Psychopath manipuliert Veganerin

Auch massgeschneiderter Netflix-Ramsch blüht manchmal auf: Die True-Crime-Doku «Bad Vegan» ist höchst unterhaltsam und reisst mit.

Kultzgrün

Dieser Artikel ist am 18.03.22 zuerst auf Kultz erschienen. Kultz gehört wie Bajour zu den verlagsunabhängigen Medien der Schweiz.

Sarma
Minutiös und total ehrlich erzählt Sarma Melngailis, wie sie abgezockt wurde. (Bild: Netflix)

Die Geschichte um Gastronomin Sarma Melngailis liesse sich eigentlich in einer einzigen Folge à 30 Minuten erzählen. Aber Regisseur Chris Smith seziert jede noch so kleine Anekdote dieses mit Glamour geschwängerten Betrugsfalls und vergoldet alle Details zu ultrawichtigen Puzzlestücken. Der Vierteiler pumpt eine Randnotiz des modernen Promiklatsch auf und verwandelt es in die momentan wichtigste Geschichte aller Zeiten. Und genau das macht so Spass an «Bad Vegan»: Man klebt förmlich am Bildschirm.

Sarma Melngailis führt ein New Yorker Restaurant, das «Pure Food and Wine»: Hip, vegane Karte, Owen Wilson holt sich barfuss seinen täglichen Smoothie. Aber nicht alles läuft rund: Bald verstreitet sie sich mit ihrem langjährigen Geschäfts- und Privatpartner, einem Gourmetkoch. Im Herzschmerz stösst Sarma auf den mysteriösen «Shane Fox», der 50'000 Follower*innen hat. Sarma trifft «Shane». Und wird von Anthony Strangis, wie er mit richtigem Namen heisst, gnadenlos abgezockt.

Chris Smith erzählt reale Geschichten mit der Attitüde eines Spielfilms.

Anthony verspricht Sarma, dass sie und ihr Hund Leon unsterblich werden, wenn sie seine Tests besteht. Diese bestehen meistens darin, ihm eine grosse Summe Geld zu überweisen. Derweil verzockt er Dollar um Dollar. Die Mitarbeitenden des Restaurants werden immer misstrauischer, bis Sarma ihnen irgendwann keinen Lohn mehr überweisen kann. Sarma und Anthony flüchten. Die Polizei spürt sie in einem Hotel in Tennessee auf, weil sie bei einer bekannten Fast-Food-Kette Pizza und Chicken Wings bestellen.

Der Regisseur Chris Smith ist kein Unbekannter: Er hat in den 90ern die punkigen Dokus «American Movie» oder «The Yes Men» gedreht und mit «Fyre», «Jim & Andy» sowie «Tiger King» Netflix-Hits gelandet. Das Stilmerkmal seiner Filme: Smith erzählt völlig absurde und trotzdem reale Geschichten mit der Attitüde eines Spielfilms. Dazu benutzt er unter anderem bildgewaltige Nachstellungen, ästhetisierte Telefonmitschnitte und ein unter die Haut kriechendes Sounddesign.

Besonders die konstant brüchige Stimme der Hauptfigur Sarma Melngailis bleibt im Kopf. Und wie ehrlich, ausführlich und mit klarem Blick sie ihre und Anthonys Abwärtsspirale aus Lügen, falschen Versprechen und Manipulationen schildert. Im Magen hingegen bleibt, wie sehr einen die Psychopathien dieses spielsüchtigen Hochstaplers faszinieren, der Victim Blaming und Gas Lighting meisterhaft beherrscht.

Prime Time ist das Kultz-Format für Kino, Fernsehen und Streaming. Jeden zweiten Freitag schreiben Sarah Stutte und Heinrich Weingartner über die neuesten Blockbuster, Arthouse-Streifen und gehypten Serien.

Kultzgrün

Neugierig auf mehr? Hier kannst Du durch weitere Kultz Texte stöbern.

tracking pixel

Das könnte dich auch interessieren

Niels Friedrich

am 15. Juli 2025

Niels Friedrich

Weiterlesen
Photo Basilisk, Clarastrasse

Helena Krauser am 15. Juli 2025

Das Basler Fotogeschäft mit Tradition

Beim Photo Basilisk lassen sich die Grossrät*innen ablichten, bestellt der Kanton Dokumentationen über die Corona Pandemie und werden noch Fotos aus dem Helikopter geschossen. Es ist ein Geschäft voller Geschichte und tiefer Verbundenheit mit der Stadt.

Weiterlesen
Renate Grossenbacher, Heilsarmee

Helena Krauser am 13. Juli 2025

«Viele verfallen in eine Schockstarre»

Wenn ein Mensch ins Gefängnis muss, trifft das nicht nur ihn – sondern sein ganzes Umfeld. Partner*innen, Kinder, Eltern bleiben zurück mit Scham, Fragen und oft existenziellen Sorgen. Renate Grossenbacher von der Beratungsstelle «Angehört» der Heilsarmee begleitet Angehörige durch diesen Ausnahmezustand.

Weiterlesen
Lachenmeier Farben

David Rutschmann am 13. Juli 2025

Bei Lachenmeier wird die Fasnacht bunt

Das Farbenhaus Lachenmeier ist eine Institution an der Clarastrasse – mit Ablegern in Zürich und Bern. Daheim in Basel kennt man den Laden vor allem dank der Fasnachtsartikel.

Weiterlesen

Kommentare