Grosser Frust auf grossen Traktoren

Die Bauernproteste sind in die Schweiz übergeschwappt. Getragen werden sie in seltener Einigkeit von Demeter-Landwirt*innen bis zu agrarindustriellen Betrieben. Warum? Eine Spurensuche in und um Bern von unseren Kolleg*innen der Hauptstadt.

Traktor
Aktuell gibts Stunk statt Blumen.
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Das ist ein Artikel der Hauptstadt. Das konzernunabhängige Lokalmedium schreibt über die Geschehnisse in und um Bern.

Wenn es um Landwirtschaft geht, fühlt sich beinahe jeder und jede als Expert*in. Immerhin essen wir alle Rüebli und manche auch Schwinigs. Wir mögen beim Wandern blühende Magerwiesen.

Und, was wirklich zählt: Wir zahlen Steuern. Wir zahlen Steuern, von denen die Bäuerinnen und Bauern einen gar nicht so kleinen Anteil in Form von Direktzahlungen und Subventionen erhalten. Warum mucken sie jetzt auf? Warum gehen sie mit ihren grossen Traktoren auf die Strassen und treffen sich im Emmental, im Oberland oder im Seeland zu Mahnwachen?

Um das besser zu verstehen, hat die «Hauptstadt» mit einem Demeter-Bauern, einem grünen Parlamentarier und einem Agrarhistoriker gesprochen.

Philipp Zaugg, Geschäftsleiter des Biohofs Zaugg in Iffwil, sagt: «Zuerst wollte ich nicht an die Mahnwache nach Kerzers gehen, die Initiative kam ja von quasi industriellen Betrieben. Aber dann musste ich mir sagen: Was sie fordern, sage ich schon lange: Wir Bauern möchten bessere Planbarkeit, höhere Produktepreise, weniger Bürokratie, mehr Wertschätzung. Warum sollte ich nicht gehen?»

Kilian Baumann, Präsident der Kleinbauernvereinigung und grüner Nationalrat, sagt: «Die Politik der so genannten bäuerlichen Vertreter*innen kommt nicht der Mehrheit der Bauern zugute, sondern den vor- und nachgelagerten Konzernen.»

Peter Moser, Leiter des Archivs für Agrargeschichte, sagt: «Die Agrarpolitik ist deshalb in eine Sackgasse geraten, weil man seit den 1990er-Jahren davon ausgeht, dass sich Ökonomie und Ökologie trennen lassen und unterschiedlich reguliert werden können. Das geht politisch, aber in der agrarischen Praxis funktioniert das nicht, weil sich Produktion und Ökologie gar nicht trennen lassen. Denn in der Landwirtschaft werden Tiere und Pflanzen genutzt, also lebende Ressourcen, die im Produktionsprozess reproduziert werden.»

«Luft ist bald ganz draussen»

Über 400 Traktoren kamen vor gut einer Woche in Kerzers zusammen. Es war die grösste bisherige Mahnwache in der Deutschschweiz. Philipp Zaugg fuhr gemeinsam mit zwei anderen von seinem Betrieb auf drei Traktoren nach Kerzers. Dort gab es auch eine Ansprache des SVP-Grossrats Martin Schlup. Politisch nicht Zauggs Linie: «Ich war positiv überrascht, wie er das rüberbrachte. Er sagte Dinge, hinter denen ich auch stehen kann.»Natur vs. KulturStreitpunkt ökologische Auflagen

Philipp Zaugg leitet einen Betrieb, der vor allem Gemüse für die Direktvermarktung herstellt. Die Produktionskosten seien massiv gestiegen in den letzten Jahren, sagt er, gleichzeitig hätten sich die Preise, die er für seine Produkte erzielt, fast gar nicht verändert. «Es war vorher schon eng, aber jetzt ist die Luft bald ganz draussen.»

Dazu muss man wissen: Man wird nicht Landwirt*in, um reich zu werden. Die Wochenarbeitszeit beträgt 52,25 Stunden, der Lohn bewegt sich zwischen 3400 Franken (für landwirtschaftliche Hilfsarbeiter*innen) über etwa 4000 Franken (für Ausgebildete mit Erfahrung) bis maximal etwa 6000 Franken (für leitende Funktionen).

