«Dichtestress ist sehr individuell»
Basel ist im Advent so gefragt wie selten zuvor. Für manche wird es rund um den Weihnachtsmarkt gar zu voll. Tourismusdirektorin Letizia Elia zieht im Interview Bilanz über dieses Jahr voller Grossanlässe und erklärt, wie gezieltes Marketing Overtourismus verhindern soll und welche Rolle die Kultur dabei spielt.
Hinter Ihnen, hinter uns allen liegt ein Jahr voller Grossereignisse in Basel. Ist Basel immer noch eine versteckte Perle, wie Sie es bei Ihrem Antritt 2023 gesagt haben?
Ja, ich glaube, das ist Basel nach wie vor, aber wir konnten unsere Bekanntheit sicher steigern durch die Grossanlässe. Für mich hat sich dieser Satz nochmals bestätigt: Ganz viele Menschen sind nach Basel gekommen, die keine Erwartungen hatten, weil sie die Stadt nicht kannten, aber begeistert waren von dem, was sie hier entdeckt haben.
Basel hat also mit dem Überraschungseffekt gepunktet?
Absolut.
Der Basler Weihnachtsmarkt wurde auch dieses Jahr vom US-amerikanischen Medium CNN zu den schönsten Weihnachtsmärkten weltweit gekürt. Der Dezember galt früher in der Hotellerie und im Tourismus als ähnlich flau wie der Januar – mittlerweile ist er einer der stärksten Monate. Wie ist es gelungen, dieses Bild zu drehen?
Das liegt an der konsequenten Zusammenarbeit. Verschiedene Organisationen haben sich mit dem Verein Basler Weihnacht zusammengetan und entschieden, die Stadt Basel als Weihnachtsstadt zu etablieren. Wir sind nicht die einzige Stadt, die einen Weihnachtsmarkt hat, aber ich glaube, der Unterschied ist, dass es bei uns viele Aktivitäten gibt, die sehr schön aufeinander abgestimmt sind. Ausserdem ist Basel sehr kompakt, deshalb durchdringt die Weihnachtsstimmung die ganze Stadt. Früher war der Dezember ein sehr ruhiger Monat, weil dann in der Regel kein Geschäftstourismus mehr stattfindet. Letztes Jahr war der Dezember in Bezug auf die Logiernächte und die Auslastung aber einer der besten Monate. Und auch dieses Jahr zeichnet sich ab, dass es ein sehr erfolgreicher touristischer Monat sein wird –getragen von einem wachsenden Freizeittourismus.
«Wenn man die Gesamtauslastung über das ganze Jahr betrachtet, dann ist Basel eher unterdurchschnittlich gut ausgelastet.»
Das Münster hat mit rücksichtslosen Weihnachtsmarkt-Besucher*innen zu kämpfen, der Weihnachtsmarkt ist sehr überlaufen. Wir haben Rückmeldungen von unseren Leser*innen bekommen, dass sie sich dort überhaupt nicht mehr wohl fühlen. Haben Sie mit der Vermarktung übertrieben?
Das Gefühl von Dichtestress ist sehr individuell. Ich kann verstehen, dass es gewissen Leuten zu viel ist. Wir versuchen mit neuen Angeboten, den Weihnachtsmarkt zu entlasten. Dafür haben wir die Zauberhöfe initiiert. Dort kann man sich in Ruhe zurückziehen und trotzdem einen Glühwein trinken und ein weihnachtliches Erlebnis geniessen. Zudem ist es uns ein grosses Anliegen, lokale Partner zu unterstützen. So auch das Basler Münster, indem wir in Zusammenarbeit mit dem Kanton die Eingangskontrollen übernehmen.
Sind es nicht mittlerweile zu viele Gäste, die an den Weihnachtsmarkt kommen?
Wir versuchen, Massnahmen zu finden, um die Spitzen der Auslastung auszugleichen. Man muss trotzdem sehen: Wenn man die Gesamtauslastung über das ganze Jahr betrachtet, dann ist Basel eher unterdurchschnittlich gut ausgelastet. Wir haben in diesem Jahr, 2025, wahrscheinlich über 65 Prozent Auslastung, was toll ist. 60 Prozent ist aber das absolute Minimum, um ein Hotel wirtschaftlich zu führen.
Dann ist Ihr langfristiges Ziel, die Spitzen der touristischen Auslastung gleichmässig übers Jahr zu verteilen und konstant über 65 Prozent zu liegen?
Genau, ich glaube, beim Tourismus wird es immer Phasen geben, die besser ausgelastet sind und schlechter. Aber ja, das ist unsere grosse Ambition. Mein grosser Wunsch wäre es, die ruhigeren Monate Anfang Jahr stärker zu beleben. Dafür arbeiten wir mit den Institutionen – vor allem den kulturellen – zusammen.
