Asylzentrum Bässlergut: Kakerlaken im Bett, Ratten im Gang und Trinkwasser aus den Toiletten
Die Klagen über die Lebensumstände im Asylzentrum beim Bässlergut sind dem Migrationsamt bekannt. Aber kein Grund, etwas zu unternehmen.
Wir spazieren mit Merve G.* (Name der Redaktion bekannt) den Riehenring entlang. Auf türkisch spricht er in das Aufnahmegerät, ein Bekannter übersetzt. Es ist Ende Januar. Der rekordwarme Winter fühlt sich kühl an. Einige Meter vor uns läuft ein kurdisches Mädchen mit uns mit. Merve hatte sie ins Unispital begleitet. Sie hatte starke Zahnschmerzen.
Wir müssen uns beeilen. Bald ist es 17 Uhr. Zapfenstreich für die Asylbewerber. Beide müssen dann zurück in der Unterkunft sein. Ich nütze die Gelegenheit, um mit ihm über die hygienischen Zustände zu sprechen, die angeblich im Bundesasylzentrum Bässlergut (BAZ) herrschen. Das Thema ist mir in den letzten Monaten mehrmals zugetragen worden und von verschiedenen Seiten her begegnet.
Merve legt los
«Die Toiletten stinken, sind oft verstopft und dreckig, da 250 Menschen sich 20 Hocktoiletten teilen», sagt er. «Duschen gibt es acht für Männer und acht für Frauen und Kinder. Bei uns funktioniert nur bei fünfen das warme Wasser. Und nur zwei haben einen intakten Duschvorhang. Die anderen Duschvorhänge sind zerrissen und kaputt, so dass man beim Duschen gesehen wird. Es gibt jeweils lange Schlangen für diese intakten Duschen.» Merve erzählt uns, dass sie ihre Wasserflaschen bei den Lavabos der Toiletten auffüllen müssen. Denn es gebe nur ein einziges funktionierendes Lavabo. Darin schwämmen allerdings oft Kakerlaken.
Während er erzählt und ins Tonband spricht, überqueren wir die Velobrücke. Mich schüttelts vor Ekel. Unten plätschert die Wiese schnurgerade vorbei. «Bei den Frauen ist es dasselbe, etwa drei oder vier der Duschen funktionieren nicht. Ausserdem haben die Kinder Angst vor diesen Duschen», erzählt Merve. «Sie sind kalt, schäbig und heruntergekommen.»
Merve floh vor 3 Monaten aus Istanbul. Als Sozialist droht ihm eine Haftstrafe von sieben Jahren. Ein Verfahren sei gegen ihn hängig. Er wurde mehrere Male festgenommen und durfte zwei Jahre nicht aus dem Land ausreisen. Als sein Ausreiseverbot aufgehoben wurde, floh er nach Griechenland – unter dem Vorwand, am Geburtstag Atatürks dessen Haus in Thessaloniki besuchen zu wollen. Von Griechenland aus ging es weiter in die Schweiz.
«Und habt ihr wirklich Ratten?», frage ich ihn nach dem Gerücht, dass mir von Bekannten zugetragen wurde. «Ich sehe fast täglich welche im Gang», bestätigt er.
Kakerlaken filmen verboten
Was schwer vorstellbar ist, scheint Realität im Bundesasylzentrum zu sein. Auch ein anderer Geflüchteter, den wir im Anschluss befragen, um Merves Aussagen zu überprüfen, erzählt von prekärsten hygienischen Verhältnissen. Kakerlaken seien Dauergast in seinem Zimmer und oft habe er schon Exemplare in seinem Bett vorgefunden. Er bestätigt, dass er seine Wasserflasche regelmässig in der Toilette auffülle und dass das Essen ebenso eintönig wie knapp sei. Nur Ratten habe er noch keine gesehen. Aber sein Zimmer liege im zweiten Stock. Vielleicht sei das der Grund.
Von Ungeziefer will man beim zuständigen Staatssekretariat für Migration nichts wissen. Mit den Vorwürfen konfrontiert, sagt Sprecher Lukas Rieder: «Wie überall wird der Kammerjäger aufgeboten, sollte tatsächlich irgendwo im BAZ Ungeziefer festgestellt werden.» Soll er doch hier wohnen, wenn alles gut ist, denke ich mir.
Die gleiche Aussage des Pressesprechers konnte inzwischen auch in der «Basler Zeitung» nachgelesen werden. Dort und in der «bz» erschienen inzwischen Artikel über andere Asylbewerber, welche gegen die prekären Zustände in der Unterkunft protestieren. Bezeichnend in Rieders Aussage ist der Konjunktiv. «Sollte» ein Asylbewerber Kakerlaken sehen, ist das zunächst offenbar erst eine Behauptung, die es zu überprüfen gilt.
Die Erbringung des Beweises ist gar nicht so einfach. Aus irgendwelchen Gründen ist es verboten, im Asylheim zu fotografieren. Man fragt sich, warum? Falls das Amt einen Beleg sucht, dass es langsam doch einen Kammerjäger braucht, kann es sich dieses (illegal gefilmte) Handyvideo aus dem Bässlergut anschauen. Hier ist fröhlich kreuchendes Ungeziefer zu sehen, dass gleich neben dem Brotkorb herumkrabbelt. Den Kakerlaken ist das Fotoverbot egal. Sie rennen unregistriert durchs Heim, ohne Pass, ohne Bewilligung.