Natürlich gibt es jene Bäuer*innen, die den Hof zum Ertragswert von den Eltern gekauft haben. Aber auch sie müssen für Einkommen sorgen. 79’700 Franken erwirtschaftete ein Hof im Jahr 2022 im Durchschnitt, pro Vollzeitarbeitskraft waren es 56’100 Franken. Viele Landwirt*innen zahlen keine Miete, da das Wohnhaus zum Hof gehört. Es gibt arbeitsintensive Landwirtschaft, etwa Gemüseanbau oder Milchwirtschaft. Es gibt weniger aufwändige Sektoren wie etwa Mutterkuhhaltung oder Dauerwiesen. Und die Gewinne, die sich in diesen Sektoren machen lassen, unterscheiden sich wiederum und sind auch polit- und wetterbedingten Schwankungen ausgesetzt.

Jede Ausgangslage ist anders, jeder Betrieb ist anders, das macht es so kompliziert.

Natur vs. Kultur



Der Berner Agrarhistoriker Peter Moser sieht trotzdem Gemeinsamkeiten. «Bauern und Bäuerinnen erfahren im Alltag, dass etwas im Umgang mit der Landwirtschaft nicht stimmt.» Für den Historiker wurzeln die Probleme in den 1990er-Jahren, als die alte, seit dem Ersten Weltkrieg geltende Ordnung durch ein neues Regime abgelöst wurde. Zuvor ging es um die Sicherung der Ernährung, nun sollte die Landwirtschaft primär billiger produzieren und gleichzeitig sogenannte «Ökodienstleistungen» erbringen.

«Die Macht der landwirtschaftlichen Produzenten gegenüber den Abnehmern wurde massiv geschwächt», sagt Moser. Nun gab es zwar Direktzahlungen für Ökodienstleistungen, aber eben auch mehr Markt für die Produkte.

«Verlangt und versprochen wurde: mehr Markt und mehr Ökologie», sagt Peter Moser. Politisch sei dieser Slogan ein Erfolg gewesen und die Reformen seien an der Urne gutgeheissen worden. «Aber in der Praxis geht die Sache nicht auf, weil die Käufer der bäuerlichen Produkte die Preise mit dem Argument drücken können, dass die Bauern ja Direktzahlungen erhalten.»

So bekommen die Produzent*innen von Getreide heute zum Beispiel nur noch sieben Prozent des Brotpreises für ihren Weizen. «Mit den an konkrete ökologische Leistungen geknüpften Direktzahlungen können die Bauern und Bäuerinnen jedoch die steigenden Kosten der Produktion, etwa für Löhne und Saatgut, nicht wettmachen», sagt der Agrarhistoriker.

Streitpunkt ökologische Auflagen



Und das mag letztlich auch der Grund sein, warum der Demeter-Bauer gemeinsam mit dem SVP-Meisterlandwirt protestiert: Die Machtlosigkeit gegenüber den ungleichen Marktkräften, die Dominanz der Zwischenhändler, wie der bäuerlichen Genossenschaft Fenaco, und den grossen Detailhändlern Coop, Migros, Aldi und Lidl.

Das eint die Bewegung. Was sie trennen könnte, sind die teilweise vernünftigen, teilweise problematischen ökologischen Auflagen. Die einen sehen sie als Klotz am Bein, den man nur dank der monetären Abgeltungen erträgt, die anderen brauchen zwar die monetäre Abgeltung auch, möchten die Ökologie aber ganzheitlicher ins System einbauen.

Der grüne Politiker Kilian Baumann bewirtschaftet einen Hof im seeländischen Suberg
Der grüne Politiker Kilian Baumann bewirtschaftet einen Hof im seeländischen Suberg.

