Ist die Mackerbewegung am Ende?
Generationenübergreifend spielen sich die pensionierte Protestlerin Anita Fetz und die klimabewegte Aktivistin Pauline Lutz die Bälle zu. Anita macht den Aufschlag und will von Pauline wissen, wie die Klimajugend die Alphamännchen weg von den Mikrofonen gekriegt hat.
Liebe Pauline,
als ihr vor gut zwei Jahren mit den Klimastreiks begonnen habt, war ich noch Ständerätin im Bundeshaus. Da habe ich gespürt, wie die verstockte Stimmung gegen wirksame Klimagesetze innerhalb weniger Monate geändert hat. Danke, seufzte ich innerlich, endlich Druck von aussen, von Seiten der massenhaft aufmarschierenden Klimajugend. Nur dann bewegt sich etwas in der Realpolitik.
Was mir sofort aufgefallen ist: Ich habe noch nie so viele junge Frauen auf der Strasse und vor allem an den Mikrofonen gesehen. Das war in meiner «Jugendbewegung» ganz anders. Vor lauter Alphamännchen kamen die Frauen kaum zu Wort. Rückblickend muss ich sagen: Es waren teilweise fürchterliche Mackerveranstaltungen.
«Ich habe noch nie so viele junge Frauen auf der Strasse und vor allem an den Mikrofonen gesehen.»
Zurzeit wird ein Jubiläum medial abgefeiert: 40 Jahre Jugendunruhen. «Freie Sicht aufs Mittelmeer» und «Macht aus dem Staat Gurkensalat» hiess es auch in Basel. Der Kampf um ein autonomes Jugendzentrum (AJZ) wurde heftig geführt. Du kannst dir kaum vorstellen, wie spiessig Basel damals war. Nur zwei Beizen, die länger als 23 Uhr auf hatten, das Gifthüttli und das Klingeli.
Die Forderung nach einem AJZ war ein lauter Schrei nach mehr Freiräumen. Es folgten Hausbesetzungen, Strassenschlachten zwischen den Aktivist*innen und der Polizei, riesige Solidaritätsdemos. Ich war hier nur am Rande dabei, denn die in der Bewegung dominierende No Future Stimmung war nicht mein Ding.
Tragisch war das Drogenelend, das bald im besetzten AJZ herrschte. Aber diese bewegten Jahre haben die Stadt verändert. Langsam gab es mehr Freiräume, neue Beizen wurden von Jungen gegründet, die Kaserne für alternative Kultur freigegeben. Im Lauf der Zeit wurde im Sommer der Aussenraum erobert, das Konzept der Zwischennutzungen anerkannt und eine anständige Drogenpolitik etabliert.
«Es war kein romantisches Zeltabenteuer, sondern anstrengend.»
Im Jahr 1980 war ich 23 Jahre alt und in zwei anderen Bewegungen stark engagiert: der Anti-AKW- und der Frauenbewegung. Begonnen hatte mein politisches Aufwachen mit der Besetzung von Kaiseraugst am 1. April 1975. Wir waren Schülerinnen aus den Baselbieter Gymnasien, welche die Besetzungsaktivist*innen der ersten Stunde unterstützt haben. Am Tag gingen wir zur Schule und ab dem späten Nachmittag und über Nacht besetzten wir, beseelt vom Willen, dieses AKW zu verhindern. An den Wochenenden gab es grosse Solidaritätsdemos, an welchen die ganz normale Bevölkerung rege teilnahm.
Es war also keine Protestbewegung gegen die Erwachsenen, sondern der Anfang der Ökologiebewegung in der Schweiz. Dennoch war es kein romantisches Zeltabenteuer, sondern anstrengend: Schiffwetter, ständig feuchte Schlafsäcke, Knochenarbeit in der Gemeinschaftsküche und beim Hüttenbau. Alles wurde an Vollversammlungen diskutiert und entschieden, teils mühsam und langfädig. Auch hier waren gefühlt etwa drei Viertel Männer dort. Und immer haben die gleichen Machos das grosse Wort geführt. Wie habt ihr das hinbekommen??
Es war ein biographischer Zufall, dass ich als junge Nationalrätin der Progressiven Organisationen Basel (POB) 1988 Kaiseraugst im Parlament mitbegraben konnte. Ich bin förmlich ans Rednerpult geschwebt vor lauter Triumphgefühl, um mitzuteilen, dass sich ziviler Widerstand eben doch lohnt. Dann folgten Jahrzehnte mühsamer politischer Kämpfe für jeden Meter mehr ökologischen Umbau der Schweiz.
Ganz anders diskutiert wurde in der damaligen Frauenbewegung. Alle kamen zu Wort (was allerdings oft auch zünftig langweilig war), vieles haben wir uns selbst beigebracht: Wie man Flugblätter verfasst, recherchiert, mobilisiert, Aktionen organisiert.
Die waren manchmal auch ruppig, wie die Besetzung des ersten Frauenhauses oder der Sturm aufs Mikrofon am 1. Mai 1980, als wieder keine Rednerin zu Wort kam. Aber irgendwie war dieses Engagement lustvoller, witziger und kreativer, ganz nach dem Motto des damals populären Songs von Cindy Lauper: «Girls Just Want To Have Fun». Dass wir noch Jahrzehnte brauchten, um nur schon die gesetzliche Gleichstellung hinzukriegen, hätte ich damals nie für möglich gehalten. Es war ein Marathonlauf ohne Ende.
Ich schaue ohne Nostalgie auf diese Zeiten zurück. Wir haben einiges bewegt, aber längst nicht genug. Die Klimajugend ist für uns alle eine Hoffnungsträgerin. Aber habt ihr auch den nötigen Durchhaltewillen?
Fragt mit herzlichen Grüssen,
Anita Fetz
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Paulines Antwort liest du bald hier bei Bajour.
Die Kleinunternehmerin und ehemalige Ständerätin Anita Fetz (1957) politisierte bei der SP. Pauline Lutz (2002) engagiert sich bei der Basler Klimajugend und studiert internationale Beziehungen in Genf.