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Kommentar

Aber nicht vor meiner Haustür!

Die Anwohner*innen des Münsterplatz seien wehleidige Jammeris, meint Baz-Chefredaktor Rohr in einem Leitartikel. Anwohner und Bajour-Praktikant Ernst Field (20) lässt das nicht auf sich sitzen.

06/13/22, 03:35 PM

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Der Münsterplatz lebt ja doch

Der Münsterplatz lebt ja doch (Foto: © Kanton Basel-Stadt: www.bs.ch/bilddatenbank)

«Seit Jahren bodigt ein harter Kern von Anwohnern jegliche Formen von Unterhaltung und Leben», schrieb BaZ-Chefredaktor Marcel Rohr in einem Leitartikel am Wochenende über den Münsterplatz. «Wer etwas auf die Beine stellen will, braucht starke Nerven und gefühlt einhundert Bewilligungen. Gute Nacht, Basel.»

Ja, ironischerweise äussern sich die Anwohner*innen lautstark gegen mehr Lärm. Aber ist das nicht ihr gutes Recht? Ich selbst bin Anwohner dieses Platzes, den Rohr als einer der «schönsten Plätze der Schweiz, ja Europas», bezeichnete. Wenigstens da sind wir uns einig.

Messe, Markt und mehr

Vor dem Wahrzeichen Basels passiert viel mehr als «ein bisschen Weihnachtsmarkt, ein bisschen Herbstmesse und eine Laternenausstellung», wie der nichtbetroffene Rohr so süffisant ausführt. Und selbst diese drei Events sind nicht zu unterschätzen. Letztes Jahr musste ich mich, um ohne Umwege in mein heimeliges Wohnzimmer zu kommen, wochenlang einer Zertifikat-, bzw. Mäss-Bändeli-Kontrolle, aussetzen.

Ich hatte zwar auch Freude, dass diese Aushängeschilder Basels wieder stattfinden konnten. Und das mit ein wenig Gefühl von gesundheitlicher Sicherheit. Aber trotzdem muss Kritik erlaubt sein, wenn die Veranstaltungen die Lebensqualität der Anwohner*innen verletzen. Denn diese Kritik ist mehr, als eine Gruppe von verwöhnten Anwohner*innen, die zu pingelig sind, durch eine Menschenmenge zu laufen oder beim Abendessen ein wenig Hintergrundgeräusche zu hören.

Ich hatte die Corona-Pause 2020 genossen. Endlich konnte ich auf einem Platz spazieren, auf dem mal keine Events stattfinden und der auch nicht von Touri-Gruppen überflutet wird. Ein Genuss an Abwechslung. Wir können gerne eine Art Rotation einführen, dass nicht jeder Anlass vor meiner Nase vonstattengeht. Das Mondfest zum Beispiel könnte ich auf den namensgebenden Ort schiessen.

Open-(L)air(m)-Cinema

Eigentlich sollte jeder Anlass irgendwann abends zu Ende sein, aber der Lärm und die Belastung enden dann längst nicht. Sie werden von den Besucher*innen auch danach noch verursacht. Diese grölen nach ein paar Tassen Glühwein in hoher Lautstärke und verlieren schnell ein Bewusstsein dafür, dass dieser Platz bewohnt ist. Über Müll zu stolpern, der vor unserer Haustür liegen bleibt, ist für mich normal, hin und wieder muss man auch Erbrochenem ausweichen. Toll! Wie kann ich da nicht noch mehr wollen?

Im Sommer nimmt das Nachtleben in der Stadt wieder zu. Aber um die umgeschmissenen Schilder und Mülleimer, die uns sonst plagen, geht es ja im Kommentar von Marcel Rohr nicht. Was im Sommer den Münsterplatz zusätzlich «belebt», ist das Open-Air-Cinema. Je nach Film kann ich auch nach 23 Uhr noch jeden Dialog in meinem Schlafzimmer mitverfolgen, vom intensiven Finale mit Drama oder Schiessereien ganz zu schweigen. Dass der Münsterplatz ab 18 Uhr zu einer «Hochburg für Schlafkappen» mutieren würde, finde ich also eine dreiste Übertreibung. Schlafen geht da nicht mehr. Vor allem, wenn man in den schlecht klimatisierten Altbauhäusern im Hochsommer noch das Fenster öffnen muss, um nicht im eigenen Schweiss zu ertrinken.

To be fair, wir Anwohnenden werden vom Allianz Cinema mit einem Apéro und Freikarten bestochen. Das Kino ist da aber eine Ausnahme. Ansonsten bekommt man maximal einen Zettel in den Briefkasten, der einen gnädigerweise vor den kommenden Events warnt. Eine Fahrt auf dem Autoscooter oder eine einzige Tasse Glühwein? Fehlanzeige.

Im Sommer ist dann noch das – endlich in Frage gestellte – Feuerwerk auf dem Rhein. Mein Hund ist mittlerweile alt und schwerhörig. Ein Segen am 31. Juli, das war immer ein Spektakel an angstbedingtem Gebelle und Gezitter. Ganz abgesehen von der Umweltdiskussion, die geführt wird, gehört dieses Schiff im Rhein versenkt. Vielleicht könnte es sich vom Wild Maa einen Ast abschneiden und den Bach runter gehen.

Auch die Bourgeoisie hat Gefühle

Beim Stadtlauf kann ich dank der Lautsprecher das Warm-Up in meiner Küche mitmachen, bei der Museumsnacht überfährt mich fast ein Bus, während dem Floss auf dem Rhein zittern die Bierflaschen in meinem Kühlschrank im Takt des Basses und bei der Fasnacht habe ich das Gefühl, die Cliquen marschieren durch mein Schlafzimmer. Das nehme ich gerne in Kauf, um an so privilegierter Lage zu wohnen, solange mir dann nicht noch vorgeworfen wird, das Leben in der Stadt abzuwürgen. Es ist unfair den Anwohner*innen die Schuld an mangelndem Leben in der Innerstadt zu geben. Ganz davon abgesehen, feiert die Stadtkirche Basels am selben Platz noch Gottesdienste, die durch Lärm und Veranstaltungen gestört werden könnten. Und dieses wunderschöne Münster soll, wenn es nach anderen geht, nicht mal mehr die Glocken nächtlich läuten dürfen. Das sich der Pro Münsterplatz Verein gegen ein solches Verbot eingesetzt hat, passt natürlich nicht ins Bild der jammernden Anwohner*innen. Lasst uns das Glockengeläute doch einfach und nehmt das JKF ins Matthäusquartier.

Voll ist's hier.

Voll ist's hier. (Foto: © Kanton Basel-Stadt: www.bs.ch/bilddatenbank)

Ich bitte also um etwas mehr Verständnis für die Anliegen der Anwohner*innenschaft, die auch Bedürfnisse hat. Wir können gerne ein Riesenrad auf dem Bruderholz aufstellen, eine Kinoleinwand ins Neubad setzen oder Demos durchs Gellert führen und auf Reaktionen warten. Die dortigen Familien würden sich genauso aufregen, wenn ihnen ständig Müll in den Vorgarten geworfen, vor die Haustür gekotzt oder Schlaf geraubt wird. Also: eine belebte Stadt, ja bitte! Aber es muss mit dem Wohnen und Leben der Anwohnenden vereinbart werden können. Denn Wohnen steht vor Feiern.

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