Bringt eine Pregabalin-Abgabe Ruhe auf die Dreirosenanlage?
Basel denkt über eine kontrollierte Abgabe des Medikaments Pregabalin nach, dessen Konsum bei Menschen aus Maghreb-Staaten stark verbreitet ist. Damit soll der Beschaffungsstress gemindert werden. Es gibt aber noch viele Fragezeichen.
Sie halten die Gegend rund um die Dreirosenanlage in Atem: Junge Männer aus dem Maghreb, die mit ihrem zum Teil aggressiven Verhalten auffallen. Es wird gestohlen und gepöbelt, es werden Drogen verkauft und konsumiert. Einige Massnahmen hat die Stadt bereits ergriffen, um die Situation zu verbessern; so hat beispielsweise die Polizei im Sommer eine Schwerpunktaktion mit überdurchschnittlich vielen Kontrollen durchgeführt, aber auch die Anzahl Ranger*innen, die für Ruhe und Ordnung sorgen sollen, wurde aufgestockt.
Die Evaluation der bisherigen Massnahmen ist noch nicht publik, da beschäftigt sich der Kanton Basel-Stadt bereits mit einer weiteren, neuen Massnahme, die dem Unteren Kleinbasel zugutekommen könnte: Eine kontrollierte Abgabe des Medikaments Pregabalin, welches insbesondere in Algerien konsumiert wird und stark süchtig macht. Das zum Teil aggressive Verhalten der Pregabalin-Konsumenten ist denn auch mit dem Entzug, dem sogenannten Craving, zu erklären, welcher bei diesem Medikament besonders stark ist.
Aus Nordafrika kommend, wo das Medikament rezeptfrei erhältlich ist, reisen die Migrant*innen meist bereits mit einer Abhängigkeit in die Schweiz ein. Manche überqueren die Grenze in Saint-Louis und vertreiben sich am Rheinknie ohne geregelten Aufenthaltsstatus die Zeit. Andere durchlaufen in Bundesasylzentren (BAZ) wie jenem in Basel ihr Asylverfahren; die Anerkennungsquote bei Menschen aus dem Maghreb liegt in der Schweiz allerdings nur bei etwa einem Prozent; viele tauchen nach einem negativen Entscheid unter.
Mit einer regulierten Abgabe von Pregabalin, welches in der Medizin zur Therapie von Epilepsie oder gegen Angststörungen eingesetzt wird, könnte zumindest der Beschaffungsstress gemindert werden, so die Hoffnung. Eine Abgabe würde aber auch bedeuten, dass man diese Menschen als Süchtige anerkennt, die in Europa ohne Perspektiven gestrandet sind. Dies würde nicht zuletzt den Blick auf die Problematik schärfen.
Viele Fragen offen
Anne Tschudin, Kommunikationschefin beim Gesundheitsdepartement, bestätigt auf Nachfrage von Bajour, «dass eine Auslegeordnung aus verschiedenen Sichtweisen stattgefunden hat». So hat es auch einen Austausch mit jener Zürcher Organisation gegeben, die im Rückkehrzentrum (RKZ) in Urdorf bereits seit Herbst 2023 eine solche Abgabe durchführt und demnach über die nötige Erfahrung verfügt. Konkret: mit dem Zentrum für Suchtmedizin, Arud.
Die Auswertung nach gut einem Jahr sei positiv, sagt der dort zuständige Arzt Tibor Rasovszky zu Bajour. Man gebe Pregabalin täglich und in einer Dosis von maximal 900 mg ab, wodurch das Risiko, dass das Medikament zum Dealen missbraucht werde, reduziert würde. «Wir konnten Ruhe ins Zentrum bringen», führt Rasovszky weiter aus. Früher habe es Schlägereien gegeben und aufgrund des Medikamentenmissbrauchs (zum Teil werden bis zu 2000 mg eingenommen) sei es zu Deliriumszuständen gekommen, also zu medizinischen Notfällen. «Solche Notfälle versuchen wir durch eine kontrollierte Abgabe zu verhindern.» Es gehe um Schadensminderung.
«Wir konnten Ruhe ins Zentrum bringen.»Tibor Rasovszky, Leitender Arzt Psychiatrie, im Zürcher Zentrum für Suchtmedizin (Arud)
Rasovszky ist sich bewusst, dass es sich im RKZ um einen speziellen Ausschnitt von Menschen handelt: um abgewiesene Asylsuchende, die oftmals bereits aus ihrem Ursprungsland eine Sucht mitbringen würden. Weil das Rückkehrzentrum in Urdorf mitten im Nirgendwo liege, verringere sich indes das Risiko einer Szenebildung.
