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Gärngschee

Rocky und Karl haben überlebt

Ein Sturm im Juli änderte Rocky und Karls Leben. Ein Baum stürzte auf das Dach ihres Hauses und zerstörte in Sekunden ihr Zuhause. Wie zwei Freunde auseinandergerissen wurden und am Schluss dank Gärngschee alles wieder gut kam.

10/11/22, 03:00 AM

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Ein bunter Strauss aus vielen Vögeln in einem Bild.

Ein bunter Strauss aus vielen Vögeln in einem Bild. (Foto: Florian Scheller)

Am späten Nachmittag des 20. Juli 2022, färbte sich der Himmel über Basel schwarz. Das bemerkten auch Rocky und Karl, zwei Wellensittiche im Breite-Quartier. Kurze Zeit später öffneten sich die Schleusen am Himmel. Windböen, Starkregen, gefolgt von Hagelkörnern in der Grösse von Ping-Pong-Bällen. 

Die zerstörerischen Kräfte erwiesen sich als zu viel für den alten Baum in der Breite. Er fiel auf die Voliere von Thomas Ammann. Dem beschaulichen Zuhause von Rocky, Karl und knapp 60 weiteren Vögeln – Wellensittiche, Zebrafinken, Diamanttauben, Singsittiche, Nymphensittiche und Chinesische Zwergwachteln –, die alle friedlich miteinander im grossen Vogelkäfig wohnten. 

Rocky erwischte es schwer beim Einsturz des Dachs. Fliegen konnte er nicht mehr, ein Flügel hatte sich eingeklemmt. Viele Besitzer*innen hätten ihn in diesem Zustand wohl zur Ruhe gelegt. Doch Thomas kennt all seine Vögel und wusste, Rocky ist ein Kämpfer. Er wollte ihn nicht aufgeben. Ein bisschen Zeit, ein bisschen Pflege und viel Liebe später und die gefiederte Schönheit fliegt wieder. Ein kleines Wunder. 

Rocky wird seinem Namen gerecht.

Rocky wird seinem Namen gerecht. (Foto: Florian Scheller)

Karl hatte mehr Glück. Er konnte mit knapp 20 weiteren Vögeln vor dem einstürzenden Dach fliehen. Kein Wunder sprach sich in den Gärngschee Kommentarspalten auf Facebook in den Tagen nach dem Sturm herum, dass sich in Basel und der Region die Sichtungen von Wellensittichen und anderen exotischen Vögeln häuften. Karl fand aber nicht so schnell zurück zu seinem Freund Rocky.

Dafür brauchte er die Hilfe der Gärngschee-Community und besonders jene von Alexandra Tobler. Als sie Anfang September mit einem Freund in Allschwil am Muesmattweg im Altersheim trainierte, hörte sie ein Zwitschern im Gebüsch. Da sie selbst Wellensittiche hält, erkannte sie die Laute sofort. 

Das Einfangen erwies sich jedoch als grosse Herausforderung, auch weil eine Katze den nichtsahnenden Karl als einfache Beute entdeckt hatte. «Ich redete eineinhalb Stunden auf ihn ein, bis er so nahe kam, dass ich ihn mit meinem Netz einfangen konnte», erzählt Alexandra Tobler. Zum Glück konnte sie Karl überzeugen.

Zuhause angekommen, meldete sie das verlorene Tier umgehend bei der Schweizerischen Tiermeldezentrale (stmz) und in unserer Gärngsche-Community auf Facebook. Dort erfuhr sie von den vielen Wellensittich-Sichtungen in der Region. 

Karl hat ein neues Zuhause gefunden.

Karl hat ein neues Zuhause gefunden. (Foto: Alexandra Tobler)

Die hilfsbereite Gärngschee-Community kommentierte fleissig, tauschte Ratschläge aus und bot dem armen Karl Asyl an. Schlussendlich fand Alexandra Tobler Karls Besitzer Thomas Ammann. 

«Als ich die Kontaktdaten von Thomas bekam, rief ich an, um die Rückgabe zu besprechen. Wir telefonierten lange und ich erfuhr, weshalb der weisse Wellensittich entkam», erzählt Alexandra. Am Ende des Telefonats stand fest, dass sie den Piepmatz behalten darf. «Karl freundet sich grad mit meinen anderen Wellensittichen Emma, Paula, Pino und Mozart an», schreibt Alexandra Tage später überglücklich auf Gärngschee.

