«Kapitalistische Baummörderin» – was sich eine Basler Tannenverkäuferin alles anhören muss
Noemi Rutishauser ist hässig. Sie hat genug von den Diskussionen über die Herkunft ihrer dänischen Christbäume, die sie vor Weihnachten am Aeschenplatz und im Gellert verkauft.
«Ich stehe zu meinen dänischen Bäumli», sagt Noemi Rutishauser und lacht schallend. Doch die Sache ist bierernst. Die Nordmannstanne mit ihrem dichten Nadelkleid, die sich Herr und Frau Schweizer zu Weihnachten ins warme Wohnzimmer stellen, ist zum Politikum geworden. Wer hätte das gedacht.
Nichts mit stille Nacht, heilige Nacht. Auf der Strasse herrscht ein rauer Wind. Und Rutishauser, die bei jedem Wetter an ihrem Verkaufsstand am Aeschenplatz oder im Gellertquartier steht, muss sich anhören, eine kapitalistische Baummörderin zu sein. Aber von vorne.
«Switzerland First»
Spätestens seit 2019, als eine Studie des Schaffhauser Büros für Umweltberatung ESU-Services, der Ökobilanz von Weihnachtsbäumen wissenschaftlich auf den Grund gegangen ist, ist klar: Eine Zuchttanne aus Dänemark, dem Tannenbaumexporteur schlechthin, belastet die Umwelt rund vier Mal so stark wie ein regionaler Baum, der ohne Dünger und Pestizide frei im Wald aufgewachsen ist.
Die IG Suisse Christbaum, welche die Schweizer Tannenproduzenten auf politischer und wirtschaftlicher Ebene vertritt, fordert denn auch: «Switzerland First». Mittlerweile stammen rund die Hälfte der 1,5 Millionen Weihnachtsbäume, die in unseren Stuben stehen, aus Schweizer Produktion.
Grünes Gewissen
Der Zeitgeist ist grün, daran lässt sich nicht rütteln. Dies alleine ist für Rutishauser kein Problem. Im Gegenteil: Die 44-Jährige bezeichnet sich selbst als umweltbewusst, isst vegetarisch, kompostiert, recycelt und achtet beim Kauf von Produkten auf ihre Herkunft. Sie ärgert sich aber ab der Inkonsequenz vieler Konsument*innen: Der Baum müsse aus der Region sein, die Rosen hingegen dürften aus Südafrika importiert werden.
«Alle wollen den perfekten Baum.»Tannenverkäuferin Noemi Rutishauser
Ungefähr drei Mal pro Tag wird Rutishauser nach der Herkunft der Bäume gefragt. Manche Leute wollten sogar wissen, ob ihre Bäume vegan seien. Die Geschäftsführerin hat auf die Nachfrage nach einheimischen Bäumen denn auch reagiert: In den vergangenen Jahren machte der Anteil an ihrem Sortiment 20-40 Prozent aus.
Ihren Kund*innen sei das sofort aufgefallen: «Frau Rutishauser, was verkaufen Sie dieses Jahr für Besen?» So lauteten die vernichtenden Kommentare. Die Konsument*innen stehen auf Ästhetik – und die Schweizer Bäume seien vom Auge her weniger ästhetisch als die dänischen, weiss Rutishauser. Bestimmt lässt sich darüber streiten.
Klar ist aber: «Alle wollen den perfekten Baum.» Dieser müsse unten buschig sein, gegen oben regelmässig dünner werden – und bitte bloss keine Löcher haben. Sowohl in Dänemark als auch in der Schweiz versuchen die Produzent*innen ihr Möglichstes, alles mit Handarbeit. Die klimatischen- sowie die Bodenbedingungen sind in Dänemark allerdings besser. Rutishauser sagt: «Die Dänen haben es einfach drauf.»
