein Teil der Einnahmen, welche früher private Zeitungen rentabel und damit unabhängig machten, sind im digitalen Bereich nicht mehr möglich.

In den 80er- und 90er-Jahren generierte eine Zeitung mit Abos, Inseraten, Stellenanzeigen, Wohnungsanzeigen, Partner*innen-Annoncen und Ähnlichem genug Einnahmen, um den lokalen und regionalen Journalismus zu finanzieren. Und ein Grossteil der Haushalte hatte das  Abo einer Regionalzeitung, weil man sich dort über den öffentlichen Diskurs, die Veranstaltungen vor Ort, die offenen Stellen, die freien Wohnungen, die verstorbenen Menschen und den lokalen Sport informierte.

Heute braucht man dafür nicht mehr zwingend eine Zeitung oder ein Online-Abo eines Medienhauses. Ein solches Abo braucht man eigentlich nur noch, wenn man kritischen Journalismus wichtig findet.

Die gefährliche Gratiskultur

Zudem haben die Verlage seit Jahrzehnten selber mit Gratiszeitungen die Menschen an eine Gratis-Kultur im Journalismus herangeführt. Das Problem dabei: Die Gratiszeitungen funktionieren nur, weil sie vom Journalismus der Bezahlmedien profitieren. Oft schreiben sie deren Recherchen ab und publizieren diese dann, ohne bei den Leser*innen Geld dafür zu verlangen.

Die Konsequenzen dieser Marktentwicklung sind massiv. Der Hauptgrund: Im Digitalen ist die Zahlungsbereitschaft von Leser*innen, aber auch von Inserent*innen sehr viel tiefer als bei gedruckten Zeitungen.

Der Vergleich in Zahlen: Ein Zeitungs-Jahresabo der Berner Zeitung kostet 559 Franken. Ein Digital-Jahresabo der Berner Zeitung kostet 149 Franken.

Die Verlage können mit digitalen Dumping-Angeboten zwar zahlenmässig den Rückgang bei den Zeitungs-Abos kompensieren. Bei den Einnahmen aber bei weitem nicht. Denn bei den Online-Inseraten sind aufgrund der globalen Konkurrenz von Google, Instagram und co. die Preise für Anzeigen in lokal begrenzten Räumen deutlich tiefer als bei Print-Anzeigen. Fredy Bayard, Verleger des Bieler Tagblatts (Gassmann Medien), geht davon aus, dass Inserate künftig nicht mehr als 10 Prozent der Einnahmen einer regionalen Online-Plattform ausmachen.

Die drohende Implosion

Denkt man diese Entwicklung weiter, droht gar eine Implosion der Redaktionen. Und zwar dann, wenn die Abo-Zahlen der Zeitungen derart tief sind, dass sich der Aufwand für Druck und Vertrieb nicht mehr lohnt. Denn mit den aktuellen Geschäftsmodellen könnten die Verlage ihre Redaktionen auch bei gleichbleibender Leser*innnenschaft mit den Einnahmen aus digitalen Abos und Inseraten auch nicht annähernd finanzieren. Und die Sparmassnahmen von Tamedia bei den Druckereien schwächen die Rentabilität der Zeitungen. Aktuell steigen die Druckkosten für Regionalzeitungen markant an.

Wer nun sagt, der Markt werde das schon richten, man müsste nur das richtige Angebot bereitstellen, der oder die verkennt den Ernst der Lage. Qualitativ ist der Journalismus so gut wie wohl noch nie. Alle Verlage haben in Recherchedesks und die Erzählqualität von Texten – das sogenannte Storytelling – investiert. 

Am Beispiel des Online-Polit-Magazins Nebelspalter kann man das Marktversagen gut illustrieren. Die rechtsbürgerliche Publikation, die sich seit drei Jahren an ein rechtsbürgerliches Publikum richtet, hat trotz Finanzspritze von Investor*innen eine bescheidene Zahl von 4000 Abos erreicht. Das heisst: Nicht einmal ein Magazin von und für Markt-Apologeten schafft es, sich am Leser*innenmarkt zu finanzieren. In die Einnahmen-Lücke springen allenfalls Mäzen*innen.

