KESB-Fall Dornach: «Wir dürfen diese Beweismittel nicht an die Öffentlichkeit bringen»
Die Vorwürfe gegen den Vater eines achtjährigen Mädchens und die Aufsichtsbehörden werden immer massiver. Von Kindesmissbrauch unter Behördenaufsicht schreibt die Basler Zeitung. Der Dornacher Gemeindepräsident Christian Schlatter spricht nun über die Anschuldigungen - soweit ihm dies das Amtsgeheimnis erlaubt.
Bajour: Die Basler Zeitung schreibt seit einigen Wochen über den «KESB-Skandal» im Dorneck. Der Hauptvorwurf: Die Behörden haben die Warnungen nicht ernst genommen und so zugelassen, dass ein Vater, quasi unter Aufsicht, ein Mädchen regelmässig missbraucht hat. Ist dieser Vorwurf berechtigt?
Christian Schlatter: Es ist ein schwieriger, verworrener Fall. Wichtig ist aus meiner Sicht, dass eine Anschuldigung, so schwer sie auch sein mag, noch kein Beweis ist. Wir nehmen die Anschuldigungen sehr ernst; sie lassen uns alles andere als kalt.
Das beantwortet die Frage noch nicht.
Mitarbeiterinnen unseres Dienstes haben sämtliche Vorwürfe sorgfältig geprüft und jene Abklärungen vorgenommen, für die ein Auftrag der KESB vorlag. Ich kann Ihnen leider nichts über die Inhalte des Falles sagen, ich unterliege der Schweigepflicht.
Ganz allgemein gesprochen: Die einzelnen Arbeitsschritte in Personenschutzverfahren werden in der Regel dokumentiert. Aufgrund der Aktenlage komme ich zum Schluss, dass unsere Mitarbeiterinnen solide Arbeit geleistet haben.
Wann haben Sie zum ersten Mal von diesem Fall gehört?
Das war vor etwa einem Jahr, als die Medien begonnen haben, über den Fall zu berichten. Journalisten kamen mit Anfragen, weil sie wissen wollten, was an dem Vorwurf dran sei, man würde fahrlässige Entscheidungen treffen.
«Es ist sehr schwierig, wenn eine dermassen einseitige Berichterstattung zugelassen wird.»Christian Schlatter
Weshalb musste das Kind den Vater weiter besuchen?
Leider kann ich Ihnen auch hierzu keine Auskunft geben. Grundsätzlich kann man jedoch sagen, dass ein Kind Kontakt zu beiden Elternteilen haben sollte. Ausser es gäbe triftige Gründe, die dagegen sprechen und deshalb Einschränkungen nötig sind. Liegen Vorwürfe wegen Sexualdelikten vor, wird es natürlich heikel. Ein Instrument, das immer wieder zum Einsatz kommt, ist der begleitete Besuch, in dem eine externe Person den Besuch eben begleitet.
Im Laufe des letzten Jahres wurden Anschuldigungen laut, dass der Vater Kindesmissbrauch betreiben würde. Die Mutter hat schwere Beschuldigungen, basierend auf den Aussagen des Kindes, an die Presse gebracht. Es läuft seither ein Strafverfahren, in dem beabsichtigt war, diese Vorwürfe zu untersuchen. So nahm das seinen Lauf.
Was geschah, als die Mitarbeiterinnen des Dornecker Sozialdienstes erstmals von Missbrauchsvorwürfen erfuhren? Wie ging man damals vor?
Auch hierzu kann ich Ihnen leider keine Auskunft geben.
«In der BaZ wurden noch ganz andere Behauptungen abgedruckt, dass zum Beispiel ein ärztliches Gutachten nur an den Kindsvater gelangt sei und andere Dinge, die nicht den Tatsachen entsprechen.»Christian Schlatter
In der BaZ steht aber, Ihre Mitarbeitenden hätten nichts unternommen.
In der BaZ wurden noch ganz andere Behauptungen abgedruckt, dass zum Beispiel ein ärztliches Gutachten nur an den Kindsvater gelangt sei und andere Dinge, die nicht den Tatsachen entsprechen. Es ist sehr schwierig, wenn eine dermassen einseitige Berichterstattung zugelassen wird.