Und das funktioniert? Stellen Sie durch die Vermarktung beispielsweise von Ausstellungen eine signifikante Steigerung bei den Logiernächten fest?
In Bezug auf die Ausstellung auf jeden Fall. Bei der Kusama-Ausstellung sehen wir das gerade deutlich. Die Menschen kommen wegen der Ausstellung nach Basel und entdecken dann natürlich noch andere Dinge.
Anfang Jahr haben Sie gesagt, dass Sie mit Hilfe der Basel Card besser analysieren können, welche Tourist*innen zu welchen Anlässen kommen, um gezielter zu steuern und Overtourismus zu verhindern. Wie weit sind Sie heute mit diesen Auswertungen?
Die BaselCard ist für uns spannend, weil wir sehen, was die Leute hier konsumieren oder erleben. Es ist sehr deutlich, dass vor allem die Museen, insbesondere die Kunstmuseen, besucht werden. Aber auch der Zolli spielt hier eine grosse Rolle. Wir setzen unser Marketingbudget aber ohnehin sehr gezielt ein und sprechen nicht die breite Masse an.
«Die erfolgreiche Organisation grosser Veranstaltungen spricht sich in der Veranstaltungsbranche schnell herum.»
Rund 450 Millionen Medienkontakte sind während des ESC durch flankierende Berichterstattung über Basel entstanden. Was bedeutet diese enorme Aufmerksamkeit konkret für den Tourismus in Basel?
Ich glaube generell, man überschätzt die eigene Bekanntheit. Wir sind die drittgrösste Stadt in der Schweiz. Wenn man Menschen fragen würde, ob sie die drittgrösste Stadt in Norwegen kennen und wofür sie steht, wüsste wahrscheinlich kaum jemand Bescheid. Über den ESC, aber auch über die Women’s Euro hat man nun ein Millionenpublikum erreicht, dem man glaubhaft vermitteln konnte, dass Basel Grossevents organisieren kann. Das ist für uns sehr wichtig in der Positionierung von Basel als Eventdestination oder als Kongressdestination. Es ist für viele unerwartet, dass eine Stadt mit rund 200'000 Einwohnern so grosse Events organisieren kann und so eine gute Infrastruktur hat.
Ist das schon anhand von Anfragen spürbar? Kommen Eventveranstalter*innen auf Sie zu, die über den ESC oder die Women’s Euro herausgefunden haben, dass Basel Grossevents kann?
Ja, bei den Events merken wir das – denn die erfolgreiche Organisation solcher Veranstaltungen spricht sich in der Veranstaltungsbranche schnell herum. Aber auch bei den Logiernächten haben wir einen stetigen Zuwachs. Wir hatten nach dem ESC im August schon wieder 10 Prozent mehr Übernachtungen als im Vorjahr, das auch schon ein sehr starkes Jahr war. Ob das sicher auf einzelne Berichte oder Anlässe zurückzuführen ist, lässt sich schwer zu sagen. Aber ich glaube, dass die Wahrnehmung für die Stadt gesteigert wurde und positive Assoziationen geweckt wurden. Wir sind auch unter den Top-36-In-Destinationen von Marco Polo gelistet. Auch dort gibt es einen Verweis darauf, dass Basel kein langweiliges Schweizer Städtchen ist und hier der ESC stattfand.
Ist es ein Pluspunkt für Basel, dass es kein typisches Schweizer Städtchen ist und etwas anderes bietet als Luzern oder Interlaken?
Ich glaube, es überrascht. Es kommen heute 20 Prozent mehr Schweizer Gäste als vor der Pandemie nach Basel, und zwar ganz bewusst, weil Basel im Schweizer Kontext durch Kultur, Architektur und Kunst heraussticht.
Beim Kongresstourismus sagten Sie bereits selbst, dass noch Luft nach oben besteht. Sie haben bei Basel Tourismus ein Convention Center ausgebaut, das aktiv Kongresse nach Basel holt. Wie gut funktioniert das?
Das Convention Büro gibt es schon länger, vor zwei Jahren haben wir es nochmals gestärkt. Das Team geht sehr proaktiv auf Veranstalter zu und motiviert sie, ihre Kongresse in Basel durchzuführen. Das ist eine sehr langfristige Planung, wir sind jetzt bei den Jahren 2028, 2029, 2030.
Und werden es mehr?
Es werden mehr, ja.
«Für Leute von ausserhalb sind meistens die Leuchttürme das Reisemotiv.»