Doch wir dürfen die Rettung des Journalismus nicht reichen Leuten überlassen. Die Unabhängigkeit würde leiden. 

Die Lösungsansätze

Es besteht kein Zweifel: Die Medienfinanzierungskrise ist gross. So gross, dass es dringend wird, Massnahmen zu ergreifen, damit sie sich nicht zu einer Demokratiekrise auswächst.

Handeln können die Leser*innen, die Wirtschaft und die Politik. Aber wie? Das sind die drei wichtigsten Punkte:

  • Als Leser*in solltest du Nachrichten und Journalismus nicht nur auf Sozialen Medien und Gratis-Plattformen konsumieren, sondern für Journalismus bezahlen, sprich ein Abo lösen. Und zwar nicht nur ein Dumping-Abo der New York Times, sondern auch eines, das Lokaljournalismus an deinem Wohnort finanziert.
  • Als Unternehmer*in solltest du ebenfalls journalistische Produkte abonnieren und einen Teil deines Werbebudegts bewusst für lokale Digital-Medien reservieren. Ein Marketing-Budget, das lokalen Journalismus berücksichtigt, müsste bei Unternehmen fix zur Social-Responsibility-Strategie gehören. 
  • Als Politiker*in solltest du mithelfen, möglichst schnell eine Medienförderung auf die Beine zu stellen, die den digitalen Lokaljournalismus nicht benachteiligt. Aktuell erhalten Radio, TV und Print-Zeitungen Subventionen, letztere in Form der Posttaxenvergünstigung. Digitaler Lokaljournalismus hingegen erhält keinen Rappen. Damit sind lokale Online-Magazine wie die «Hauptstadt» am sogenannten Markt klar benachteiligt.

Nächste Woche diskutiert der Nationalrat im Bundeshaus mehrere Vorstösse zur Medienförderung. Auf dem Tisch liegt einerseits eine Verlängerung der Postzustellungsverbilligung für Regionalzeitungen im Umfang von 45 Millionen Franken. Davon profitieren unter anderem die Tamedia-Zeitungen «Der Bund» und die Berner Zeitung. Für die Postzustellungsverbilligung lobbyieren die grossen Verlage, weil diese Subvention pro zugestelltes Print-Exemplar ausgeschüttet wird. Die Folge: Grössere Verlage erhalten grössere Subventionsbeiträge.

Wichtiger für die Entwicklung des digitalen Lokaljournalismus ist aber am Montag im Nationalrat die Debatte über einen zweiten Vorstoss der zuständigen Kommission. Dieser strebt eine technologieneutrale Journalismus-Förderung an. Die Förderung würde sich an der Anzahl journalistischer Stellen bemessen und wäre degressiv ausgestaltet (kleine Medienunternehmen würden pro journalistische Stelle mehr Unterstützung erhalten als grössere). 

Damit würde die Medienvielfalt im Lokaljournalismus sehr effektiv gestärkt. Leider wird dafür von den grossen Verlagen nicht gross lobbyiert. Und leider will das Parlament diese Förderung erst in rund sieben Jahren als Nachfolgelösung für die Zeitungssubventionen einführen.

Hoffen wir, dass es dann nicht zu spät ist.

Die «Hauptstadt» sucht weiter mit innovativen Konzepten nach neuen Einnahmequellen, tüftelt an neuen journalistischen Produkten und kämpft damit – auch ohne Subventionen – mit aller Kraft für die Medienvielfalt in der Region Bern. 

Hilf mit, indem du deine Nachbar*innen motivierst, ein Abo zu lösen, und deine Arbeitgeber*in aufforderst, in der «Hauptstadt» zu inserieren. So kannst du aktiv einen Beitrag leisten, damit aus der Medienfinanzierungskrise nicht eine Demokratiekrise wird. 

Joël Widmer ist Co-Geschäftsführer, Journalist und Mitgründer der «Hauptstadt»

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