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Lutz/Fetz

Danke – für nichts!

Generationenübergreifend spielen sich die pensionierte Protestlerin Anita Fetz und die klimabewegte Aktivistin Pauline Lutz die Bälle zu. Anita machte letzte Woche den Aufschlag und wollte von Pauline wissen, wie die Klimajugend die Alphamännchen weg von den Mikrofonen gekriegt hat. Pauline hat sich ein bisschen aufgeregt.

10/27/20, 04:00 AM

Aktualisiert 10/27/20, 08:39 AM

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(Foto: zvg)

Liebe Anita

Als ich die Parole «Freie Sicht aufs Mittelmeer» gelesen habe, habe ich kurz aufgeblickt und durch mein ungeputztes Fenster den grossen, teuren, grauen Neubaublock gegenüber angeschaut. Freie Sicht aufs Mittelmeer, der Luxusblock lässt grüssen. Solche ironischen Forderungen würde ich heute ablehnen. Es ist mir und auch vielen anderen Klimastreikenden immens wichtig, ernst genommen zu werden und ja nicht in die Kleine-Wütende-Kinder-Schublade gesteckt zu werden. So wichtig, dass ich als Ausgleich manchmal den Drang habe, mich aus Wut über die Welt auf den Boden zu schmeissen und ein bisschen zu «täubele». Aber auch das geht wieder weg.

Bemerkung am Rande: Ich muss mich immer wieder korrigieren und jedes Wir zu einem Ich umschreiben. Tatsächlich haben wir das intern so abgemacht: In der Öffentlichkeit sprechen darf nur, wer sich als Einzelperson bekennt. Kein «Gesicht des Klimastreiks», keine Anführer*innen, keine «Stimmen des Klimastreiks». Das «Wir» des Klimastreiks existiert nur, wenn unsere Forderungen ausgesprochen werden: Wir fordern Netto Null Treibhausgasemissionen bis 2030, den nationalen Klimanotstand und Klimagerechtigkeit.

«Ich will ernst genommen und nicht in die Kleine-Wütende-Kinder-Schublade gesteckt werden.»

Als Klimastreikerin stecke ich oft in der Zwickmühle von Realpolitik und Utopie (freie Sicht aufs Mittelmeer). Wie sehr will ich mich in die tägliche Realpolitik einmischen, wie wichtig ist der einfache Druck der Strasse. Da bekomme ich von aussen wie auch von anderen in der Bewegung täglich gut gemeinte Ratschläge: Mehr/weniger Initiativen unterstützen, mehr/weniger in die Parlamente, mehr Medienauftritte, weniger Medienauftritte, andere Medienauftritte, mehr/weniger Antikapitalismus, mehr/weniger auf die Strasse, mehr/weniger nette Schülerinnen sein, mehr/weniger Auf-Den-Tisch-Hauen, mehr/weniger Gespräche mit Politiker*innen und bald geht mir die Luft zum Schreiben aus.

Ich könnte ewig weitermachen und würde, wenn ich alles befolgen würde, wohl nicht wirklich gesund leben. Junge Frauen in der Öffentlichkeit scheinen ein Schild mit sich herumzutragen mit der Aufschrift «Ich weiss nicht weiter, bitte hilf mir». Mir hat einmal ein Journalist in einem Atemzug versucht klar zu machen, dass wir jungen Klimastreikenden doch nicht so viel am Handy sein sollen, weil das ein schlechtes Bild mache, aber doch bitte schneller abnehmen sollten, wenn er anrufe, denn wir seien schrecklich schlecht erreichbar.

«Junge Frauen in der Öffentlichkeit scheinen ein Schild mit sich herumzutragen mit der Aufschrift ‹Ich weiss nicht weiter, bitte hilf mir›.»

Tatsächlich schallt mir diese praktische Sammlung an Tipps & Tricks auch intern entgegen, oftmals von Männern, die mir dann versuchen, die Welt zu erklären. Und natürlich haben wir das noch! Die Alleschecker, die nach dem Mikrofon lechzen, die Medien-Sunnyboys, die als Referenzperson Interviews nicht weitergeben, sondern sich die Interessantesten und Grössten selber rauspicken. Oft sind sie vielleicht ein kleines bisschen subtiler als vor vierzig Jahren, weil sie schon verstanden haben, dass Machotum irgendwie out ist, aber so schnell werden wir dieses Problem wohl nicht los. 

Wenn früher die politischen Protestbewegungen zu Dreivierteln aus Männern bestand, tut mir das im Nachhinein vor allem leid für alle Beteiligten. Ich stelle mir das schrecklich vor. Aktuell zeigt die Black-Lives-Matter-Bewegung in den USA: Auch der Klimastreik hat ein grosses Diversitätsproblem. Wir sind fast ausnahmslos weiss und ohne Migrationshintergrund.

Lange war ich mir dieses Privilegs nicht bewusst, doch ich muss keine Angst haben, auf der Strasse angehalten und kontrolliert zu werden, ich muss keine Angst davor haben, einen Job oder eine Wohnung wegen meines Namens nicht zu bekommen, ich werde in der Öffentlichkeit nicht aufgrund meiner Herkunft beschimpft, mir wird nicht ungefragt in die Haare gefasst, in Interviews wird nicht nach meiner Herkunft gefragt und ich werde nicht öffentlich aufgrund meiner Hautfarbe diskreditiert. Viele von uns weissen Klimastreikenden haben das lange nicht verstanden und beginnen jetzt erst damit, langsam zu verstehen versuchen. 

Wir haben auch ein Diversitätsproblem.

Zum Schluss muss ich mich jetzt noch ein bisschen nerven: Etwas an deinem Brief regt mich nämlich auf. Es regt mich bei vielen von euch Alt-Bewegten immer wieder auf. Und zwar das Danke. Schon richtig im Jugendslang denken sich jetzt vielleicht die Lesenden: WTF, jetzt nerven sich diese Jugendlichen schon über ein simples Danke?! Aber so ein Danke kann echt etwas Gutväterliches und leicht Herablassendes haben: Ach gut, jetzt kommen ja die Jungen, die machen das irgendwie viel besser als wir, die retten jetzt für uns die Welt. Danke, macht ihr endlich mal was! 

Und die Klimajugend als Hoffnungsträgerin – diese Funktion nimmt sie irgendwie auch nur für die Alten ein. Wir selber sind nämlich manchmal ganz schön hoffnungslos und fast schon zynisch angesichst der Zukunft der Umweltpolitik und irgendwie ist das doch verkehrte Welt: Zynische Junge und hoffnungsvolle Alte, das muss echt nicht sein.

Antwortet mit herzlichen Grüssen,

Pauline Lutz

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Pauline Lutz (2002) engagiert sich bei der Basler Klimajugend und studiert internationale Beziehungen in Genf. Anita Fetz (1957) ist Kleinunternehmerin und ehemalige SP-Ständerätin.

Anitas Frage kannst du hier bei Bajour nachlesen.

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