Wir wurden zwar in einigen Fällen zur Stellungnahme angefragt, können aber eben aufgrund des Daten- und Personenschutzes und des laufenden Verfahrens nicht Auskunft geben. Es war auch von Strafverfahren und Aufsichtsbeschwerden in der Presse zu lesen. Anfang Juni war dann zu lesen, dass die Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft die Aufsichtsbeschwerde gegen die involvierten Ärztinnen inzwischen wieder fallen gelassen hat.
«Die komplette Sicht – also von beiden Seiten – zeigt ein deutlich differenzierteres Bild.»Christian Schlatter
Noch einmal. Der Vorwurf steht im Raum: Schützen Sie und Ihre Behörden einen mutmasslichen Kinderschänder?
Ich verstehe ehrlich gesagt nicht, wie Sie zur Aussage gelangen, dass wir einen mutmasslichen Kinderschänder schützen sollen.
Unsere Arbeit beginnt gewöhnlich, nachdem eine Gefährdungsmeldung in einen Abklärungsauftrag mündet und wir von der KESB den entsprechenden Auftrag erhalten. Dann wird unter Anwendung der sozialwissenschaftlichen Ansätze und Methoden die Fallarbeit aufgenommen. Diese mündet in der Regel in Empfehlungen, über die normalerweise die KESB befindet.
Im vorliegenden Fall geht es um das Kindswohl, und wir schlagen einen Weg vor, wie dem Kindswohl möglichst gut entsprochen werden kann. Jeder Fall ist da anders.
Die Mutter erhebt schwere Vorwürfe. Und jetzt will laut BaZ auch noch eine ehemalige WG-Mitbewohnerin beobachtet haben, dass der Vater wiederholt auffällig lange mit der Tochter auf der Toilette verschwunden sei. Bei der KESB sei man an dieser Information aber nicht interessiert gewesen. Die Beiständin habe sogar die Zeugin manipuliert. Was sagen Sie dazu?
Das sind massive Vorwürfe, einmal mehr, in einem laufenden Verfahren, zu dem man aus behördlicher Sicht nicht viel dazu sagen darf. Aufgrund der Dokumente, in die ich Einsicht hatte, komme ich zu einem anderen Schluss als jener, der in der Zeitung verbreitet wurde.
Laut den Medienberichten wurden Mitarbeiterinnen dazu gedrängt, ihre Gefährdungsmeldungen zurückzuziehen. Jetzt ermittelt die Staatsanwaltschaft. Wurden Beweismittel unterschlagen?
Nein, im Gegenteil. Man hat sehr viel mehr Material gesammelt, das im laufenden Strafverfahren zur Verfügung steht. Das Problem ist aber, dass wir diese Beweismittel nicht an die Öffentlichkeit bringen dürfen. Die bestehenden Datenschutzbestimmungen helfen uns in solchen Momenten nicht. Die komplette Sicht – also von beiden Seiten – zeigt ein deutlich differenzierteres Bild. Alle Gefährdungsmeldungen wurden ernst genommen.
Es gab vergleichbare Fälle, in denen auch die Presse solche Vorwürfe erhoben hatte und die dann sehr lange und über alle Gerichtsinstanzen hinweg ausgefochten wurden. Im Urteil wurden dann die Pressebehauptungen widerlegt, was dann keine Aufmerksamkeit mehr erhalten hat. Die einfach ausgelöste anfängliche Empörung hat nicht bis zur Beurteilung der Fakten gereicht.
«Aufgrund der Akteneinsicht bin ich überzeugt, dass das Kindswohl stets im Zentrum unserer Bemühungen lag.»Christian Schlatter
Wie viele Gefährdungsmeldungen über den Vater wurden eingereicht, oder sind ihnen bekannt? Wie viele über die Mutter?
Dazu kann ich Ihnen leider auch keine Angaben machen.
Laut der Presse haben mehrere Menschen Gefährdungsmeldungen über den Vater eingereicht. Wirft das nicht ein schlechtes Bild auf ihn?
