Wie geht's eigentlich den Bäuer*innen während der Pandemie?

Gegen Treibhausgas und furzende Kühe protestieren, aber keine Ahnung von Landwirtschaft? So nicht, dachte die Bajour-Redaktion - und schickte Pauline auf Recherche. Ein Agrar-Markt-Bericht in Zeiten der Pandemie.

Wiese mit Mohn und anderen Blumen
Das idyllische Leben auf dem Bauernhof – entpuppt es sich als Märchen? (Bild: Francesco Ungaro)

Ein Facebookpost in der Gärngschee-Gruppe lässt aufhorchen. Da werden Abnehmer*innen für Kartoffeln gesucht, welche wegen der Pandemie sonst auf dem Kompost landen würden. Was passiert da?

Zunächst vor allem in meinem Kopf! Ah. Anti-Food-Waste. Solidarität. Ökologisch höchst sinnvoll! – denkt die romantische Städterin mit reichlich urbaner Arroganz in mir. Die grüne Klimawelle ist auf dem Land angekommen. Dank der Pandemie! Hurra. Aber wie wirkt sich die Pandemie auf die Landwirt*innen Basels aus? 

Ich rufe im Zentrum Ebenrain für Landwirtschaft an. Johanna Gysin arbeitet dort in der Abteilung Produktion und Markt und erklärt mir, was bauernbetriebswirtschaftlich pandemierelevant ist: Grundsätzlich muss man zwischen drei Arten des Absatzes von Landwirtschaftsprodukten unterscheiden. 

  1. Absatz über den Direktverkauf (Hofladen, Märkte). Dieser Direktverkauf konnte während der Pandemie zulegen. Die Landwirt*innen wurden von den Konsument*innen oft überrannt. Man merkt’s ja an sich selbst. Die Leute kochen mehr zu Hause, haben mehr Zeit und wollen die lokalen Strukturen unterstützen. Sie gehen also während ihren Spaziergängen noch beim Bauern in der Nähe vorbei und bestellen sich irgendwann ein Gemüse-Direktabo. 
  2. Absatz über die Grossverteiler, also zum Beispiel Migros/Coop/Aldi. Der blieb stabil In diesem Vertrieb hat sich kaum etwas verändert. In Basel-Stadt und Baselland gibt es circa 900 Landwirtschaftsbetriebe, so Johanna Gysin, und rund 80 Prozent der Höfe liefern an diese sogenannten «grossen Kanäle». 
  3. Absatz über Lieferung von Produkten an gastronomische Betriebe. Dieser Absatzmarkt leidet offensichtlich am meisten unter der Corona-Krise. Dieses dritte Standbein fiel mehr oder weniger komplett aus, während auf den Feldern das Gemüse weiterwuchs. Der stockende Gastro-Absatz konnte vielleicht teilweise ausgeglichen werden mit den Hofverkäufen. Zudem war es für eine Zeit lang erlaubt, auch grössere Kaliber von Gemüsen in Coop und Migros zu verkaufen. Denn normalerweise geht jedes Rüebli, das schwerer ist als 200 Gramm, direkt in die Gastronomie. Doch diese Spanne wurde letztes Frühjahr vergrössert. Auch die schweren Dinger von bis zu 250 Gramm durften an die Grossverteiler verkauft werden. So pflügte man irgendwie durch die Krise, während die Leute im Homeoffice und im halben Lockdown hocken. Noch ist nicht klar, wie hoch die Einbussen ausfallen. Konkrete Zahlen der beiden Basler Kantone zu geben, sei schwierig. 

Soweit zum Gemüse. Und was ist mit den Milchkuhbetrieben? Wie geht es denen, die Obst anbauen, wie den Weinbauern?

Johanna Gysin verweist mich an den Weinbauern Daniel Wiedmer, der einen Weinbetrieb führt: Den Zelglihof in Sissach.

Weingut
Der Zelglihof von Daniel Wiedmer. (Bild: privat)

Daniel Wiedmer, wie lief’s die letzten 12 Monate?

Ja, diese Pandemie hat uns schon getroffen. Unser Umsatz ist um etwa 60% eingebrochen. Trotzdem können wir uns einrichten. Normalerweise haben wir neben dem Hof noch eine kleine Wirtschaft, den Zelglihof, wo viel von unserem Wein ausgeschenkt wird.

Und auf dem sind Sie jetzt wegen Corona sitzen geblieben?

Grundsätzlich ist der Markt für Wein sowieso schon übersättigt. Es gibt tendenziell eher zu viel Wein auf dem Markt und es ist schwierig, den Markt zu vergrössern. Und was die Leute in der Gastronomie an Wein getrunken haben, werden sie bestimmt nicht zu Hause einfach trinken.

Und was machen Sie jetzt damit? Selber trinken, in Kleinstgruppen an der frischen Luft?

Nein. Wir brauchen gerade eigentlich einfach mehr Lagerplatz. Wein ist in dieser Hinsicht ja praktisch, das ist nichts, was verfault oder was man unter sonstigem Zeitdruck loswerden muss. Eventuell brauchen wir noch ein zusätzliches Lager, aber da hoffen wir jetzt mal nicht drauf. Wir müssen halt einfach in unserem jetzigen Lager «chli bige».

Ok. Weinbauer Gysin stimmt also auch nicht auf das «Gejammer» ein, das man Bäuer*innen pauschal nachsagt. Den nächsten Halt auf meiner Agro-Tour d’horizon mach ich bei Ivon Karle. Sie ist Bäuerin auf dem Maienbühl in Riehen, ein Biobetrieb am äussersten Zipfel des Kantons Basel-Stadt.

