Vom Kettenraucher zum Kettenkarussell
Modellbauer Eduard Odermatt baute 1959 eine Mini-Herbstmesse. Auf der Suche nach dem Modell und seinem Erbauer fand Bajour seine Enkelin Sandra Lütolf. Sie erzählt, wie ihr Opa das Rauchen aufgab und das Modellbauen entdeckte.
Schlagermusik schallt von der Calypso rüber zum Riesenrad. Kinder rennen zwischen den Bahnen hin und her. Gebrannte Mandeln verbreiten ihren Duft über eine Fläche von ungefähr zehn Quadratmetern. Genau, auf einer solchen Fläche hat Eduard Odermatt die wichtigsten Elemente der Basler Herbstmesse en miniature dargestellt. Zugegeben, Sound hatte die Anlage dafür nicht, aber jedes Lichtlein und jede Holzfigur hatte ihren exakten Platz zugewiesen. Und die Bahnen sind gefahren.
Vor der Herbstmesse 2021 haben wir ein Video der Schweizer Filmwochenschau coloriert, dass den Miniaturmessen-Bauer Eduard Odermatt und sein Werk, die «Basler Messe en miniature» oder die «Herbstmesse auf dem Esstisch», wie sie die «National-Zeitung» nannte, zeigt.
Wir haben den Beitrag auf Facebook gepostet und uns auf die Suche nach Eduard Odermatt, seiner Familie und der Miniatur-Messe gemacht. Und wir haben sie gefunden.
Sandra Lütolf, die Enkelin von Eduard Odermatt, hat sich bei uns gemeldet «Als ich das Video auf Facebook gesehen habe, dachte ich mir, hä? Das ist doch Opa!», erklärt sie. Sie breitet zahlreiche Schwarz-Weiss- und Farbfotos, Zeitungsausschnitte und Dokumente zur «Messe en miniature» aus.
Was hatte es denn nun mit der Miniatur-Messe auf sich? Und wo ist sie jetzt?
«Angefangen hat alles damit, dass mein Opa ein Spielzeug für seine Kinder, meinen Vater und meine Tante, bauen wollte.» Er hatte gerade aufgehört zu rauchen, erzählt uns Sandra Lütolf, und hat etwas gesucht, das er stattdessen machen könnte. «Also hat er angefangen, zu basteln.»
Und das tat Eduard Odermatt eine ganze Weile lang. Insgesamt 28 Jahre baute er an der Mini-Messe. 1948 hatte er angefangen, 1975 oder 1976 wurde das Modell zum ersten Mal an der echten Basler Herbstmesse in der Messehalle ausgestellt. «Ganz genau lässt sich das nicht mehr zurückverfolgen», erklärt seine Enkelin.
Gemäss der Filmwochenschau und einem Bericht der «National-Zeitung», gab es die Miniaturmesse sogar schon 1959 als Attraktion zu bestaunen. Aber Odermatt musste dafür kämpfen. Ihr Opa habe mehrere Anläufe gebraucht, bevor man ihn für die Herbstmesse angenommen habe, erzählt uns Sandra Lütolf.
Basteln sei mehr als ein Hobby gewesen, «er war fast schon besessen davon», erzählt uns Sandra Lütolf. Zum Beruf habe er es aber nie gemacht. Eduard Odermatt war Schriftgiesser und ist dies auch bis zu seiner Pension geblieben. Die richtige Entscheidung, wie sich zeigt: «Man sieht ihm die Freude am Basteln regelrecht an, wäre es sein Beruf gewesen, wäre ihm die Freude daran vergangen, so wie ich ihn kenne», ist Sandra Lütolf überzeugt.
Wenn gerade nicht Mäss-Zeit war, wurde die Miniaturmesse in zwei Garagen gelagert. «Mindestens einmal im Jahr mussten wir alle Bahnen laufen lassen, damit sie nicht kaputt gingen», erinnert sich Sandra Lütolf. Für sie als Kind war die Miniaturmesse sowieso ein Highlight. «Ich habe ja von der ganzen Arbeit dahinter nichts mitbekommen, und war einfach nur begeistert.»
Als Mädchen hatte aber auch Sandra Lütolf ein Ämtli an der Herbstmesse: Sie half beim Aufbau und auch während der Herbstmesse durften Sandra Lütolf, ihr Bruder und ihre Cousinen und Cousins mithelfen. «Wir durften manchmal die Tickets der Leute entgegennehmen.» Ein Eintritt kostete damals 50 Rappen. Dann durfte man einmal rund um die Miniaturmesse laufen.
Lütolf hat die Zeit mit der Miniaturmesse in schöner Erinnerung. Sie und ihr Bruder waren fast jeden Tag da und kannten auch die Betreiber*innen der Bahnen. Wenn wenig los war, durften sie gratis mitfahren. «Das war natürlich gut, um Leute anzulocken, und wir fanden das sowieso grossartig», meint die Enkelin grinsend.
Viel Geld brachte Eduard Odermatts Hobby nicht ein: «Es war eine Null-Null-Rechnung. Was er verdient hat, hat er wieder für Material ausgegeben», rechnet Sandra Lütolf vor. Und Material brauchte er zu genüge. «Jedes Männli war selber geschnitzt. Jede Bahn ist gelaufen, hat geleuchtet. Bei den Ständen war sogar das Magenbrot zu sehen, so fein hat er geschnitzt.» Alles hat sich bewegt bei der Miniaturmesse. Ein ganz schöner Kabelsalat muss das gewesen sein unter dem Tisch, glaubt Sandra Lütolf.