«Auch in der Schweiz gibt es die Tendenz, dass Interessengruppen die Umweltauflagen in den Fokus nehmen», sagt Kilian Baumann. Der grüne Nationalrat findet, dass mit einer solchen Entwicklung eine rote Linie überschritten würde. «Sobald es darum ginge, Klima- und Artenschutzmassnahmen rückgängig zu machen, würde die momentan breite Bewegung auseinanderbrechen.»«Es ist zu früh»

Baumann vertritt als Bauer im nationalen Parlament nicht die Mehrheitsmeinung der starken landwirtschaftlichen Vertretung. Als Präsident der Kleinbauernvereinigung setzt er sich für ökologische Anliegen wie in der Vergangenheit etwa für die Agrarreform AP22+ oder die Parlamentarische Initiative zur Risikoreduktion bei den Pestiziden ein. Das gefällt dem Bauernverband nicht.

Es erlaubt Baumann aber, unabhängig von dessen Meinung zu politisieren. Auch er findet: «Den Frust hat man sich politisch geschaffen.» Die EU und die Schweiz hätten sich zu Recht dafür entschieden, eine bäuerliche Lebensmittelproduktion zu erhalten. Leider sei das perfekte System dazu bisher nicht gefunden worden. «Mit der ökologischen Reform der letzten vier Jahre sind wir aber wieder ein Stück vorwärts gekommen», gibt er sich zuversichtlich.

«Es ist zu früh»



Und warum tun die starken landwirtschaftlichen Vertreter*innen nicht mehr? «Die Mehrheit der bäuerlichen Vertreter würde alles durchbringen, wenn sie möchte», sagt Kilian Baumann. Aber viele seien verbandelt mit vor- und nachgelagerten Betrieben, sie würden die Interessen von Chemikonzernen, Grossverteilern oder Versicherungen vertreten. «Die Konzerne machen mit der gegenwärtigen Situation gute Gewinne, an sozialen und ökologischen Reformen haben sie wenig Interesse.»

Für Peter Moser ist eine Erklärung, warum so viele Bauern und einige Bäuerinnen sich aktiv in der Politik engagieren, die, dass sie von der Agrarpolitik im Alltag unmittelbar betroffen sind. Eine andere, weil sie nicht von ihrer landwirtschaftlichen Tätigkeit leben könnten. Ein politisches Amt sei ein möglicher Nebenerwerb.

Aber warum geschieht dann nichts, das die Situation verbessert?

«Weil noch gar keine tragfähigen Lösungen entwickelt worden sind», sagt Historiker Moser. Solange die Gesellschaft Natur und Kultur als zwei unterschiedliche Dinge konzipiere, könne gar nicht nachhaltig Agrikultur betrieben werden.

«Die Leute, die jetzt protestieren, haben nicht nur wirtschaftliche Interessen, sie haben auch Wünsche und Erwartungen – beispielsweise die, dass in der Politik und den Medien sachgerechter über das Potenzial und die Grenzen der Nutzung lebender Ressourcen geredet wird.» Moser findet, jetzt, in der offensichtlichen Krise, «wäre ein guter Moment, um nicht nur zu postulieren, welche Art von Landwirtschaft wir als Gesellschaft wollen, sondern auch um darüber nachzudenken, unter welchen Bedingungen und mit welchen Akteur*innen dieses Ziel zu erreichen wäre.»

Mit anderen Worten: Funktioniert die Auftrennung in landwirtschaftliche Produkte, die dem Markt ausgesetzt sind, und Ökologie, die durch den Staat geregelt wird, überhaupt für die Landwirtschaft? Oder bräuchte es ein System, das Natur und Kultur wieder als eins sehen würde? Es ist eine Frage, die bisher nicht oft diskutiert wurde.

Zurück zu Agrarhistoriker Moser. Laut ihm gibt es in der heutigen Gesellschaft zwar Sympathien für die Landwirtschaft, aber viel wichtiger wäre: Mehr Wissen darüber. Alle seien von der Landwirtschaft betroffen, aber wüssten kaum etwas über sie: «Das schafft jene toxische Mischung aus Unwissen und Betroffenheit, die heute für den Diskurs über das Agrarische in der Öffentlichkeit so charakteristisch ist», sagt er.

Und was erhofft sich Demeter-Landwirt Philipp Zaugg von den Protesten? «Ich wünsche mir, dass die Konsument*innen, aber auch die Industrie und die Grossverteiler mittelfristig merken, dass qualitative und lokal hergestellte Produkte auch etwas kosten», sagt er.

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