Bäuerin mit Bauer
Ivon Karle und ihr Mann auf dem Maienbühl (Bild: privat)

Ivon Karle, wie haben Sie den Ausfall des Gastroabsatzes kompensiert?

Wir liefern eigentlich gar nicht an Gastronomiebetriebe, vor allem aus dem Grund, dass wir unsere Kartoffeln zum Beispiel nicht waschen. Da haben wir nicht die Infrastruktur dafür. In vielen Gastrobetrieben werden gewaschene Kartoffeln eingekauft, das geht schneller zum Rüsten.

Dann ist es bei Ihnen ohne grosse Einbussen gelaufen?

Ja. Es lief eher gut in letzter Zeit. Das ist pures Glück. Das war jetzt nicht so, dass wir besonders clever waren oder so. Wir haben hier auf dem Hof eine kleine Station, in der wir Milch und Eier verkauft haben. Dadurch, dass die Leute mehr im Umkreis spazieren gehen, haben wir eher an Laufkundschaft gewonnen. Zu uns kann man nicht mit dem Auto hochfahren. 

Der Gang zum Bauernhof als neuer Trend?

Ich sehe wirklich in der Landschaft, dass mehr Leute am Spazieren sind. Da gibt es auch eine Kehrseite dazu und zwar, dass die Leute manchmal auch mitten in den Feldern sind. Das ist ein Problem: Wir säen gerade frisch an und die Leute trampeln über die Felder.

Aber so schlimm ist das doch nicht? Oder fällt der Flurschaden wirklich ins Gewicht?

Wir hatten letztes Jahr einen ziemlichen Landschaden dadurch. Andere Bauern haben das Problem auch. Wir haben auch Leute angesprochen und sie gefragt, ob sie sehen, dass sie gerade über ein frisch ausgesätes Feld laufen. Den Meisten ist es nachher unangenehm, die haben das einfach nicht gecheckt und haben es sich nie überlegt. Dann gibt es natürlich auch einzelne, die verärgert sind.

Was haben die Direktkauf-Städter*innen sonst noch angestellt?

Picknick auf dem Weizenfeld mit Decke – das war neu. Die Leute sind mehr dort draussen, wo sie leben und es sind halt auch Leute draussen, die sonst nicht so in der Natur sind. Gerade als der Zolli und alles geschlossen war, haben wir einen grossen Unterschied gemerkt. Ich weiss nicht, ob dieses Interesse für die Natur nachhaltig ist, ich nehme das unterschiedlich wahr. Bei gewissen Leuten habe ich das Gefühl, dass die jetzt mehr hier in der Gegend unterwegs sein werden und auch näher an der Natur sind, bei gewissen Leuten denke ich, dass die wahrscheinlich nicht mehr so oft spazieren werden, sobald die Pandemie vorbei ist.

Glauben Sie, das Gefälle Stadt-Land wird etwas kleiner, wenn das Verständnis füreinander wächst?

Was mir gerade eher Sorgen bereitet, sind die beiden kommenden Abstimmungen, die Trinkwasser- und die Pestizidinitiative. Ich habe das Gefühl, das wirft ein sehr schlechtes Licht auf die Landwirtinnen und Landwirte. Weil so gesprochen wird, als würden die Bäuerinnen und Bauern eigentlich nicht zu den Tieren und zur Umwelt schauen. Mir macht das etwas aus. Auch wenn wir einen Biobetrieb haben und wir uns dadurch immer noch distanzieren können.

Ich glaube die Leute, die regelmässig hier sind, die sehen, wie wir verantwortungsvoll mit unserem Land und unseren Tieren umgehen. Aber diejenigen, die weit weg leben und keinen Bezug zur Landwirtschaft haben, die verstehen das vielleicht etwas weniger. Wir stimmen gegen die Initiative, auch wenn wir natürlich grundsätzlich auch dagegen sind, dass immer mehr Pestizide in unsere Landschaft gekippt werden. Die Initiative ist zwar eine gute Idee, aber sie ist schlecht ausgearbeitet. Sie zielt nämlich nur auf die Produktion. Die Verarbeiter, Grossverteiler und Konsumenten müssten auch eingebunden werden. Wir sind biologische Bauern, sind aber trotzdem gegen die Initiative in dieser Form.

Und was sollten wir aus der Pandemiezeit mitnehmen?

Generell finde ich es toll, dass wieder mehr Leute draussen unterwegs sind. Viele Leute aus der Stadt und auch junge Leute sind gekommen. Wir sind ja ganz in der Nähe der sogenannten eisernen Hand, das ist der schweizerische Zipfel, der nach Deutschland ragt, wo der Grenzverlauf immer noch unverändert durch Grenzsteine markiert ist. Viele Leute sind hier auch vorbeispaziert und haben gefragt, wo denn jetzt diese Steine seien. Die Corona-Situation ist natürlich grundsätzlich überhaupt nicht toll, aber das ist schön. Hier oben bei uns in der Ecke gibt es viel mehr Leben.

Dem ist irgendwie nichts zuzufügen.

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Bei Bajour als: Community-Managerin – ich schreibe über die Geschichten, die in der Gärngschee-Gruppe passieren. Und als wahre Homeoffice-Redaktorin, hauptsächlich in Genf stationiert.

Hier weil: Schreiben 😍

Davor: Corona-Matur am Leo und ein Semester Internationale Beziehungen in Genf

Kann: Mich in seltsamen WGs einrichten & kalt duschen

Kann nicht: Ohne meine Friends

Liebt an Basel: Rhein. Entspanntheit. Die Menschen

Vermisst in Basel: das Chaos!

Interessensbindung: Ich war aktiv in der Basler Klimabewegung, habe damit aber aufgehört (alles für den Journalismus)

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