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Theater

Sie kriegen dich

Im Schauspielhaus läuft das Stück «Dämonen» von Boris Nikitin und Sebastian Nübling. Es geht um junge Menschen und es ist unfassbar gut.

05/27/22, 12:37 AM

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Jeder Schritt eine Wucht: Die sieben Protagonist*innen von «Dämonen»

Jeder Schritt eine Wucht: Die sieben Protagonist*innen von «Dämonen»

«Das Stück dauert drei Stunden», sagt die Pressesprecherin, «man kann aber jederzeit hier an der Bar was holen und mit in den Saal nehmen.» «Wie an einer Party?» fragt meine Begleitung, lacht, aber die Frau nickt. «Ja, ist tatsächlich so gedacht.»

Gleich fängt «Dämonen» von Boris Nikitin und Sebastian Nübling an, ein Stück über jüngere Menschen, erdacht von älteren Menschen. Eine Ausgangslage, die schiefgehen kann, aber nicht muss. Es ist Premiere, das Publikum ist cool und schön und man sieht sie als Vorgeschmack auf das, was mutmasslich gleich stattfinden wird: Eine Nabelschau attraktiver, junger Menschen, die – Programmheft – «über das Vokabular zeitgenössischer Diskurse verfügen, aber was ist ihre Zukunft, wenn die Lehre aus der Vergangenheit ist, dass man sie nicht mehr neu erfinden kann?» Na gut. Wenn bereits die Beschreibung einem das Gefühl gibt, man sei der Dimwit unter den folglich nicht nur schönen, aber auch krass eloquenten Jungens – liegt die Vermutung nahe, dass das ganze Stück eine einzige, riesige Berghain-Tür ist: «Du kommst heute nicht rein. Tschaui!»

(Das klingt jetzt alles ganz grauenhaft und auch prätentiös, wer checkt denn bitte ohne Erklärung den Berghain-Spruch, aber googlet das mit der Tür und lest weiter, es wird bald euphorisch, versprochen.)

Wir setzen uns also in die vorderste Reihe, es kommt eine Frau in Schwarz auf die Bühne, mit ihr ein Kameramann, sie redet in die Kamera und zu uns, erklärt, dass 12 Sekunden zwischen dem Moment liegen, in dem sie effektiv in die Kamera spricht und jenem, in dem sie als Projektion auf der grossen Leinwand vor uns erscheint. «12 Sekunden zwischen uns und euch.» Dann macht sie den Deckel von der Linse ab und zählt von 12 rückwärts, um dann, gefolgt von der Kamera, aus dem Saal zu laufen, während ihre Projektion auf der Leinwand erscheint und ebenfalls von 12 rückwärts zählt.

Here we go.

Here we go.

Ab da ist die Frau draussen in der realen Welt und wir hier drin, auch in der realen Welt, aber mit Rückenlehne und Sicht auf die Wirklichkeiten, in der die Frau und bald sechs weitere Menschen sich bewegen. Das ist absichtlich so aufwendig formuliert, weil die sieben Protagonist*innen alle in eigenen Welten leben, von denen sie uns anfangs episodisch erzählen, indem sie im Laufen oder bei einer Pause vor dem Kiosk, in die Kamera schauen. Die Themen sind schwer und eindringlich, es geht um Anorexie, Abtreibung, Depressionen. Um den einzigen Jungen im Dorf, der im Tütü rumlief. «Es stört niemer, aber es wüssets no all».

Natürlich bleibt es nicht bei diesen (hervorragend getexteten) Erzählungen, wir sind hier nicht beim SRF. Aber was folgt, ist nicht einfach zu erklären. Erklärt man zu viel, geht Zauber verloren. Also in aller Kürze hier eine Szene: Die sieben Protagonist*innen laufen in choreografierter Zeitlupe immer wieder vor einem Burger King vorbei, während um sie herum Menschen ihre Taschen mit Essen raustragen. Plötzlich fängt einer an zu zucken. Dann die Zweite. Niemand schaut. Auch nicht, als sie auf einen Tisch springen, wo eine sechsköpfige Familie gerade beim Abendessen sitzt und eine der Protagonistinnen den fantastischsten Monolog des ganzen Stücks runterbrettert.

Seelenschau vorm Burger King.

Seelenschau vorm Burger King.

Und noch eine andere Szene: Ein Mann rennt in der Steinen von Tisch zu Tisch und redet fiebrig auf ein paar junge Männer ein. «Du bist einsam!» ruft er, «du hast keine Hoffnung! Aber es macht nichts! Denn ich habe auch keine Hoffnung!». Sie schauen mit leeren Blicken zurück, einer filmt mit dem Handy.

Nobody cares! schreit dieses Stück und es schreit bis es heiser ist, bis es fast keinen Ton mehr aus der Kehle bringt und dann schüttet es einen Saftkrug voll Rotwein hinterher und dreht nochmal auf. Bis die inneren Dämonen nach aussen gestülpt sind, und mit ihnen die innere Schönheit und die Aufrichtigkeit, in deren projizierten Gegenwart man sich dann doch noch fühlt wie vor dem Club, für den man zu alt, zu höflich, zu angepasst geworden ist.

Am Ende torkelt man nach draussen, man ist durstig, weil man in den drei Stunden kein einziges Mal an der Bar war. Alle fragen sich, was war das gerade, aber alle sind sich einig: «Dämonen» ist ein unfassbar gelungenes Zeitdokument. Wo «Jugend» draufsteht ist selten Jugend drin, aber hier wurde das Versprechen übertroffen. «Dämonen» ist kein Gefäss, es ist ein Organismus, ein riesiger, wahnsinniger, pumpender Organismus, den man nach drei Stunden «Hoffnungslosigkeit!!» mit einem überraschenden Gefühl des Vertrauens verlässt: Eine Welt mit einer solchen Jugend ist nicht verloren. Far from it.

«Dämonen» von Boris Nikitin und Sebastian Nübling, Schauspielhaus, noch bis zum 25. Juni.

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