Wie kommen die Gäste nach Basel, eher mit dem Zug, dem Flugzeug oder mit dem Auto?
Das ist nicht ganz klar. Gerade aus der Schweiz reisen viele mit dem Zug an, aber wir haben keine genauen Daten dazu. Wir überlegen uns dazu, akkurate Befragungen zu machen.
Der Nachtzug nach Malmö würde ja auch in die andere Richtung fahren – also nach Basel – und potenziell Tourist*innen in die Stadt bringen. Nun haben National- und Ständerat die Gelder gestrichen. Jetzt wollen SP und Grüne aus verschiedenen Städten, auch aus Basel, sich dafür einsetzen, dass die Städte selbst finanziell für den Nachtzug aufkommen. Wie stehen Sie dazu?
Die gute Zugverbindung befürworte ich natürlich. Auch die London-Verbindung wäre gut. Ich glaube, es ist ein grosser Vorteil der Stadt Basel, dass wir mit diesen High-Speed-Connections verbunden sind, also dass man hier durchreist, wenn man von Norden nach Süden will oder umgekehrt. Natürlich ist für uns der Flughafen aber auch wichtig. Im Tourismus sehen wir immer wieder: Neue oder verbesserte Anbindungen an eine Stadt führen zu mehr Logiernächten aus der jeweiligen Destination.
Sie haben es bereits erwähnt, Basel punktet mit seinen kurzen Wegen. Wie stehen Sie zur Initiative «Go Basel Go», bei der die Innenstadt tramfrei würde?
Für uns ist die intakte, tolle Innenstadt wichtig. Daher finde ich die Vision, die die Initiative mit der Attraktivitätssteigerung in der Innenstadt verfolgt, sehr interessant und auch zu begrüssen. Die Frage der Erschliessung und deren Machbarkeit liegt jedoch nicht in unserem Zuständigkeitsbereich. Die Initianten haben hierzu fundierte Abklärungen vorgenommen und aufgezeigt, wie dies funktionieren kann. Unsere Aufgabe ist es Menschen in die Stadt zu holen, sie für die Innenstadt begeistern und dazu beitragen, dass sie unterschiedliche Betriebe, Angebote und das lokale Gewerbe entdecken.
Sie positionieren Basel als Stadt der Kunst, Kultur und Architektur, mit Fokus auf grosse Museen und Eventlocations. Welche Rolle spielt dabei die alternative Kulturszene?
Es ist ein Privileg in Basel, dass die Kultur sehr breit gefördert werden kann. Für Leute von ausserhalb sind aber meistens die Leuchttürme das Reisemotiv. Das liegt in der Natur der Sache. Wir versuchen die Gäste, wenn sie da sind, auch zu motivieren, sich anzuschauen, was sonst noch in der Stadt passiert. Das kann durchaus ein Konzert sein, das nicht auf einer bekannten, grossen Bühne stattfindet. Zumal der Trend ist, dass man in eine lebendige Stadt gehen möchte, in der sich die lokale Bevölkerung mit den Gästen durchmischt. Aber wenn man das Marketingbudget plant, dann fokussiert man auf die Anlässe mit grosser Strahlkraft.
Nach diesem intensiven Jahr stehen 2026 neben der Art und den etablierten Events auch das eidgenössische Jodlerfest an. Blicken Sie dieser Herausforderung eher gelassen oder mit Respekt entgegen?
Dieses Jahr war wirklich geprägt von Zeitdruck und Deadlines. Es hat aber auch unglaubliche Dynamik ins Rollen gebracht. Nächstes Jahr steht nun das Jodlerfest an, und ich finde es fantastisch an dieser Eventwelt, dass man sich als ganze Stadt immer wieder auf ein neues Thema einlässt. Mich hat begeistert zu sehen, dass die Leute wirklich in das Thema ESC eingetaucht sind. Danach kam die Art, das kennt man, da ist man im Kunstfieber, und dann waren plötzlich alle im Fussballfieber und haben die Nationalmannschaft unterstützt. Das war sehr schön zu sehen. Ich freue mich darauf, dass wir jetzt mit dem Jodlerfest ein Kontrastprogramm haben werden. Ausserdem ziehen wir dieses Jahr auch noch in die alte Hauptpost um – beziehungsweise Anfang 2027. Wir möchten mit dem neuen Tourismus Center etwas aufbauen, das den Gästen Orientierung bietet, aber auch für Baslerinnen und Basler ein attraktiver Ort ist.
Zum Abschluss die Frage: Wo geht Ihre nächste Reise hin?
Wir gehen jetzt nach Laax und verbringen dort vor Weihnachten noch ein paar Tage im Schnee.