«Ich werde nicht still sein»

Nach fünfzehn Jahren im Exil ist die politisch verfolgte Aktivistin Nekane Txapartegi ins Baskenland zurückgekehrt. Die spanische Justiz hat die wichtigsten Anklagepunkte fallen gelassen, Txapartegis Kampf geht jedoch weiter.

Die baskische Aktivistin Nekane Txapartegi an der Zuercher 1. Mai Kundgebung im Zeichen der Lohngleichheit, am Dienstag, 1. Mai 2018, in Zuerich. (KEYSTONE/Patrick Huerlimann)
Nekane Txapartegi an der diesjährigen 1. Mai Demonstration in Zürich. (Bild: KEYSTONE / Patrick Huerlimann)
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Dieser Artikel ist am 12.05.2022 zuerst bei Die Wochenzeitung erschienen. Die WOZ gehört wie Bajour zu den verlagsunabhängigen Medien der Schweiz.

Die gute Nachricht kam per Telegram: «Liebe Freund*innen. Wir haben die politische Verfolgung gestoppt! Ich bin mit meiner Tochter im Baskenland. Der internationale Haftbefehl und das Auslieferungsgesuch gegen mich wurden aufgehoben.» Nekane Txapartegi war nach fünfzehn Jahren im Exil zum ersten Mal wieder ins Baskenland zurückgekehrt. Zurück in ihre Heimatstadt, zurück zu ihren Freund:innen, Genoss:innen, ihrer Familie, ihrer kranken Mutter.

«Es war sehr schön und ein Erfolg unseres Kampfes», sagt Txapartegi und blinzelt entspannt in die Maisonne, die auf ihre Zürcher Dachterrasse scheint. Sie habe auf der Flucht auch in Zürich ein Zuhause geschaffen, sagt Txapartegi, die in mehreren feministischen Kollektiven aktiv ist und bei Radio Lora arbeitet. «Als ich jetzt im Baskenland war, habe ich gemerkt, dass dort meine Wurzeln sind, dass dort die Leute sind, mit denen ich meine Sprache, meinen Kampf teile. Und meine Tochter, die die Schweiz zum ersten Mal in ihrem Leben verlassen konnte, hat endlich unsere Familie kennengelernt und das Meer gesehen.»

Kein Präzedenzfall

Fast ihr halbes Leben lang wurde die heute 49-Jährige von der spanischen Justiz verfolgt. 1999 war die damalige Gemeinderätin der baskischen Kleinstadt Asteasu von der paramilitärischen Guardia Civil verhaftet und auf dem Polizeiposten gefoltert und vergewaltigt worden. 2007 wurde sie in einem Massenprozess aufgrund eines unter Folter erzwungenen Geständnisses zu mehr als sechs Jahren Haft verurteilt, unter anderem wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen, bewaffneten Organisation. Auf ihrer Flucht gebar Txapartegi ein Kind, lebte Jahre in der Illegalität in Zürich, bis sie 2016 erneut verhaftet wurde – aufgrund eines spanischen Haftbefehls. Siebzehn Monate verbrachte sie in verschiedenen Schweizer Gefängnissen. Auch nach ihrer Entlassung war sie ständig von der Auslieferung bedroht.

Doch nun gab im April das spanische Sondergericht Audiencia Nacional bekannt, dass sämtliche Anklagepunkte gegen Nekane Txapartegi fallen gelassen würden – ausser jene wegen des Besitzes zweier gefälschter Ausweise. «Es kam mir ein bisschen vor wie bei einem Elterngespräch in der Schule», erinnert sie sich an die Vorladung bei der Audiencia Nacional in Madrid. «Sie lasen mir meine militante Karriere und meine Verurteilungen vor, und nach fünfzehn Minuten war ich wieder draussen.» Im Herbst wird die Verhandlung wegen der gefälschten Ausweise vor dem Strafgerichtshof stattfinden, Txapartegis Anwält:innen rechnen mit einer geringfügigen bedingten Haftstrafe.

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Einen Grund für den Rückzug der übrigen Anklagepunkte nannte das Gericht nicht. Weshalb auch kein Präzedenzfall für andere politisch verfolgte Bask:innen geschaffen wurde. «Ich hätte mir natürlich eine andere Rückkehr gewünscht», sagt Txapartegi. «Dass wir den politischen Konflikt lösen und ich gemeinsam mit den anderen baskischen Geflüchteten und den politischen Gefangenen zurückkehre. Aber ich bin auch nicht in Handschellen und auf einem Auslieferungsflug zurückgekommen, wie es sich der spanische Staat gewünscht hätte.»

Erfolg einer Kampagne

Die jetzt erreichte juristische Lösung ist für Txapartegi klar dem gesellschaftlichen Druck, der durch die «Free Nekane»-Kampagne zustande kam, zu verdanken. Unermüdlich hatten Aktivist:innen seit Txapartegis Verhaftung in Zürich im Frühling 2016 Öffentlichkeitsarbeit geleistet, Demos, Ausstellungen, Infoveranstaltungen organisiert. Der damalige Uno-Sonderberichterstatter für Folter, Nils Melzer, intervenierte, als das Bundesamt für Justiz 2017 ihre Auslieferung an Spanien bewilligte (die dann aber nie vollzogen wurde). Menschenrechtsorganisationen von Augenauf und Humanrights.ch bis zu Amnesty International und zur Weltorganisation gegen Folter (OMCT) setzten sich für Txapartegi ein.

«Die Schweizer Behörden haben sich immer davor gedrückt, sich zu den Foltervorwürfen zu positionieren, und haben stattdessen versucht, die ganze Angelegenheit einschlafen zu lassen», sagt Lea Küng von der «Free Nekane»-Kampagne. Die Schweiz konnte es sich nicht leisten, ein gemäss Istanbul-Protokoll anerkanntes Folteropfer auszuliefern, wollte aber ebenso wenig das EU-Mitglied Spanien brüskieren. «Ich sehe es als Erfolg unserer Kampagne hier in der Schweiz und jener im Baskenland, dass Nekane nie ausgeliefert wurde und heute frei ist», sagt Lea Küng, die Txapartegi auf ihrer Reise ins Baskenland und nach Madrid begleitet hat.

Für sie sei nun ein Kapitel abgeschlossen, sagt Txapartegi. Doch der repressive Apparat sei weiterhin aktiv. «So konnte ich im Baskenland nicht öffentlich als politische Kämpferin empfangen werden, da dies im spanischen Staat als ‹Verherrlichung des Terrorismus› gilt und strafbar ist.» Die Überlebenden staatlicher Gewalt dürften weder sagen, was ihnen angetan wurde, noch ihren Kampf verteidigen, sonst würden sie kriminalisiert, so Txapartegi. «Aber ich werde nicht still sein. Ich werde weiterhin sagen, was ich denke, und darüber sprechen, was mir und uns angetan wurde.»

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