«Willst du deine Oma wirklich einem unqualifizierten Zivilschützer wie mir anvertrauen?»

Bajour-Leser Timon betreut im Zivilschutz Menschen im Altersheim. Geldverschwendung, realitätsfremd, familienunfreundlich und fehlgeleitet, findet er das. Das ist sein Frustbericht.

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Das ist Timon Elmer

Er wohnt in Basel, ist Psychologe, arbeitet an der ETH Zürich und macht Zivilschutz. Aber ungern. Deshalb hat er einen Text geschrieben und an die Redaktion geschickt.

Jedes Jahr muss ich mich eine Woche von meinem Job abmelden und die Woche in einem Bunker am Basler Stadtrand starten. Das Programm: Zivilschutz Wiederholungskurs Mannschaft Betreuung. Meinen Freunden erkläre ich das so: «Ich muess wider moll e Wuche ins Altersheim go Lüüt ummeschiebe». Eigentlich unfair, denn die Bewohner*innen vom Altersheim haben meinen Frust nicht verdient.

Du merkst, liebe*r Leser*in, ich bin nicht gerade erfreut über diese Pflichtwoche.

Wieso?

Weil ich finde, dass der Zivilschutz Geld verschwendet, eine realitätsfremde und familienunfreundliche Institution ist und Zivilschützer*innen besser eingesetzt werden könnten. Aber lass mich ausholen.

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Der Eingang zum Zivilschutz Bunker am Basler Stadtrand (Bild: Timon Elmer)

Zivilschutz ist nicht zu verwechseln mit (dem oft nützlichen) Zivildienst. In den Zivildienst kommt man, wenn man(n) militärtauglich ist, aber keinen Militärdienst leisten möchte. Zivildienstleistende können selber wählen, wo und wann sie ihren Einsatz leisten. Anders beim Zivilschutz: Da müssen (!) alle hin, die teilweise untauglich und unter 36 Jahre alt sind.

In Basel-Stadt gibt es 1196 aktive Dienstleistende. Das Wann und das Wo dieses Dienstes ist eher unflexibel. Ich bin mit 215 anderen Personen in der «Mannschaft Betreuung» eingeteilt. «Wir» sind laut Bundesgesetz für «den Schutz und die Rettung der Bevölkerung» und «die Betreuung von Schutz suchenden Personen» verantwortlich. In Notsituationen würden wir also Schutzsuchende im Bunker empfangen und betreuen.

«Diese Woche ist mir eine Bewohnerin quer durchs Drämmli gerollt, weil ich den Rollstuhl nicht im Griff hatte.»
Timon Elmer

Apropos Bunker: Den Montagmorgen könnte ich mir nicht besser vorstellen, als ein paar Meter unter der Erde von einem «Zivilschutz-Instruktor» erzählt zu bekommen, wie fest er sich auf das Reisen als Pensionär freut, währenddessen draussen die Sonne scheint und mein Smartphone summend untermalt, wie mein E-Mail-Posteingang sich stetig mit Arbeit füllt (ja, der Bunker hat ein WLAN-Netz).

Ich und die fünf anderen (genauso unmotiviert wirkenden) Zivilschützer werden je einem Altersheim zugeteilt. Dort sollen wir den Rest der Woche bei der «Aktivierung» von Bewohner*innen helfen. Das bedeutet: Spazierengehen, Gesellschaftsspiele spielen, Zolli-Ausflüge machen. Das klingt wahrlich nach einer entspannteren Woche als mein stressiger Büroalltag.

Apropos Büro: Du fragst dich vielleicht, was mein Arbeitgeber zu dieser Woche im Altersheim sagt.

Haken #1: Arbeitsausfall

Meine Vorgesetzten sind natürlich nicht erfreut darüber, dass ich eine Woche fehle. Leiden tut aber wegen meiner Abwesenheit wahrscheinlich niemand. In anderen Situationen können solche Ausfälle hingegen belastend und unnötig sein, wie mir Mit-Zivilschützende über die Jahre hinweg deutlich aufzeigen:

«Für meine Schulleitung ist es umständlich, eine Ersatzlehrperson für eine Woche zu finden – und vorbereiten muss ich trotzdem alles.»

«Viele meine Psychotherapie-Klient*innen sind auf wöchentliche Sitzungen angewiesen.»

Ein Entgegenkommen des Zivilschutzes?

Nicht wirklich. Man kann zwar ein schriftliches Gesuch um Verschiebung einreichen, betont der Zivilschutz auf Anfrage. Das Gesuch werde dann individuell überprüft und «eine für beide Parteien gute Lösung» angestrebt. Aber: Verschiebung ist nun mal nicht Aufhebung. Um den Dienst kommt man also nicht rum. «Grundsätzlich besteht für Schutzdienstpflichtige kein Anspruch auf eine Dienstverschiebung», so das Basler Justiz- und Sicherheitsdepartement.