Ganz offensichtlich schon. Solche heftigen Vorwürfe, die zudem in der Presse unwiderlegt bleiben müssen, da wir dem Amtsgeheimnis unterstehen, strapazieren oder ruinieren gar das Bild einer wiederholt angeschuldigten Person.
Was ist an den anderen Vorwürfen dran, die medial geäussert wurden? Hat man Warnungen der Therapeutinnen über Besuche beim Vater ignoriert?
Das kann ich nicht beantworten, da ich dem Personenschutz verpflichtet bin und ein laufendes Verfahren vorliegt. Die Aussagen des Kindes, die die BaZ im Internet zugänglich gemacht hat, lassen den Verdacht aufkommen. Das Kind erhebt darin massive Vorwürfe gegen ihren Vater. Ich finde es fatal, was diesem unschuldigen, achtjährigen Mädchen alles zugemutet wird. Wie soll ein Kind eine gesunde Entwicklung durchlaufen, wenn solche Vorwürfe im Raum stehen?
Leute, die Texte in Publikationsorganen abdrucken können, die so ziemlich sämtliche Regeln der Kunst biegen, bereits mehrfach vom Presserat gerügt wurden, müssen unwidersprochen bleiben, da «die andere Seite» aufgrund eines laufenden Verfahrens keine Auskunft geben kann. Sie können sich vorstellen, was ich von solchen Textverfassern halten muss.
Haben die Therapeutinnen denn je die Empfehlung geäussert, das Kind nicht mehr zum Vater zu lassen, weil der Verdacht auf Missbrauch besteht?
Leider kann ich Ihnen hierzu keine Antwort geben.
Wurde rückblickend und aus ihrer Sicht immer im Sinne des Kindeswohl gehandelt?
Ich kann Ihnen leider auch hier nur eine sehr allgemeine Antwort geben: Wenn ein Kind Angst hat, zum Beispiel zum einen Elternteil zu gehen, kann das zu Folgeschäden führen. Aber auch ein Kontaktabbruch kann schwere Konsequenzen verursachen. Ich verlasse mich in der Beurteilung auf die jahrelange Erfahrung und auf die hohe Kompetenz unserer Mitarbeiterinnen. Die Anwendung des 4-Augen-Prinzips ist bei uns Standard. Das hilft, Irrtümer oder Fehleinschätzungen zu reduzieren. Komplett ausmerzen kann man den Zweifel wohl kaum, das liegt in der Natur der Sache und des Themas.
Ich kann unseren Fachkräften auch aus unserer langen Zusammenarbeit eine äusserst hohe Fachkompetenz und Expertise attestieren, die sie in sehr vielen Fällen unter Beweis gestellt haben. Aufgrund der Akteneinsicht bin ich überzeugt, dass das Kindswohl stets im Zentrum unserer Bemühungen lag.
Dürfen Sie überhaupt über den Fall reden? Der BaZ gegenüber haben Sie sich nicht verlauten lassen. Sind sie nicht ans Amtsgeheimnis gebunden?
Ja, als vereidigtes Behördenmitglied unterliege ich dem Amtsgeheimnis. Im Rahmen dieses Gesprächs kratze ich wohl hin und wieder daran. Viele der Informationen sind aber ohnehin bereits in den Medien publik gemacht worden. Beschuldigungen, unsere Mitarbeiterinnen hätten kriminell gehandelt, kann ich nicht still hinnehmen, denn ich unterliege auch der Fürsorgepflicht gegenüber unseren Mitarbeitenden. Aus diesem Grund habe ich mich entschlossen, in diesem Umfang über den Fall zu sprechen und ein Gegengewicht zu liefern.
Zur Person: Christian Schlatter hat Umweltnaturwissenschaften an der ETH Zürich studiert. Seit 2012 ist er Gemeindepräsident von Dornach und in dieser Position Verwaltungsleiter und politischer Chef der Gemeinde und Personalunion.
Nachtrag: Auf Anfrage von Bajour wollte sich der BaZ-Autor nicht über die Aussagen Schlatters, die im Widerspruch zur Berichterstattung der Basler Zeitung stehen, äussern.