Vielleicht wegen dieser Komplexität, sicher aber auch wegen einer kleinen Prise Perfektionismus, die Eduard Odermatt hatte, war eines während der Herbstmesse streng verboten: anfassen und verstellen. «Da kann ich mich noch gut daran erinnern: ‹Düend nüüt verstelle!›», ahmt Sandra Lütolf ihren verstorbenen Grossvater lachend nach. Die Spielfiguren, die «Opa-Männli», wie sie Sandra Lütolf nennt, durfte nur der Opa aufstellen,er hatte einen genauen Plan im Kopf, welches wohin gehörte.
Das sei immer so geblieben, sogar als die Miniaturmesse den Besitzer wechselte. «1977 hat mein Opa den Europa Park besucht und hat sich mit Familie Mack geeinigt, die Miniaturmesse dem Park zu vermieten.» 2500 D-Mark hat er damals monatlich dafür bekommen, das entspricht heute ungefähr 1250 Franken. «Da habe ich schön gestaunt, als ich die alten Verträge hervorgeholt habe, das ist eine ordentliche Summe», meint Sandra Lütolf.
Die Miniaturmesse stand dann eine Zeit lang im Vorraum der damaligen Filmhalle im Europa Park. Dafür wurde die Miniaturmesse in einen Münzautomaten umgebaut. «Wer wollte, das sie läuft, wie sie es auf der Herbstmesse getan hat, musste 20 Pfennig einwerfen.»
Ihm sei wichtig gewesen, dass selbst im Europa Park die Figuren so stehen, wie sie stehen sollten. «Mein Opa war dabei, als sie das Modell aufgebaut haben. Ich kann mir vorstellen, dass er darauf sogar bestanden hat.» Sandra Lütolf schmunzelt.
Der Mietvertrag wurde einige Male verlängert und 1985 kaufte der Europa Park Eduard Odermatt schlussendlich die Miniaturmesse ab. «Für insgesamt 15’000 D-Mark hat die Miniaturmesse endgültig den Besitzer gewechselt.»
«Vor ein paar Jahren waren wir mit der Familie im Europa Park, da habe ich plötzlich an der Bar eines Hotels, bei dem wir übernachtet haben, ein Opa-Männli entdeckt.» Sandra Lütolf hat nicht schlecht gestaunt, als sie die Figur gefunden hat. Ein anderes Mal war Lütolf im Park unterhalb des «Foodloop»-Restaurants. Dort gibt es eine Bahn, die während der Fahrt die Geschichte der Entstehung des Europa Parks erzählt. Während sie da den Ausführungen über die erste Achterbahn lauschte, schoss plötzlich die Mini-Achterbahn ihres Opas aus dem Boden. «Ich bin gleich nochmal eine Runde sitzen geblieben, um mir wirklich sicher zu sein. Aber doch, das war sie eindeutig.»
Wo genau sich die Teile im Europa Park befinden, weiss die Familie heute nicht. Oder befinden sich überhaupt noch alle im Europa Park? Eine Userin antwortete auf unseren Post in Facebook, als wir Eduard Odermatt und seine Familie noch gesucht hatten, sie habe so eine Bahn auch in Holland schon entdeckt. «Es kann natürlich sein, dass der Europa Park Teile der Miniaturmesse verkauft, vermietet oder verliehen hat, wäre noch spannend, das man weiter zu verfolgen», meint Sandra Lütolf
Nachdem der Europa Park erst mal Mini-Mäss-Luft geschnuppert hatte, wollte er mehr. «1980 bekam mein Opa vom Europa Park den Auftrag, eben diesen nachzubauen.» Das habe er aber nicht am Stück gemacht, sondern er habe immer einzelne Teile gebastelt und diese dann versandt. «Ob er ihn jemals fertiggestellt hat, oder ob das Modell irgendwo ausgestellt ist, wissen wir nicht», sagt Sandra Lütolf.
Was sie aber weiss ist, dass ihr Opa durchaus ein Fan vom Europa Park gewesen sein muss. «Er hat zahlreiche Prospekte gesammelt und alle fein säuberlich in einen Ordner getan. ‹Opa Ordner› nennen wir ihn in der Familie.» Ganz bestimmt sei er sehr stolz gewesen auf seine Arbeit und erst recht, dass sie im Europa Park ausgestellt wurde.
Als er pensioniert wurde, verschob sich die Leidenschaft von Eduard Obermatt in Richtung Züge und Schiffe. «Das hat ihm nochmals richtig Freude gemacht. Er hat ganze Landschaften aufgebaut rund um die Züge. Irgendwo in einer Kiste habe ich sogar noch ein paar Schienen.»
Die Bahnen sind zwar längst weg, die Erinnerung, die zahlreichen Fotos sind aber noch da. Und ein bisschen Miniaturmesse findet sich auch im Haus von Sandra Lütolf. Zahlreiche kleine Dekofiguren schmückten das Haus von Sandra Lütolf vor Weihnachten. Vielleicht wurde das Miniatur-Gen irgendwie vererbt.
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