Den Kindern bleibt nichts erspart
Wir sind mit Merve inzwischen auf Höhe des ehemaligen Gefängnis Bässlergut angekommen. Wo das alte Zuchthaus stand, ist jetzt ein eingezäuntes Feld aus Matsch. Dahinter steht der neue Betonkasten: Hohe, glatte Wände. Mehrere Meter Maschendraht schliessen weit über der Mauer den Käfig ab. Graue, hoch aufragende Scheinwerfer stechen hervor und an den Wänden beäugen seitlich gerichtete Kameras die leere Szenerie. Ich erinnere mich, wie ich als Gymnasiastin hier um die Gefängnismauern lief, wenn ich in die Lange Erlen joggen ging. Es sieht hier vieles anders aus als damals. Geblieben ist, dass die Schweiz an diesem Stück Grenze zu Deutschland mit einem Gefängnis beginnt. Während ich mit Merve dem Einschlusstermin um 17 Uhr entgegen stapfe, holt er noch einmal aus.
«Was ich kritisiere, ist, dass im Asylheim nicht einmal dass «D» der Schweizer Demokratie vorkommt. Am Freitag vor drei Wochen kamen 30 Polizist*innen herein gestürmt, ein Polizist lief schwer bewaffnet vor den Kindern herum. Sie zogen einem Mann Handschellen an. Er schrie. Sie haben seine Kappe heruntergenommen und seinen Mund damit zugestopft, damit er nicht mehr schreien kann. Er stand unter Diebstahlverdacht.»
«Ich denke, vor allem für die Kinder ist es schädlich hier», sagt Merve noch. Wir schweigen.
Merve geht rein
Der rote Neubau ist ein Bürogebäude des Staatssekretariats für Migration. Dahinter steht ein kleines, graues Gebäude mit halb kaputten, herunterhängenden Fensterläden. Wir sind da. Dies ist das Basler Bundesasylzentrum. Was für mich und die meisten bis jetzt nach abstrakter Flüchtlingsproblematik klang, wird hier konkret. 250 Asylbewerber*innen warten in diesem Gebäude für je sechs Monate auf einen positiven oder negativen Asylbescheid und auf ihr Schicksal.
Wir stehen auf dem Vorplatz vor dem Eingang und lassen die letzten Minuten verstreichen. Hinter der Glastüre wartet Aufsichtspersonal und mustert uns zurück. Ein befreundeter Asylsuchender Merves begrüsst uns auf türkisch und sie sprechen miteinander. Nach einer Weile gehen die beiden hinein. Wir stellen uns ans Fenster und schauen der Personenkontrolle zu.
Der Rucksack von Merves Freund wird vom Sicherheits-Angestellten aufgemacht. Das Zentrum wird von der Firma ORS privatwirtschaftlich betrieben. ORS fiel in der Vergangenheit, etwa als Betreiberin einer Asylunterkunft in Aesch, negativ auf. Die Untersuchung des Rucksacks verläuft routiniert und mit freundlich reibungsloser Bestimmtheit. Probleme mit dem Sicherheitspersonal habe es bis jetzt kaum gegeben, hat uns Merve vorher noch erklärt. Man habe einen guten Umgang miteinander. Wenn schon, dann mangle es eher an Aufsicht. Das Miteinander sei bei 250 Menschen auf engstem Raum nicht immer einfach.
Der Sicherheitsbeamte hebt eine Sprite-Dose heraus. Essen und Trinken darf nicht mit hineingenommen werden. Aus welchem Grund auch immer. Merve geht in den Nebenraum und trinkt aus. Wie bei einem Festival, denke ich, wenn ich die Vorstellung von verschmutzten Toiletten und Duschen mit lange Schlangen mit eigenen Erfahrungen vergleiche. Nur ist das hier kein dreitägiger, freiwilliger Event mit musikalischem Unterhaltungsprogramm.
Maximales Misstrauen
Seit meinem Gespräch mit Merve sind rund drei Wochen vergangen. Ich frage mich, ob das Migrationsamt jetzt, nachdem in der «Basler Zeitung» und in der «bz» Artikel erschienen sind, doch endlich einen Kammerjäger aufbietet. Was könnte es denn noch brauchen?
Aber eigentlich wunder ich mich, weshalb das zuständige Staatssekretariat den Schilderungen der Asylbewerber offenbar so grundsätzlich keinen Glauben schenkt. Eine Behörde, die für die banale Überprüfung der Frage, ob es Kakerlaken in der Unterkunft hat, mobilisierte Medien und einen Videobeweis braucht, bringt den anvertrauten Flüchtlingen das maximale Misstrauen entgegen. Schwierige Umstände für ein gerechtes Asylverfahren. Viel Glück, Merve. Du wirst es brauchen.
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Als serviceorientiertes Medienprojekt legt Bajour einen Link zu verschiedenen Basler Kammerjägern bei.
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