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Dieses Jahr stehen ausnahmsweise nur dänische Bäumchen an ihrem Stand. Weil es nicht genug hiesige Bäume gegeben hat, um den Markt abzudecken. Die Produzent*innen hatten vergangenes Jahr aufgrund der hohen Nachfrage überschnitten. Dies bestätigt die Familie Henziroh, die Rutishauser normalerweise beliefert, auf Anfrage. War die Nachfrage 2020 trotz oder gerade wegen Corona gross? Die Verkäuferin erklärt: «Es gab eine Verlagerung. Während die Firmen und Restaurants ihre Bestellungen abgesagt haben, leisteten sich mehr private Familien einen Christbaum.»
Eins ist klar für Rutishauser. Wenn ein Weihnachtsbaumverbot für ausländische Bäume kommt, hört sie auf. Luzern hat bereits eins. 2019 entschied die Stadtregierung, dass auf öffentlichem Grund nur noch Pflanzen aus einheimischer Produktion angeboten werden dürfen. Private Verkäufer*innen, die ihre Christbäume aus Dänemark importieren, haben seither einen schweren Stand.
Ruthishauser erklärt: «Solche Verbote spielen Grossverteilern wie Migros und Coop in die Hände, denn sie brauchen keine Bewilligung auf der Allmend. Für uns ist das verheerend.» Sie müsse am Verkauf ja auch etwas verdienen. Sie zahle ihren drei Mitarbeitern Orfeo, Nicolas und Philippe sehr gute Löhne. Ausserdem böte sie neben A-Qualität der Bäume auch Dienstleistungen an, wie sie Grossverteiler kaum kennen. Zum Beispiel das Zuschneiden des Baumes oder die Lieferung nach Hause. Die Bäume haben also ihren Preis, schliesslich ist Dänemark auch kein Billiglohnland.
«Jede*r kriegt einen Baum bei mir, man muss nur freundlich mit mir sprechen.»Tannenverkäuferin Noemi Rutishauser
Im Basler Grossen Rat wurde eine Weihnachtsbaumregulierung der Grünen im 2017 allerdings abgelehnt. Und so steht Rutishauser mit ihren Bäumen noch da, am Aeschenplatz und im Gellert.
Soziales Herz
Die Stimmung hinter ihrem Stand ist trotz der schwierigen Rahmenbedingungen fröhlich. Sowohl die Kund*innen als auch die Anwohner*innen freuen sich, dass sie da ist. «Wir bringen Stimmung auf den sonst tristen Aeschenplatz.» Ausserdem gibt es Schokolade und Mandarinen. Rutishauser hat ein grosses Herz, sie hilft den Alten und Blinden über die Strasse und beherbergte in ihrem Kabäuschen auch schon Obdachlose. Auch spendet sie jedes Jahr Bäume: «Jede*r kriegt einen Baum bei mir, man muss nur freundlich mit mir sprechen.» Ob wir das wirklich schreiben sollen? Sie lacht erneut. Schallend. Und der kalte Dezemberregen tropft ihr ins Gesicht.
Eigentlich liebt Rutishauser die Sonne. Als Selbständige hat sie die letzten Jahre in der Tourismusbranche in Portugal gearbeitet. Doch dann kam Corona. Nun erfindet sie sich gerade neu und kann nicht einmal die einfachsten Fragen wie «Wo wohnst du?» beantworten. Die gelernte KV-Angestellte hat das Business 2014 von ihrem Vater Konrad übernommen. Der Weihnachtsbaumverkauf sei eine schöne Abwechslung zu Portugal gewesen, sagt sie. Doch eben: Der aggressivere Ton, die Beleidigungen wie «kapitalistische Baummörderin» schmerzen sie. Natürlich tue ihr Bäumefällen im Allgemeinen auch weh, räumt sie ein, aber bei den Christbäumen werde immerhin für jeden gefällten Baum ein neuer gesetzt.
Sie selbst hatte als Kind übrigens keinen Weihnachtsbaum im Wohnzimmer stehen. Dafür war sie Skifahren in Mürren. Und auch heute noch verbringt Rutishauser Weihnachten lieber im Schnee. Manche Dinge ändern sich nie.