Immerhin: Arbeitgebende werden für die Absenz ihres Mitarbeitenden mit maximal 192 Franken pro Tag entschädigt. Das heisst aber auch, dass die Ausgleichskasse Basel-Stadt für Zivilschutzeinsätze im Altersheim eine gute Stange Geld ausgibt (hochgerechnet ca. 150'000 Franken pro Jahr).

Haken #2: Andere wären froh um den Job …

Für dieses Geld wäre es wahrscheinlich einfacher, Personal anzustellen, das besser qualifiziert und motivierter für diese Betreuungsaufgabe ist als ich. Auch den Bewohner*innen der Altersheime würde es damit wohl besser gehen.

Diese Woche ist mir eine Bewohnerin quer durchs Drämmli gerollt, weil ich den Rollstuhl nicht im Griff hatte. Ist es wirklich sinnvoll, jemandes Mama oder Oma einem unerfahrenen und unqualifizierten Zivilschützenden anzuvertrauen?

Haken #3: Familienunfreundlich und altbacken

Zugegebenermassen bin ich gegen Ende einer solchen Woche immer tiefenentspannt. Vielen Zivilschützenden geht das aber nicht so – insbesondere jenen, die Familie haben, studieren oder nur Teilzeit arbeiten möchten oder können:

«Ich bin eigentlich zwei Tage die Woche für die Kinderbetreuung zuständig.»

«Wenn ich eine Woche nicht in die Vorlesungen kann, verpasse ich viel Stoff.»

«Ich bin zu 50% angestellt und möchte/kann nicht 5 Tage die Woche arbeiten.»

Auch hier: Kaum ein Entgegenkommen des Zivilschutzes. Alle müssen diese fünf Tage Zivilschutz absolvieren – egal wie das Leben sonst aussieht. Was für eine altbackene Sicht auf Arbeit, Freizeit und Familienleben ist das denn?!

Für viele Zivilschutzleistende ist der Dienst daher eine enorme Belastung. Eine Dienstverschiebung ist zwar auch hier möglich – wenn das Gesuch bewilligt wird. Darüber hinaus kann ein Urlaubsgesuch von maximal 4 Stunden auf schriftlichen Antrag gestellt werden. Ob die obengenannten Beispiele für eine Bewilligung ausreichen, wage ich zu bezweifeln.

Für Geringverdienende kommt die finanzielle Belastung dazu, denn Zivilschützende müssen knapp 3% ihres jährlichen Lohns für Wehrpflichtersatzabgabe abgeben.

Haken #4: «Betreuung von Schutz suchenden Personen» …hmm?

Nebst der Frage, ob der Zivilschutz den Bewohner*innen im Altersheim nützt, stellt sich auch die Frage, was mein Zivilschutzeinsatz der Gesellschaft genau bringt – ausser vielleicht einen «Einsatz zugunsten der Gemeinschaft» (BZG, Art. 28). Der Auftrag von der «Betreuung von Schutz suchenden Personen» trifft nicht ganz auf die Altersheimaufgabe zu. Geschützt sind die Bewohner*innen ja.

Wirklich schutzsuchende Personen gäbe es wegen des Ukraine-Kriegs (und anderen humanitären Krisen auf der Welt) nämlich genug. Wären Zivilschützende während einem Krieg und der daraus resultierenden Flüchtlingskrise nicht besser eingesetzt, die schutzbedürftigen Ankömmlinge zu versorgen, als den Nachmittag im Zolli-Kaffi zu verbringen?

Anfang April entschied der Bundesrat, dass der Zivilschutz das Staatssekretariat für Migration bei der Unterbringung von Geflüchteten unterstützen soll. Der Zivilschutz Basel-Stadt werde momentan jedoch nicht für die Bewältigung der Flüchtlingskrise eingesetzt, heisst es auf Anfrage beim Basler Justiz- und Sicherheitsdepartement.

Am Ende der Woche denke ich jedes Mal: So schlimm war’s jetzt also auch nicht und meine Arbeit als «Lüüt ummeschiebe» zu betiteln, wird den liebevollen und freudigen Bewohnenden der Altersheime nicht gerecht. Und dennoch bin ich überzeugt: Für alle wäre es wahrscheinlich besser, wenn der Zivilschutz zeitgemässer organisiert wäre.

Aufruf: Was hältst du vom Zivilschutz? Schreib uns in den Kommentaren.

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