Darin unterscheidet sich die Zürcher Situation von jener in Basel, wo es keine Rückkehrzentren gibt, sondern Notschlafstellen, in denen auch abgewiesene Asylsuchende, die Nothilfe beziehen, übernachten. Und wo die Grenzen zu Deutschland und Frankreich nahe sind. Aus all diesen Gründen wäre die Zielgruppe hier weniger leicht einzugrenzen. Das wissen auch die Basler Behörden. So seien noch viele Fragen offen, wie Tschudin einräumt.
Kommt hinzu, dass Pregabalin in Basel «kaum als Hauptproblemsubstanz genannt» werde und auch hier nur eine begrenzte Gruppe betreffe. Tschudin sagt: «Kokain/Crack, Cannabis oder Opioide werden von ungleich mehr Menschen konsumiert. Bei diesen Themen haben wir deshalb im Moment auch die Ressourcen angesiedelt, gemeinsam mit Partnerorganisationen.»
Ein politischer Entscheid
Am Ende dürfte es ein politischer Entscheid sein, der über die Realisierung des Vorhabens bestimmt, ist sich die Medizin doch weitgehend einig, dass eine Abgabe machbar wäre. Das bestätigt auch Marc Vogel, Chefarzt Zentrum für Abhängigkeitserkrankungen an den Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel (UPK): «Es gibt zwar keine Studien, die klinischen Erfahrungen damit sind aber gut.»
Die Knacknuss scheint dabei vor allem das «Wo» zu sein: Wo soll das Pregabalin abgegeben werden? Infrage kommt beispielsweise eine Abgabe durch Apotheken. Diese seien einem solchen Versuch gegenüber nicht abgeneigt, wie die Präsidentin des Basler Apotheken-Verbands, Lydia Isler-Christ, schreibt: «Prinzipiell sind wir offen zur Abgabe von suchterregenden Substanzen. Wir haben mit verschiedenen Substanzen auch bereits Erfahrung. So wird Methadon schon seit Jahrzehnten kontrolliert abgegeben, daneben noch viele weitere Wirkstoffe.»
«Es gibt zwar keine Studien, die klinischen Erfahrungen damit sind aber gut.»Marc Vogel, Chefarzt im Zentrum für Abhängigkeitserkrankungen an den Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel (UPK)
Auch das Bundesasylzentrum wurde in Gesprächen als mögliche Option für eine Pregabalin-Abgabe genannt, doch die Verantwortlichen beim Staatssekretariat für Migration (SEM) brechen darob nicht in Begeisterung aus. Im Gegenteil. Gemäss Verschreibungspraxis wird in Absprache mit den zuständigen Ärzt*innen seit 2018 während des Aufenthalts in den Bundesasylzentren nämlich kein Pregabalin mehr abgegeben (ausser aus spezifischen medizinischen Gründen). Dies, nachdem die Abhängigkeit der Asylsuchenden die Betreuung, Sicherheit und die medizinischen Behandlungsteams vor enorme Herausforderungen gestellt hatte. Zur Linderung von Entzugssymptomen werden seither Substitute angeboten.
Bei einem Gespräch im Basler BAZ kurz vor der Grenze zu Weil am Rhein schildern SEM-Verantwortliche gegenüber Bajour ihre Erfahrungen, die zum Entscheid einer Nicht-Abgabe führten. Es sei teilweise zu dramatischen Szenen gekommen, bei denen sich Süchtige vor der Tür des Bundesasylzentrums «die Arme aufgeschnitten» hätten. Eine traumatische Erfahrung auch für die Asylsuchenden mit Kindern, die in dem Zentrum lebten.
Die grössere Durchmischung in den Bundesasylzentren – hier kommen alle Menschen an, die ein Asylgesuch stellen – ist denn auch der wohl relevanteste Unterschied zum Rückkehrzentrum in Urdorf, wo sich in und um das Zentrum herum nur Menschen aufhalten, deren Gesuch abgelehnt wurde. Und dazu gehören in der Regel auch die jungen Männer aus dem Maghreb.
Wie SEM-Sprecher Reto Kormann sagt, verstehe es sich von selbst, dass «wir, welche die Abgabe von Pregabalin bei unseren Klienten nicht empfehlen, nicht ausgerechnet zu jener Stelle in Basel werden möchten, welche Pregabalin abgibt». Ausserdem fürchtet das SEM, durch eine kontrollierte Abgabe im Bundesasylzentrum falsche Anreize zu setzen. Zustände wie vor 2018 wolle man nicht mehr.
Es dürfte also wohl noch eine Weile dauern, bis die offenen Fragen geklärt sind. Mit ein klein bisschen innovativem Geist, der im progressiven Basel zur Genüge vorhanden ist, sollte das aber machbar sein.