Fast nichts mehr übrig

Bajour besucht Thomas Ammann in seiner Parzelle, denn der Sturm am 20. Juli zerstörte fast alles, was für ihn seit mehr als 35 Jahren ein wichtiger Bestandteil seines Lebens ist. 

«Das ist hier die Galgenhügelpromenade. Oberhalb wurden früher die Menschen erhängt», sagt Thomas zurückhaltend. Eingeschlossen zwischen Wasser, Böschung und Wald liegen auf einer kleinen Lichtung seine Voliere, das Häuschen mit dem Garten seiner Mutter und drei weitere Hütten anderer Pächter*innen. «Ich will meine Pension hier verbringen”, sagt der heute 38-jährige Velomechaniker und Besitzer von Velo Ammann, einem Fahrradgeschäft an der Burgfelderstrasse.

Thomas und seine Mutter vor ihrer kleinen Oase.

Thomas und seine Mutter vor ihrer kleinen Oase. (Foto: Florian Scheller)

«Auch mein Vater träumte davon, seine besten Jahre hier zu verbringen. Geniessen konnte er es leider nicht mehr.» Als Thomas Vater mit 65 in Pension ging, fand man eine seltene Hirnkrankheit bei ihm. 2019, vier Jahre später, schlief er ein letztes Mal friedlich ein. Seither wird dieser Ort im Andenken von Mutter und Sohn mit Leben gefüllt. 

Besuch am Ground Zero

Zur Voliere müssen wir die Lichtung durchqueren, auf dem Weg kommt uns seine Mutter Sonja mit vollen Händen entgegen. Frisch geerntete Rüebli – die Erde klebt noch an einigen Stellen. Thomas erzählt: «Wir verbringen viel Zeit hier. Jeden zweiten Tag komme ich nach der Arbeit hierher. Am Wochenende bin ich eigentlich den ganzen Tag da.» 

Am anderen Ende der grünen Oase stehen wir vor der Voliere. Häuschen wäre dafür vielleicht die bessere Bezeichnung, denn sie misst ganze 18 Quadratmeter. Der Strom für den Wasserfall im Sommer, die Heizung im Winter und die Lichtanlage im Dunkeln liefert die Solaranlage auf dem Dach. 

Thomas hat alles selber aufgebaut. «Mir ist wichtig, dass die Vögel genügend Platz haben.» Dass sich die gefiederten Freunde wohl in ihrem Zuhause fühlen, liesse sich auch am ausgeprägten Fortpflanzungswillen festmachen, obwohl er explizit keine Vogelzucht betreibt.

Durch den Sturm verlor Thomas ein Drittel seiner gefiederten Freunde: «Es waren mal 60 Vögel. Aufgrund des Einsturz sind es jetzt noch 40.» 

Im Gehege ist es am Anfang hektisch, es piepst und es flattert in jeder Ecke. Die rasche Bewegung beim Griff zum Handy, um ein Bild zu schiessen, schreckt die Vögel auf. Eine Explosion aus Federn, Farben und Zwitschern füllt die Voliere. Nach einigen Sekunden beruhigt sich der Schwarm. 

Thomas Ammann bewegt sich ruhig, bedacht, mit langsamen und fliessenden Bewegungen. «Die Vögel geben mir Ruhe und Entspannung, genau das Richtige nach einem langen hektischen Arbeitstag», sagt er nachdenklich auf seine Vögel blickend. «Für mich ist das, was ich hier habe, ein Traum. Mein kleines Paradies.» Thomas ist stolz auf das Erbaute, das merkt man mit jedem Wort. Er lässt auch andere bereitwillig daran teilhaben. «Es kommen regelmässig Kinder aus der Kita oder dem Waisenhaus vorbei. Dann dürfen sie grüppchenweise ins Gehege und die Vögel von Nahem bestaunen.» 

Jetzt wo sich der Sturm gelegt hat, das Zerstörte wieder aufgebaut ist die Narben fast verheilt sind, zwitschern Roxy und Karl wieder aus voller Kehlen ihre Lieder. Es geht den beiden gut, auch wenn sie nicht mehr zusammen unter einem Dach leben. Hauptsache es hält.  

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